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Fußkontakt mit der Vergangenheit
Kragbrücke am Indus

Holz steht in Nordindien nur in beschränktem Maß zur Verfügung und wird höchst effizient eingesetzt. Reicht die Länge eines Stammes nicht aus, wird in aufwändigen Konstruktionen, Holz und Stein kombiniert.

erschienen in
Zuschnitt 19 warum stabil?, September 2005
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Kargbrücke Skizze

Schematische Gesamtansicht der Brücke bei Skyidmang

Im menschlichen Bewusstsein gibt es Bilder, die weit zurück liegende Gewohnheiten reflektieren und deren Wiedererkennen ein Maß an Vertrautheit, an Sicherheit und Geborgenheit auslöst, auch wenn damit nach unseren Maßstäben unübliche, vielleicht sogar gefährliche Situationen verbunden sind. Der Stamm, der als Brücke über einen Abgrund oder einen Fluss gelegt wurde, gehört zu diesen archaischen Bildern, auch wenn die wenigsten von uns noch eine Überquerung darauf wagen würden.

Oft reicht die Läge eines Stamms nicht aus, um die Brücke zu schlagen. Dies führt zu aufwändigeren Konstruktionen, bei denen es notwendig ist, die Baustoffe Holz und Stein zu kombinieren: Holzstämme werden mittels Steinen, die als Gegengewicht dienen, an den Brückenköpfen eingespannt und kragen zur Mitte hin aus. Die verbliebene Distanz kann dann von einem Stamm überbrückt werden. Kragbrücken dieser Art sind auf der ganzen Welt zu finden, ihre Struktur ist addier- und variierbar, wodurch auf die jeweilige Situation reagiert werden kann.

Die abgebildete Brücke über den Indus bei Skyidmang in Ladakh, Nordindien, besteht aus drei Hauptfeldern, deren doppelte Kragbalken jeweils in unvermörtelten Steinpfeilern stecken und die mit Seilen beweglich miteinander verbunden sind. Die unteren, kürzeren stützen die oberen Balken, welche selbst Auflager für die Hauptträger sind.

Fast immer wird diese Konstruktion doppelt nebeneinander ausgeführt, sodass eine Gehfläche entsteht. Der Gehbelag besteht aus Bruchsteinen, eventuell auch Schotter und Erdreich auf Querbalken oder Seilen.

Da Holz in Nordindien nur in sehr beschränktem Maß zur Verfügung steht, ist es ein wertvoller und höchst effizient eingesetzter Werkstoff. In Gebieten, wo die Holzquerschnitte nicht ausreichen, werden dünne Stämme als Zugbewehrung für auskragende Steinbrücken verwendet. Auftretende Zugkräfte werden durch das große Widerlagergewicht der Steine verankert, die mechanischen Werkstoffeigenschaften ergänzen einander dabei in idealer Weise.

In Ladakh, wo es nach wie vor in vielen Gebieten keinen Fahrzeugverkehr gibt, bewähren sich diese Brücken seit Jahrhunderten und laden immer noch ein, Fußkontakt mit der Vergangenheit herzustellen und Bekanntschaft mit unmittelbarsten Materialien und Konstruktionen zu schließen.

Kargbrücke

 

Ein Feld der Brücke bei Skyidmang

 

Kargbrücke

 

Steinbrücke mit hölzerner Zugbewehrung in Ladakh


verfasst von

Eva Guttmann

ist Autorin, Lektorin und Herausgeberin im Fachbereich Architektur

Erschienen in

Zuschnitt 19
warum stabil?

Erfahrungen, Experimentierfreudigkeit und Fantasie haben seit Jahrhunderten funktional optimierte, faszinierend leichte und fragile Bauwerke entstehen lassen, deren konstruktive Stärke im Wissen um das Wesen des Materials begründet ist, in der vollen Ausschöpfung der Kapazitäten des Holzes, seiner Leichtigkeit, Festigkeit, Weichheit, Gerichtetheit und Nachgiebigkeit, und deren Authentizität bis heute spürbar und inspirierend ist.

8,00 €

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Zuschnitt 19 - warum stabil?