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Mehr Hausverstand

erschienen in
Zuschnitt 25 Aber sicher, März 2007
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MPREIS Achenkirch von  MPREIS Stuhlfelden von

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Märkte sind Umschlagplätze von Waren und Orte der Alltagskultur. Sie sind Schnittstellen unterschiedlicher Bewegungsformen der Warenzirkulation – von der Anlieferung über die Präsentation bis zum Abtransport von Produkten durch die Kunden. Supermärkte sind in diesem Sinne Räume ökonomischer wie sinnlicher Begegnungen zwischen Waren und Menschen und Orte der Lebenskultur, da sie einerseits das Alltagsleben repräsentieren und andererseits als Stätten sozialer Kommunikation fungieren. Ungewöhnlich für eine Supermarktkette ist, dass MPREIS in seiner Strategie seit fast zwei Jahrzehnten auf eine »corporate architecture« verzichtet, um stattdessen die jeweiligen Märkte – derzeit etwa 140 Standorte hauptsächlich in Tirol mit Verkaufsflächen von 400 bis 1200m² und einer täglichen Frequenz von bis zu 100.000 Kunden – je nach Größe und Lage individuell planen zu lassen. MPREIS-Märkte sind daher architektonisch präzis gestaltete Etuis für den Alltag, funktionale Räume und zugleich auch atmosphärische Orte, die mit der baulichen Umgebung wie der Landschaft im Dialog stehen. Denn es steht jedem Architekten frei, welche gestalterische, konstruktive, vor allem auch materialspezifische Lösung er vorschlägt, wenn nur die vorgegebenen Errichtungskosten im Rahmen bleiben. In den letzten Jahren kam in unterschiedlicher Art und Weise bei vielen MPREIS-Märkten Holz zum Einsatz, sowohl aus ökonomischen als auch bautechnischen Überlegungen, vor allem aber aus atmosphärischen Gründen, da die Haptik der Bauten und besonders der Innenräume, wie es Hansjörg Mölk formuliert, »eine sinnliche und wohnliche Qualität« vermitteln sollen.

Vor diesem Hintergrund sollen die folgenden Interviews verstanden werden, die alle als Ausgangspunkt des Gesprächs die Frage nach den Konsequenzen aus dem letztjährigen Winter und der damit verbundenen Schneesituation hatten. Zu Wort kommen Hansjörg Mölk (Geschäftsführer von MPREIS), Hans Efferl (Leiter der Ladenbauabteilung der Firma MPREIS), Alfred Brunnsteiner (Statiker), Wolfgang Pöschl (Architekt) und Armin Kathan von Holz Box Tirol (Architekt).

Hansjörg Mölk Für mich hat sich vor allem aus dem letzten Jahr ergeben, dass ich die Bedeutung und Rolle des Statikers in der Entwicklung und Betreuung unserer Märkte anders sehe. Früher war für mich der Statiker eher »unsichtbar«, da die Gespräche fast ausschließlich mit den Architekten geführt wurden. Jetzt binden wir Alfred Brunnsteiner, der für uns fast alle Märkte rechnet, von Anfang an in den Diskussionsprozess ein und haben ihm auch den Auftrag erteilt, alle Märkte auf der einen Seite regelmäßig nach ihrem Bauzustand zu überprüfen und auf der anderen Seite ein eigenes Kontrollsystem aufzubauen, das in einer kritischen Schneesituation, die ja in Tirol je nach Region sehr unterschiedlich sein kann, in Kraft tritt. Hierbei geht es mir darum, dass eine klare Verantwortung gegeben ist, vor allem, dass diese in der Hand eines Experten liegt, der nicht nach emotionalen Kriterien entscheidet. Denn es gibt immer wieder Situationen, wo jemand eine unproblematische Durchbiegung eines Trägers als Gefahr empfindet, obwohl diese gar nicht gegeben ist. Wobei der Aspekt, dass ein Gebäude auch Sicherheit optisch vermitteln soll, für mich wichtiger geworden ist. Insofern sehe ich es mittlerweile auch entspannter, wenn im Zuge der Entwicklung eines Marktes Säulen vorgeschlagen werden, die früher kein Thema waren. Denn in der Vergangenheit gab es bei den Planern wie auch bei uns den Ehrgeiz, an die Grenzen der Konstruktion wie des Materials zu gehen und die Märkte als offene und weitgehend stützenfreie Räume zu errichten. Dieser Aspekt wurde in der Vergangenheit teilweise zu stark betont, auch wenn alle Normen und Richtwerte eingehalten wurden. Heute tendiere ich eher zu weniger gewagten Lösungen, da ich als Bauherr bei der großen Anzahl an Gebäuden das Risiko und damit die Verantwortung minimieren möchte.

Wolfgang Pöschl Für mich stellt sich die Frage nach der Bewertung von gewissen Lösungen. Alfred Brunnsteiner hat nämlich ausgerechnet, dass es viel teurer käme, die Märkte in Hinblick auf eine Katastrophe zu berechnen und zu bauen, als alle heiligen Zeiten in kritischen Schneesituationen das Dach per Hand abzuschöpfen. Insofern sehe ich die ganze Thematik locker, da wir ja alle normgerecht bauen und andererseits ein gewisser Hausverstand im Umgang mit Gebäuden von Bedeutung ist. Was mich mehr beschäftigt ist die Frage, wie man die Konstruktion eines Gebäudes überprüfbarer und damit sicherer gestalten kann. Denn viele Probleme entstehen ja dadurch, dass man bei vielen Bauten nicht hinter ihre Oberfläche blicken kann. Ich bin eher ein konstruktiv denkender Architekt, der das tragende System sichtbar halten will, um einerseits Sicherheit zu vermitteln und andererseits die Struktur überprüfbar zu machen, denn wartungsfreie Gebäude gibt es nicht. Insofern arbeite ich gerne mit Holz, da ich das Material gerne »arbeiten« sehe und es vor allem intelligent ausloten möchte. Neue Tragwerke müssen für mich spannende räumliche Lösungen schaffen, überprüfbar und konstruktiv optimiert sein, um interessante Gesamtlösungen entstehen zu lassen. Insofern ist für mich der Statiker ein gleichberechtigter Partner in der Entwicklung der Architektur, auch wenn ich seine Berechnungen meist mit meinen konstruktiven und architektonischen Systemgedanken überprüfe.

Alfred Brunnsteiner Wir haben in den letzten Jahren weit über 100 Projekte für MPREIS gemacht und dadurch ein großes Vertrauensverhältnis aufgebaut. Insofern hat sich der letzte Winter auf unsere Zusammenarbeit nicht negativ ausgewirkt, denn es gab nur geringfügige konstruktive Nachjustierungen bei zwei Märkten, obwohl auch diese der neuen Norm entsprechen. Viel wichtiger ist, dass wir ein Modell erarbeitet haben, das in Zukunft die Sicherheit der Märkte im laufenden Betrieb wie auch in Ausnahmesituationen gewährleistet. So werden wir in regelmäßigen Abständen die Gebäude überprüfen und damit ähnlich wie bei einem Auto ein Service, ich nenne es den Tragsicherheitsausweis, machen. Voraussetzung ist, dass jedes Bauwerk in Form einer technischen Beschreibung gut dokumentiert sein muss, damit man die komplexen Systeme Jahre später überprüfen kann. Das bedeutet auch, dass der Bauherr von den Planern besser über das Gebäude informiert sein muss und wissen sollte, dass Nachrüstungen und Umbauten mit diesen abzustimmen sind. Denn man kann die Struktur eines Gebäudes durch nachträgliche Nutzungsänderungen schwächen bzw. das komplexe statische wie materialspezifische System negativ beeinflussen. Andererseits haben wir in Tirol ein Informationssystem aufgebaut und in den unterschiedlichen Regionen Vertrauenspersonen beauftragt, bei kritischer Schneelage laufend Messungen vorzunehmen, damit wir rechtzeitig reagieren und Maßnahmen ergreifen können. Ungeachtet dessen ist es jedoch wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen Bauherr, Architekt und Tragwerksplaner – der im Idealfall aus der Region kommt, da er am besten die spezifischen Bedingungen vor Ort kennt und rasch reagieren kann – funktioniert, denn eine optimale Planung löst schon von Anfang an viele Probleme. Insofern wäre es wünschenswert, wenn alle Bauherren so denken und agieren würden, wie es die Firma MPREIS vorlebt.

Armin Kathan Ich bin in Lech am Arlberg aufgewachsen und daher mit extremen Witterungsverhältnissen groß geworden. Das heißt, es war und ist für mich normal, dass man von Zeit zu Zeit den Schnee vor allem bei starken Windverfrachtungen vom Dach abschaufelt. Insofern appelliere ich bei Bauherren an eine gewisse Eigenverantwortung im Umgang mit Gebäuden, denn auch bei einem Auto muss man hin und wieder Ketten anlegen. Natürlich verstehe ich den Aspekt der Übertragung von Verantwortung an Experten, dabei muss man aber auch die Kosten und den Aufwand abwägen. Denn wir suchen bei unseren Projekten stets nach einfachen und wirtschaftlichen Lösungen, die in der Benutzung aber auch eine gewisse Aufmerksamkeit, einen bewussten Umgang und eine Identifikation mit dem Bauwerk verlangen. Im Fall von MPREIS muss man berücksichtigen, dass die Märkte nur eine gewisse Lebensdauer haben und nicht für die Ewigkeit errichtet werden. Sie unterliegen einem steten Wandel, da sie an neue Anforderungen angepasst, erweitert oder umgebaut werden. Bei unserem Markt in Stuhlfelden haben wir im letzten Jahr in einer kritischen Situation das Gebäude für drei Stunden gesperrt, um das Dach von der durch den Regen erhöhten Schneelast zu befreien. Das war insgesamt mit wenig Kosten verbunden, die in Relation zum Mehraufwand, der notwendig gewesen wäre, wenn man das Gebäude auf diesen Ausnahmefall hin errichtet hätte, minimal sind.

Hans Efferl Für uns ist eine wichtige Konsequenz aus dem letzten Jahr der Auftrag an Alfred Brunnsteiner und ein erweitertes Bewusstsein für unsere Märkte. In diesem Sinne haben wir auch unsere Filialleiter sensibilisiert und ihnen Informationen gegeben, wie sie die Märkte eigenverantwortlicher benutzen und beobachten können. Das betrifft nicht nur die witterungsbedingten Ausnahmefälle, sondern den Umgang mit den Bauten ganz allgemein. Gleichzeitig haben wir angefangen, Lösungen zu entwickeln, wie man in Zukunft die Dächer leichter begehbar und diese vor allem besser abschöpfbar machen kann. Denn wir haben bemerkt, dass in einigen Fällen kein Aufgang bzw. keine Treppe einge-plant wurde, am Dach keine Sicherheitseinrichtungen wie Haken für die Arbeiter eingebaut waren und andererseits die technischen Einrichtungen wie Blitzableiter, andere Leitungen oder Dachfenster das Abschaufeln des Schnees erschwert haben. Viele Mängel konnten wir ganz leicht beheben, andere Erkenntnisse werden wir in Zukunft bei der Neuplanung unserer Märkte berücksichtigen, wobei keine radikale Umkehr unseres Weges ansteht. Eigentlich geht es in Zukunft um die Optimierung des Planungsprozesses und die nachhaltige Betreuung der Bauten.

Oben links: MPREIS Achenkirch von
Giner+Wucherer, 2005
Oben rechts: MPREIS Stuhlfelden von
Holz Box Tirol, 2003

MPREIS Wildschönau von Julia Fügenschuh und Christof Hrdlovics, 2004

MPREIS Wildschönau von Fügenschuh Hrdlovics Architekten, 2004

MPREIS Fischerhäuslweg/Innsbruck von Moser-Kleon Architekten, 1999

MPREIS Fischerhäuslweg/Innsbruck von Moser-Kleon Architekten, 1999

 

Text
Arno Ritter
Studium der Publizistik, Geschichte und Philosophie
seit 1995 Leiter des aut. architektur und tirol (vormals Architekturforum Tirol)
Kurator, Ausstellungsmacher und freier Kulturpublizist
Veröffentlichungen im Bereich Fotografie, Kunst und Architektur
www.aut.cc

Fotos
© Lukas Schaller (MPREIS Wildschönau, MPREIS Achenkirch), Günter Kresser (MPREIS Stuhlfelden), Günter Wett (MPREIS Fischerhäuslweg/Innsbruck)

Erschienen in

Zuschnitt 25
Aber sicher

... sollte man ab und zu etwas riskieren! Was aber ist Sicherheit, wenn es um’s Bauen geht? Ein subjektives Empfinden oder eine messbare Größe? Eine Frage von persönlicher Verantwortung aller Beteiligten oder von Politik und Gesetzgebung? Kaum ein anderer Begriff beinhaltet eine ähnlich große Bandbreite an Aspekten; denn niemand will, dass was passiert, doch wo verläuft die Grenze zwischen Unbesonnenheit und Überregulierung?

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Zuschnitt 25 - Aber sicher