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Gastkommentar
Kargisch und Dekoro

erschienen in
Zuschnitt 5 Holz zu Gast, März - Juni 2002
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Kargisch und Dekoro

Wie funktioniert die Auseinandersetzung zwischen den Architekten und den Hoteliers? Wie bitte? Auseinandersetzung? Da müsste man miteinander reden können, dazu bräuchte es eine beiden verständliche Sprache. Doch sie reden aneinander vorbei, denn die Hoteliers reden Dekoro und die Architekten Kargisch.

Dekoro ist die Sprache der Verkäufer und die wollen Umsatz machen. Die Grammatik des Dekoro hat nur eine Regel: Der Gast will es so. Er will Lederhosenarchitektur, will trostlose Fröhlichkeit, Opulenz, Schmuck und Abwechslung, falsche Antiquitäten und optischen Rummel. »Und verstehen Sie mich recht,« sagt der Hotelier, »der schlechte Geschmack meiner Gäste ist meine Richtschnur. Sie reden durch mich hindurch Dekoro, darum verstehen sie mich alle.« Dekoro ist eine Dienersprache.

Kargisch dagegen ist die Sprache der Ichstarken. Die wissen es besser. Verstanden nur von den Kargen, die unter sich bleiben wollen. Kargisch ist die Sprache der Auserwählten, ein Verschwörerdialekt. Das Bildungsgesetz des Kargischen lautet: So einfach wie möglich, egal, was es kostet. Daraus entstehen Härte, Schärfe, Genauigkeit. Nie gestattet das Kargische irgendwelche Gefühlsschlamperei. Es kommt aus kühlem Kopf und brennendem Herzen und ist eine der anspruchsvollsten Sprachen überhaupt. Kargisch ist eine Herrensprache, mühsam zu erlernen, doch wer sie kann, gehört dazu. Dekoro wird überall verstanden, das Kargische hingegen ist nur in Nischen zu finden. Als Faustregel gilt: Wo der Tourismus herrscht, wird Dekoro gesprochen, also über der Schneegrenze, am Meeresstrand und in der Umgebung von Baudenkmälern. Kargisch hingegen wird nur in geschlossenen Zirkeln geredet, wo Dekoro als unfein gilt.

Wenn die Hoteliers mit den Architekten der strengen Observanz sprechen, scheitern sie am Sprachproblem. Doch da gibt es Abhilfe. Der Hotelier sucht sich einen Baufachmann, der perfekt Dekoro spricht und es auch anzuwenden weiß. Architektur braucht es dazu nicht, die ist ohnehin zu anstrengend und kein Gast zahlt etwas dafür. Dass sie kein Kargisch können, wurmt die Hoteliers in stillen Stunden dennoch. Kargisch nämlich hat mehr Prestige als Dekoro. Kargisch allein ist wirklich exklusiv, es schließt aus. Kargisch spricht der Geistesadel und das kulturelle Kapital. Im Abwehrreflex überschreien die Hoteliers jeden Ton Kargisch, den sie hören. Das sieht man ihren Häusern an: Dekorierte Schuppen. Die Architekten führen unterdessen auf Kargisch Klagen, dass die Schönheit der Landschaft mit Dekoro verwüstet wird, doch einzig ihresgleichen hört zu und versteht das Lamento. Unbeeindruckt führen die Hoteliers ihr Dekoro weiter, denn längst haben sie herausgefunden, dass es auch ohne Kargisch geht. Der Gast will es so.


verfasst von

Benedikt Loderer

geboren 1945, lernte Bauzeichner, studierte Architektur, wurde Schreiber, war der Gründer und erste Chefredaktor von Hochparterre, der Zeitschrift für Architektur, Design und Planung, und lebt heute als freier Schreiber in Biel.

Erschienen in

Zuschnitt 5
Holz zu Gast

Es gibt sie, die Bauten für Gäste, die beweisen, dass touristische Begehrlichkeiten nicht mit falscher Heimeligkeit, sinnentleerter Symbolik und billigen Repliken erfüllt werden müssen. Mit »Zeitgemäßer Architektur im Tiroler Stil« und künstlicher »Dorfplatzidylle« herrscht dennoch immer noch mehr Schein als Sein. Umso wichtiger sind jene, die versuchen, diese Front zu durchbrechen und zu einer Architektur – auch in Holz – zu stehen, die in heutiger Sprache auf das Besondere von Orten antwortet, dabei auf Traditionen, Erinnerungen und Sehnsüchte eingeht. Bewahren heißt nicht konservieren, sondern das Erhaltenswerte weiterentwickeln.

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Zuschnitt 5 - Holz zu Gast