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Stephan von Huene

Anfang der sechziger Jahre verwirklichte der US Künstler seine ersten audio-kinetischen Skulpturen, in denen präzise kalkulierte Klang- und Geräuschprozesse mit mechanischen Bewegungsabläufen verbunden wurden.

erschienen in
Zuschnitt 18 Schallschwellen, Juli 2005
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Erweiterter Schwitters

Stephan von Huene wurde 1932 in Los Angeles als Sohn deutscher Emigranten geboren. In den fünfziger Jahren studierte er Freie Kunst und Kunstgeschichte u.a. an der University of California, Los Angeles, und dem Chouinard Art Institute. Im Umfeld der Kunstszene der West Coast, Anfang der sechziger Jahre, wo von Huene auch mit Pionieren der Pop Art und der Conceptual Art wie Ed Kienholz und Allen Kaprow zusammenarbeitete und befreundet war, schuf er die ersten Bilder mit Assemblagecharakter, die symbiotisch die europäischen wie auch die amerikanischen Impulse vereinten. Zu dieser Zeit verwirklichte er auch die ersten audio-kinetischen Skulpturen, in denen präzise kalkulierte Klang- und Geräuschprozesse mit mechanischen Bewegungsabläufen verbunden wurden.

Die 1967 entstandenen Objekte »Kaleidophonischer Hund«, »Waschbrett Band«, »Rosenknospenverkünder« und »Stepptänzer«, die der Künstler selbst auch »The First Four« nannte, waren so etwas wie die Initialzündung für seine immer intensiveren akustischen Untersuchungen, die für den Bau seiner Klangskulpuren essenziell waren. Von Huene verwendete bei diesen Arbeiten immer wieder Materialien wie Holz und Leder, insbesondere bei der Skulptur »Stepptänzer«, bei der sich zwei spitze Schuhe mit ledernen Hosenbeinen unter lautem Geklapper auf einem hölzernen Kasten bewegen. Das Zusammenspiel von visuell-plastischen und akustischen Wirkungen sollte nach dem Konzept Stephan von Huenes vor allem auch durch den Betrachter als Impulsgeber mitbestimmt sein.

Es folgten die zwischen 1979 und 1982 entstandenen »Text Tones« (Text-Töne), die in Form von weißen Kästen mit Aluminiumröhren im Ausstellungsraum standen und über Sensoren Stimmen und Laute der Besucher über Mikrophone erfassten und aufnahmen. Anschließend wurde von einem Computer selektiert und zeitversetzt wieder abgespielt. Die daraus resultierenden Klang- und Geräuschsequenzen sind Abbild und Zeitbild zugleich und widerspiegeln die Interaktion zwischen dem Betrachter und der Kunst.

Nach seinen Klangrecherchen der siebziger und achtziger Jahre bediente sich von Huene wieder der kinetischen Ansätze seiner früheren Skulpturen und verband beides 1987 in seinem Werk »Erweiterter Schwitters«. In dieser komplexen Arbeit wird das dadaistische Buchstaben-Lautgedicht »Die Ursonate« von Kurt Schwitters synthetisiert und in der Form der Sonate konstruiert. Zeitgleich bewegt sich dazu die aus Holz bestehende Gliederpuppe. Die Tatsache, dass diese Skulptur hauptsächlich aus Holz gefertigt wurde, lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als Reverenz an die Musikinstrumente verstehen, die von Huene genauestens auf ihre Ton- und Klangqualität hin studiert hatte. Dieses erstmals 1987 bei der documenta 8 präsentierte Werk, erfuhr seine zweite Erweiterung im Jahre 1989, indem von Huene das Material des ersten Satzes seiner ersten Erweiterung musikalisch mit Mozarts Klaviersonate in C-Dur, kv 545, gespielt von Glenn Gould, anreicherte.

In der Weiterentwicklung der Gliederpuppe entstanden ab 1988 die »Tischtänzer«. Vier lebensgroße, mechanische Unterleiber steigern die Intensität ihres Stepptanzes untermalt durch Stücke von Händel und Bizet. Auch Ausschnitte von Reden bekannter amerikanischer Politiker wie General Eisenhower, Präsident L.B. Johnson und Jesse Jackson sind zu hören und werden in ihrer Wichtigkeit durch das klackende und steppende Geräusch, das diese Skulpturen auf ihren Holzpodesten verursachen, unterstrichen.

Die Werke Stephan von Huenes verlangen mehr als die bloße visuelle Rezeption und entziehen sich auch jeglicher Kategorisierung. Der synästhetische Charakter dieser Arbeiten zielt zugleich auf die visuelle, akustische und körperliche Wahrnehmung des Betrachters ab.

Stephan von Huene

1932 – 2000 geboren in Los Angeles
1950 – 52 Studium am Pasadena City College, Pasadena
1952 – 53 Studium der freien Künste an der University of California, Los Angeles
1955 – 59 Studium der Malerei, Zeichnung und des Designs am Chouinard Art Institute
1963 – 65 Studium der Kunst und Kunstgeschichte an der University of California, Los Angeles

Einzelausstellungen (Auswahl)

  • 1995 Venedig, Biennale
  • 1996 Berlin, Akademie der Künste, Sonambiente
  • 1999 London. Hayward Gallery, Sonic Boom – The art of Sound

Gruppenausstellungen (Auswahl)

  • 1987 Kassel, documenta 8 Wien, Künstlerhaus
  • 1988 Saarbrücken, Stadtgalerie
  • 2005 Kunsthaus Graz, Bewegliche Teile – Formen des Kinetischen

verfasst von

Stefan Tasch

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh, arbeitet als freier Kurator

Erschienen in

Zuschnitt 18
Schallschwellen

Holz lebt und bewegt sich. Dabei knarrt es, ächzt es, knackt es. Es schwingt, gibt nach und passt sich an. Holz ist leicht und Holz ist hörbar, Holz ist kommunikativ. Aber nicht alles ist für fremde Ohren bestimmt, es gibt „Hör-Schwellen“, die nicht überschritten werden sollten, und Maßnahmen, die Schallwellen zum Abklingen bringen.

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Zuschnitt 18 - Schallschwellen