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Stephan Balkenhol

Die raue und teilweise splitternde Oberfläche ist Träger für die Farben, die Balkenhol auf seine Holzskulpturen aufträgt, nicht um zu kaschieren, sondern um das „rein Materialhafte zurückzunehmen“.

erschienen in
Zuschnitt 20 Holz urban, Dezember 2005
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Doubletake

Die Skulpturen des 1957 im hessischen Fritzlar geborenen Künstlers Stephan Balkenhol lösten Ende der achtziger Jahre so etwas wie eine Revolution auf dem Sektor Kunst im öffentlichen Raum aus. Die Initialzündung hierfür war sicherlich die Arbeit »Mann mit grünem Hemd und weißer Hose«, gezeigt anlässlich der von der Stadt Münster organisierten Gruppenausstellung von Skulpturen im öffentlichen Raum. Ziel dieser Ausstellung war es, künstlerisch zeitgemäße Positionen unter freiem Himmel zu zeigen, die sich mit dem urbanen Umfeld auseinandersetzen und sich dabei von der üblichen, oft inhaltslosen Auftragskunst abheben.

Balkenhol verblüffte dabei in zweierlei Hinsicht: Zum einen wählte er vom formalen Standpunkt aus gesehen die für die damalige Zeit unspektakuläre, weil als überholt geltende figürliche Plastik und zum anderen setzte er in Bezug auf Inszenierung und Wahl der Örtlichkeit neue Maßstäbe. Statt der herkömmlichen, vermeintlich repräsentativen Orte, wie Innenräume oder bezugslose Plätze, wählte Stephan Balkenhol den auf den ersten Blick völlig kunstfremden Ort einer kahlen Brandmauer in der Fußgängerzone der Münsteraner Altstadt. Die leicht überlebensgroße Holzfigur in Gestalt eines Mannes wurde von Balkenhol dabei auf einem gesimsähnlichen Podest hoch über den Köpfen der Passanten positioniert. Diese unkonventionelle Art der Präsentation wurde noch durch den unaufgeregten Habitus der Figur verstärkt und dabei um jene Facette angereichert, die so unverwechselbar mit den Skulpturen von Balkenhol in Verbindung gebracht wird.

Das Besondere und Kongeniale der Balkenhol’schen Arbeiten liegt eben nicht nur in der speziellen Wahl der Orte und Umgebungen, sondern in der wirkungsvollen Allgemeinverbindlichkeit im Sinne einer Zeitlosigkeit und Entindividualisierung in Ausdruck und Gestik. Die formale Fertigung seiner Skulpturen ist im handwerklichen Sinn nicht perfekt, sondern eher eine grobe Schnitzarbeit, die sich aber auch in einem positiv ambivalenten Sinn dem Formenvokabular von Renaissance oder Gotik annähert, ohne dabei ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Die daraus entstehende raue, unebene und teilweise splitternde Oberfläche ist folglich Träger für die Farben, die Balkenhol auf seine Holzskulpturen aufträgt, aber nicht um zu kaschieren, sondern um das »rein Materialhafte zurückzunehmen«.

Die Farbe wird nicht penibel, sondern sinngemäß aufgetragen und verstärkt somit die Wirkung der rauen Oberflächenbeschaffenheit des Holzes, da die Farbe nicht alle Ritzen und Einschnitte abdecken kann. Die Wirkungs- und Aussagekraft der Balkenhol’schen Skulpturen wird vom Künstler bewusst nicht in eine bestimmte Richtung gelenkt, sie will interpretiert und mit eigenen individuellen Empfindungen erfahren werden. Anlässlich der von der Londoner Hayward Gallery veranstalteten Ausstellung »Doubletake« wählte Stephan Balkenhol wohl die bis dato ungewöhnlichsten Orte, um seine Skulpturen zu präsentieren: Er zeigte einen 2,5m großen Kopf aus Holz, den er auf einem aufgelassenen Brückenpfeiler der Old Blackfriars Bridge gegenüber der Hayward Gallery aufstellte, und eine etwa lebensgroße männliche Skulptur, fixiert auf einer Boje inmitten der Themse treibend.

Das Konzeptverständnis Balkenhols wird hier besonders deutlich und auch durch die öffentliche Reaktion darauf bestätigt. Spaziergänger am Ufer der Themse riefen die Wasserschutzpolizei zur Rettung eines vermeintlich um Hilfe rufenden Mannes, der mitten im breiten Strom verloren umherzutreiben schien. Dies ist nur ein Beispiel der Balkenhol’schen Skulpturenwirkung, die aus der passiven Rolle eines repräsentationsverpflichtenden Daseins im öffentlich urbanen Kontext heraustreten und stattdessen den aktiven Wahrnehmungsanspruch an ihre Betrachter stellen.

Stephan Balkenhol

geboren 1957 in Fritzlar/Hessen
Lebt und arbeitet in Karlsruhe und Meisenthal
1976–82 Studium an der Hochschule für Bildende Künste, Hamburg bei Ulrich Rückriem. Seit 1992 Professur an der Akademie für Bildende Künste, Karlsruhe

Einzelausstellungen (Auswahl)

  • 2005 Die obere Hälfte, Kunsthalle Emden
  • 2005 39. Art Cologne art now
  • 2005 Art Cologne, Köln
  • 2003 Heiliger Sebastian, Kunsthalle Wien
  • 1992 Hayward Gallery, London
  • 1987 Skulptur. Projekte in Münster

Fotos

© Stephan Balkenhol


verfasst von

Stefan Tasch

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh, arbeitet als freier Kurator

Erschienen in

Zuschnitt 20
Holz urban

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Zuschnitt 20 - Holz urban