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Dünnwandige Holzschalen als Tragprinzip weitgespannter Flächen

Durch einen neuen Holzwerkstoffverbund lassen sich ein- und gegensinnig gekrümmte Dach- und Wandflächen wie Tonne, Kuppel, Hyparfläche und andere Regelflächen mit geringem Unterstützungsaufwand herstellen.

erschienen in
Zuschnitt 3 Flächige Vielfalt, September - November 2001
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Dünnwandige Holzschalen als Tragprinzip weitgespannter Flächen

Die Verwendung frei geformter, geschwungener Flächen findet heute im Bauwesen wieder zunehmend Interesse. Zwischen 1930 und 1970 erfolgten intensive theoretische und praktische Bestrebungen zur Realisierung dünnwandiger monolithischer Schalen, welche infolge hoher Lohnkostenanteile bei der Schalungsherstellung in Europa nicht fortgeführt wurden. Heute orientiert sich die zeitgenössische Architektur wieder stark an schalenartigen und biomorphen Strukturen. Gegenwärtige Schalungs- und Bausysteme können diesen nur schwer gerecht werden.

Durch einen neuen Holzwerkstoffverbund lassen sich ein- und gegensinnig gekrümmte Dach- und Wandflächen wie Tonne, Kuppel, Hyparfläche und andere Regelflächen mit geringem Unterstützungsaufwand herstellen. Das mögliche Formenrepertoire reicht von räumlich gekrümmten Wandschalungen über membranartige Hängedachkonstruktionen, Tonnendächern bis zu frei gestalteten räumlichen Schalen oder Tonnenschalen mit verändertem Querschnitt. Das System kann sowohl im Schalungs- und Hallenbau, als auch im Messe- und Ausstellungsbau eingesetzt werden. Es benötigt minimalen Unterstützungsaufwand und wird mit handelsüblichen Halbzeugen flächeneben hergestellt. 

Die erzeugten Flächen sind selbsttragend und können mit einer Deckschicht aus Holz (Brett- oder Plattenmaterial) oder Stahlbeton (Ortbeton, Spritzbeton) schubsteif verbunden werden, wodurch ein Einsatz als verlorene oder wiederverwendbare Schalung möglich ist. 

Das Funktionsprinzip des Systems basiert auf dem Tragprinzip dünnwandiger Schalen, deren Spannungsoptimierung und Formgenerierung durch ein FEM Schalenprogramm übernommen wird. Ausgangsmaterialien sind Dreischicht-, Sperrholz- oder Sandwichplatten, auf die ein textiles Trägergewebe aufgeklebt ist. Der gesamte Herstellungsprozess verläuft flächeneben und benötigt keinerlei Rüstung. Nach Anheben der Flächenelemente mittels Kran werden diese in vorbereiteten Auflagern montiert. Dadurch stellt sich die gewünschte räumliche Form ohne Zwischenunterstützung ein. Das System stabilisiert sich durch Fugenschluss und überträgt zunächst Normalkräfte in die Auflager, wodurch ein stabiler Montagezustand erreicht wird. Durch Einspannung der Auflagerpunkte sowie das Einbringen einer Vorspannkraft wird die Biegesteifigkeit des Systems hergestellt. Die Aufbringung einer Deckschicht in Form von Holzflächenelementen oder Beton führt zur gewünschten Schubsteifigkeit und Schalenwirkung. 

Konstruktion und Funktion des Holzwerkstoffverbundes 
Der Werkstoffverbund besteht aus den drei Komponenten Holzwerkstoffplatte, Klebstoff und textiles Gewebe. Die gewünschte geometrische Form kann durch die Parameter Plattenbreite, Plattenhöhe, Fugenbreite und Fugenwinkel eingestellt werden. 

Design und Bemessung 
Der Formfindungsprozess richtet sich nach den Vorgaben der zu erzielenden Form, wobei Restriktionen aus der Membranspannungsanalogie berücksichtigt werden sollen. Herstellbar sind Regelflächen und Flächen zweiter Ordnung wie Rotationsflächen und Hyparflächen. Es folgt die statische Berechnung und Spannungsanalyse der Schale mittels eines FEM-Schalenprogrammes. 

Flächenebene Konfektionierung einer Schale
Die im vorangegangenen Schritt gefundene räumliche Form wird in einem Geometrieprogramm zur Verebnung von räumlich gekrümmten Flächen abgewickelt und in Einzelstreifen zerlegt. 

Herstell- und Montageprozess gekrümmter Schalen und Membranen 
Der Plattenzuschnitt vor Applikationen des Gewebes kann mit CNC-gesteuerten Sägen durchgeführt werden. Nach der flächeneben erfolgten Gewebeverklebung werden die gefalteten oder gerollten Einzelstreifen zum Montageort gebracht und durch Kranhilfe einzelne Bögen aufgezogen, nebeneinandergestellt und an den Auflagern auf dem vorbereiteten Fundament verschiebbar fixiert. Durch eine interne Vorspannung des Einzelbogens erfolgt eine planmäßige Überhöhung des Tragsystems für den errechneten Lastzustand. Über eine ober-, gegebenenfalls unterseitige diagonale Beplankung mit Plattenwerkstoffen erfolgt eine schubsteife Verbindung der Einzelbögen. Nach Einspannung der Auflagerbereiche wird die angestrebte Schalenwirkung erreicht. 

Vorversuche 
Zur Auswahl und Festlegung der einzusetzenden Materialien des Prototyps wurden Vorversuche in den Prüfeinrichtungen der Holzforschung Austria und des Institutes für Baustofflehre, Bauphysik und Brandschutz der TU Wien durchgeführt. Es wurden zwei bogenartige Schalensegmente mit einer Plattenbreite von 50 cm als Prototypen errichtet. 

Zusammenfassung und Ergebnis 
Vorversuche und Versuche an den errichteten Prototypen lieferten Ergebnisse für den gesamten Bereich des innovativen Sektors Werkstoffverbund aus Holzwerkstoffen und textilen Geweben. Sie dienen als Grundlage für weitere Forschungsaktivitäten in diesem Bereich.

Text
Dipl.-Ing. Wieland Becker

Assistent am Institut für Tragwerkslehre und Ingenieurholzbau der Fakultät für Architektur und Raumplanung an der Technischen Universität Wien Karlsplatz 13/254 
A-1040 Wien 
T +43 (0)1/58 801-25 411 
F +43 (0)1/58 801-25 499becker(at)iti.tuwien.ac.at


verfasst von

Wieland Becker

  • Assistent am Institut für Tragwerkslehre und Ingenieurholzbau der Fakultät für Architektur und Raumplanung an der Technischen Universität 

Erschienen in

Zuschnitt 3
Flächige Vielfalt

Flächen in Holz versuchen heute, konstruktive wie bauphysikalische Fragen und jene des Holzschutzes kompakt und vereinfacht zu lösen. Damit sind sie dem Massivbau näher als der Zimmermannstradition. Neue Holzwerkstoffe und -technologien setzen bisherige Grundlagen des Holzbaus außer Kraft, weil die Platten-Tektonik die klassische Trennung der tragenden, aussteifenden und schützenden Funktion einzelner, geschichteter Elemente obsolet macht. Zuschnitt untersucht, ob und wie Plattenbau und Elementbauweise die Fläche als architektonisches Element neu definiert und das Erscheinungsbild von Holzbauten verändert.

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Zuschnitt 3 - Flächige Vielfalt