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Beispielhafte Abstraktion
Schweizerische Hochschule für Holzwirtschaft, Biel

Bei den Gebäudeteilen der neuen Werkhalle und des neuen Klassentrakts, 1999 an die bestehende Schule in Biel angefügt, wurden Holz und Beton je nach konstruktiver Eigenschaft optimal zusammengefügt.

erschienen in
Zuschnitt 3 Flächige Vielfalt, September - November 2001
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Das Grundstück der Schweizerischen Hochschule für die Holzwirtschaft Biel liegt am Rand des Ortes direkt an der Hauptstraße. Eine Industriehalle, eine Wohnanlage, der Höhenzug des Juras und offene Felder bilden den Kontext. Hier sollte nach dem Willen der Bauherren die aus zweigeschoßigen Schulgebäuden mit flachen Giebeldächern sowie niedrigen Werkhallen und Lagerschuppen bestehende Anlage aus der Nachkriegszeit verdichtet werden. Mit zwei typologisch unterschiedlichen Eingriffen haben die Architekten das relativ große Raumprogramm auf dem engen Grundstück überzeugend untergebracht. Zum einen bauten sie die neuen Hallen der Verfahrenstechnik im südlichen Teil des Areals direkt an die bestehenden Werkhallen und verbanden so Alt und Neu zu einem grossen und flachen Bau. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude, das sich in seiner Mächtigkeit abhebt von den niedrigen Nachbarbauten mit ihren Giebeldächern. Das Besondere an diesem 94m langen und 17m hohen Ankerpunkt im städtebaulichen Kontext ist, dass es sich dabei um einen Holzbau mit einem Erschließungskern aus Beton und einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade aus Eichenholz handelt.

Das dominante, weit auskragende Flachdach ist nicht nur eine formale Spielerei, sondern entscheidend für den Wetterschutz der Holzkonstruktion. Das Attikageschoß ist auf den Längsseiten um die Balkonschicht zurückversetzt. In den unteren drei Geschoßen durchbrechen auf beiden Hauptfassaden des Gebäudes eingezogene Terrassen die mit Fenstern horizontal strukturierten Wände und lassen das Tageslicht bis in die Erschließungszonen vordringen. In umgekehrter Richtung entstanden so Beziehungen aus dem Gebäude heraus in die Landschaft. Auf Kontraste als Kunstgriff setzen die Architekten im Inneren des neuen Lehrgebäudes. Auf der Ebene der Materialisierung tritt der rohe Beton der Korridore und Treppenhäuser in ein faszinierendes Wechselspiel mit den aus unterschiedlichen Holzarten gebildeten Oberflächen der Klassenzimmer und der übrigen Räume. Die Freude an Proportionen und präzisen Details bestimmt das ganze Gebäude.

Das von den Ingenieuren Conzett, Bronzini, Gartmann aus Chur erarbeitete konstruktive Konzept nutzt beide Materialien, Holz und Beton, optimal. So wurden etwa die den Baukern umgebenden Schuleinheiten als selbsttragende Holzkonstruktion ausgebildet. Dadurch werden die Betondecken des Erschließungskerns nicht durch die Vertikallasten des Holzbaus belastet. Sie tragen primär sich selbst und wurden deshalb als vorgespannte Flachdecken mit großen Spannweiten erstellt. Das Lehrgebäude und die Werkhallen der Hochschule für die Holzwirtschaft sind sichtbarer Beleg dafür, dass ein Bau aus Holz auch im städtischen Kontext bestehen kann. (1)

Die konstruktiven Entscheidungen folgen nicht apriorischen Vorstellungen über neue Arten, mit Holz zu bauen, die verschiedenen Konstruktionen sind vielmehr nach ihrer Zweckmäßigkeit verwendet, pragmatisch, von Fall zu Fall, nicht dogmatisch. Die Architekten haben nicht konstruktive Einheitlichkeit angestrebt: Sie hätte sie zu Entscheidungen geführt, die nicht nur in der Wirklichkeit einer Konstruktion begründet sind. Wenn es trotzdem eine Einheitlichkeit gibt, so liegt sie in der Art, die Konstruktion zu denken, nicht in der Konstruktion selber, die sich daraus von Fall zu Fall ergibt. (2)

Für den bis ins Detail klugen Einsatz des Baustoffes Holz wurde die Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

Es hängt vom Wissen und der Vorbildung der Betrachter ab, ob sie die Tragwirkung der Fassade richtig interpretieren. Wer in der Tradition der Moderne in jedem Bau eine Trennung in Traggerüst und Füllung vermutet, könnte aus der Betrachtung von Sockelzone und Attikageschoß den Eindruck erhalten, die Außenwand des Lehrgebäudes sei ein Skelettbau, weil von der Tragkonstruktion einzig die Auflagerpunkte über der Fundation und die voluminösen Stützen der Dachbinder sichtbar sind. Tatsächlich entspricht die Tragstruktur dieser Außenwand aber genau dem, was man sieht, nämlich einer flächigen, tragenden Wand, die wie eine durchlöcherte Scheibe wirkt.

Die Öffnungen in der Fassade zeichnen in ihren übergroßen Dimensionen das dahinter liegende Wandelement ab, welches zugleich allseitig als Fensteranschlag dient und im Brüstungsbereich als Überzug für die darunterliegende Decke wirkt. Auf diese Weise ist es möglich, große ungeteilte Fenster einzusetzen, deren Proportionen nicht mehr vom engen Abstand eines Ständers diktiert werden, sondern von ihrer Beziehung zu den großen Räumen.

Die Außenfassaden bestehen aus auf die Konstruktion angeschlagenen Platten aus unbehandelter Eiche. Alle äußeren Wände der Schulräume sind wegen der Scheibenwirkung in der Lage, als kontinuierliche Auflager der Deckenelemente zu dienen. Dies ermöglicht es auch, die Decken der Balkonräume direkt von Klasse zu Klasse zu spannen. Die Tragrichtung verläuft dabei parallel zur Fassade, also rechtwinkelig zu der der Decken in den Klassen. Damit ist eine von stützenden Elementen freie Verbindung der inneren Erschließung mit dem Außenraum möglich, der Raum »fließt« ungehindert ins Innere des Gebäudes. (3)


            

Hochschule für Holzwirtschaft Biel, Schweiz

Skizzen zum Projekt

Architekten
Marcel Meili, Markus Peter mit Zeno Vogel

Bauherrnschaft
Bau- Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Hochbauamt

Standort
Biel, Schweiz

Fertigstellung
1999

Tragwerksplanung
Conzett, Bronzini, Gartmann AG

Ausführung
Holzbau ARGE SISH Biel

Fassadenentwicklung
Holzbau Remund

Deckenelemente
Lignatur AG

Marcel Meili
Dipl.-Ing.ETH
1973 - 1980 Studium der Architektur an der ETH Zürich.
1983 - 85 Mitarbeiter im Büro Prof. Schnebli.
1985 - 87 Assistent am Lehrstuhl Prof Campi an der ETH Zürich.
Seit 1987 Bürogemeinschaft mit Markus Peter in Zürich.
Ab 1988 Lehrtätigkeit u.a. an der Harvard University, USA.
Seit 1999 Professor für Architektur an der ETH Zürich.

Markus Peter
Dipl.-Ing.HTL
Lehre als Tiefbauzeichner. 1980 - 1981 Studium der Philosophie an der Freien Universität Berlin.
1981 - 1984 Studium der Architektur am Technischen Institut Winterthur.
1985 Mitarbeit im Büro Prof. Schnebli in Zürich. 1986 - 88 Assistent am Lehrstuhl Prof Campi, ETH Zürich.
1993 - 1995 Gastprofessor an der ETH Zürich.

Zeno Vogel
1987 - 1993 Lehre als Hochbauzeichner und Mitarbeit im Architekturbüro Peter Zumthor in Haldenstein.
1993 - 1994 Studium am Berlage Institute Amsterdam.
Seit 1994 Mitarbeit im Architekturbüro Meili & Peter.
Projektleiter Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft in Biel.
Seit 1999 Mitglied der Geschäftsleitung.

Meili & Peter
Gartenhofstrasse 15
CH-8004 Zürich
T +41 (0)1 24670 20
F +41 (0)1 24670 21
arch(at)meilipeter.ch

 


verfasst von

Christoph Affentranger

  • Studium der Architektur an der ETH Zürich und an der Technischen Hochschule Helsinki
  • 1996 Gastforscher an der Architekturhochschule Oslo
  • arbeitet als Architekt und Publizist in Zug (Schweiz).
  • Buchpublikationen u.a. »Neue Holzarchitektur in Skandinavien«.
  • Beiträge in zahlreichen Fachzeitschriften und Zeitungen, darunter die Neue Zürcher Zeitung, mit Schwerpunkt Bauen mit Holz und Architektur in Skandinavien

Erschienen in

Zuschnitt 3
Flächige Vielfalt

Flächen in Holz versuchen heute, konstruktive wie bauphysikalische Fragen und jene des Holzschutzes kompakt und vereinfacht zu lösen. Damit sind sie dem Massivbau näher als der Zimmermannstradition. Neue Holzwerkstoffe und -technologien setzen bisherige Grundlagen des Holzbaus außer Kraft, weil die Platten-Tektonik die klassische Trennung der tragenden, aussteifenden und schützenden Funktion einzelner, geschichteter Elemente obsolet macht. Zuschnitt untersucht, ob und wie Plattenbau und Elementbauweise die Fläche als architektonisches Element neu definiert und das Erscheinungsbild von Holzbauten verändert.

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Zuschnitt 3 - Flächige Vielfalt