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Zur Situation in Österreich

erschienen in
Zuschnitt 25 Aber sicher, März 2007
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Gespräch mit Bernhard Egert, Andreas Neumüller, Karl Schafferer, Reinhold Steinmaurer und Helmut Stingl Gespräch mit Bernhard Egert, Andreas Neumüller, Karl Schafferer, Reinhold Steinmaurer und Helmut Stingl

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Alexander Eder: In der Zeitschrift »Detail« vom Dezember 2006 wurde ein Beitrag zum Thema Standsicherheit von Hallen veröffentlicht. Darin werden Ergebnisse von umfassenden Bestandsaufnahmen der »TÜV Süd« veröffentlicht, deren Bausachverständige seit dem vergangenen Winter mehr als zweihundert Hallen in Deutschland untersucht haben. Auf der Grundlage von hundert ausgewerteten Gutachten lassen sich folgende Ergebnisse zusammenfassen: Die Hälfte der untersuchten Hallen wies relevante Mängel auf, bei Holzhallen waren es sogar 75%. Dazu schreibt »Detail«: »Die schlechte Bilanz von Holzkonstruktionen liegt aber nicht in den Eigenschaften dieses Werkstoffs begründet. Bei den geprüften Holzhallen handelte es sich meist um kleinere Bauwerke, die mit vergleichsweise geringerem Planungs- und Berechnungsaufwand errichtet worden waren.« Außerdem – und das trifft materialunabhängig auf alle ausgewerteten Gutachten zu – gab es teilweise keine korrekt berechnete Statik, teilweise zwar richtige Berechnungen, aber nicht entsprechende Ausführungen. Bei über 50% der Hallen lagen keine bzw. keine ausreichenden statischen Informationen vor. Ist aus Ihrer Sicht die Situation in Österreich vergleichbar, und wenn ja, wie geht die Holzbranche – und hier speziell die Gruppe der Zimmermeister – damit um?

Karl Schafferer: Die Fakten sprechen für sich und ich glaube nicht, dass die Situation in Österreich eine wesentlich andere ist. Man muss aber in der Beurteilung dieser Zahlen insofern vorsichtig sein, als sowohl das Alter einer Konstruktion eine wichtige Rolle spielt, als auch die Art der Mängel. Wenn ein Hallendach feucht wird, weil eine fünf Meter hohe Birke seit Jahren den Abfluss verstopft, dann hat das nichts mit der Qualität der Konstruktion an sich zu tun.

Helmut Stingl: Ich denke, dass die Situation in Österreich womöglich noch heikler ist als in Deutschland, wo es zumindest das System der Prüfstatik gibt. Trotzdem ist es richtig, dass sowohl das Alter als auch Pflege und Wartung der Hallen eine wesentliche Rolle spielen. Das größte Gefahrenpotenzial liegt nach meiner Einschätzung bei 20 bis 40 Jahre alten Nagelbrett- bzw. –plattenkonstruktionen, wobei nicht nur erhöhte Schneelast, sondern auch die Durchfeuchtung von Dächern und die mangelnde Aussteifung der Konstruktionen eine Rolle spielen. Bei modernen Bauwerken, die nach den aktuellen Normen mit heutigem Wissensstand errichtet werden, gibt es aber keine Probleme.

Alexander Eder: Zimmermeister dürfen selbst statische Nachweise führen?

Bernhard Egert: Ja, wobei eine Norm in Vorbereitung ist, in der nach Spannweiten bzw. statischer Komplexität und bauphysikalischen Bedingungen gestaffelt unterschiedliche Anforderungen an die Betriebe und die Dokumentation der Ausführung erforderlich sind. Außerdem wird aktuell auch an einer Ausführungsnorm im Holzbau gearbeitet, so wie es sie für den Stahlbau bereits gibt.

Kurt Zweifel: Gab es im Zuge des letzten Winters vermehrt Anfragen von Bauherren oder Nutzern und auch aktive Hilfestellung?

Andreas Neumüller: Wir hatten deutlich mehr Anfragen als in den Jahren davor, wobei man zwischen privaten und öffentlichen Bauherren bzw. Nutzern unterscheiden muss: Besonders im privaten Bereich gab es eine hohe Sensibilisierung, häufig wegen Rissbildungen, die aber bei Holzkonstruktionen ganz normal sind und keinen Mangel darstellen. Wir haben versucht, das den Leuten entsprechend zu vermitteln. Bei öffentlichen Gebäuden ist die Situation viel schwieriger, weil der direkte Bezug der Verantwortlichen zu den Bauwerken fehlt. Das geht so weit, dass z.B. auf Schadensmeldungen von Hausmeistern gar nicht reagiert wird, weil sich niemand zuständig fühlt und daher keine Maßnahmen gesetzt werden, um Schäden zu sanieren.

Bernhard Egert: Eine regelmäßige Begutachtung zumindest für öffentliche Gebäude, unabhängig vom Baustoff, so wie es etwa im Brückenbau seit Jahren selbstverständlich ist, wäre sicher eine gute Möglichkeit. Viel wichtiger ist es aber, die verantwortlichen Personen zu sensibilisieren. Einerseits aus wirtschaftlichen Gründen, denn Begutachtungen sind teuer und es stellt sich die Frage, wer dafür die Kosten trägt, andererseits weil der Kreis der möglicherweise problematischen Bauten relativ klein und leicht einzugrenzen ist.

Alexander Eder: Kann man neue Hallenbauwerke tatsächlich guten Gewissens als sicher bezeichnen?

Karl Schafferer: Bei großen Hallen gibt es sicher kein Problem. Schwieriger ist die Situation nach wie vor bei kleinen und mittleren Bauwerken, die oft vage ausgeschrieben werden – auch von Architekten –, so dass allen möglichen und unmöglichen Konstruktionsvarianten Tür und Tor geöffnet sind.

Im Vordergrund stehen vor allem formale Wünsche und die Forderung, dass es billig sein muss. Daraus entsteht großer Druck auf die Zimmereibetriebe und auch auf die Tragwerksplaner, die ja bei schwierigeren Konstruktionen von uns herangezogen werden. Wir haben beschlossen, uns in dieser Hinsicht nicht mehr drängen zu lassen, denn manchmal ist man da schon sehr an die Grenzen des Materials gegangen. Aber wir müssen auch selbstkritisch sein und uns fragen, ob es eventuell Betriebe gibt, die nach Gefühl bauen, ohne eine ordentliche Bemessung vorzunehmen.

Kurt Zweifel: Genau das ist mit ein Grund für die Problematik, vor der wir jetzt stehen.

Helmut Stingl: Die Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind, die kann man nicht mehr ändern. Heute können wir aber an einem generellen Problembewusstsein von Bauherren und Zimmermeistern arbeiten und daran, dass letztere bei komplexen Bemessungen Ingenieure beiziehen. Gleichzeitig muss natürlich viel Wissen und Kompetenz in die Zimmermeisterausbildung investiert werden, um aktuelle Inhalte zu vermitteln und das Niveau entsprechend hoch zu halten.

Alexander Eder: Um auf die alten Hallen zurückzukommen: Wo liegen hier in erster Linie die Probleme? Wo müsste man ansetzen?

Reinhold Steinmaurer: Es gibt drei Gruppen von Problemursachen: Erstens, dass der Stand der Technik und auch der Normen damals ein anderer war. Zweitens, dass tatsächlich immer wieder Hallen mit nicht ausreichenden Planungs- und Bemessungsgrundlagen in Eigenregie errichtet wurden, vor allem im kleinen und mittleren Segment. Drittens, dass die Gebäude nicht gewartet, nicht gepflegt werden und häufig Nutzungsänderungen unterworfen sind, die sehr wohl Auswirkungen auf das Tragsystem oder die bauphysikalischen Parameter haben. Das liegt nicht im Verantwortungsbereich der Errichter, trägt aber wesentlich zum Imageschaden der Branche bei.

Alexander Eder: Wie kann man heute auf die Erkenntnis, dass die damaligen Richtlinien teilweise dem heutigen Stand nicht mehr entsprechen, reagieren? Müssen jetzt alle alten Hallen überwacht werden?

Helmut Stingl: Man könnte Servicestellen in jedem Bundesland mit unabhängigen Ingenieuren als Anlaufstelle für die Zimmermeister einrichten.

Reinhold Steinmaurer: Das entspricht einer Intention für unsere Homepage www.holzbau-austria.at, an der zurzeit gearbeitet wird. Dabei sollen im Holzbau erfahrene Bauphysiker und Tragwerksplaner bundesländerweise als Ansprechpartner aufgelistet werden. Außerdem ist eine neue ÖNORM für die Ausführung von Holzbauten in Vorbereitung, wonach Auftraggeber statische Berechnungen fordern können, sobald die Bauwerke die Dimension eines Carports oder eines Balkons überschreiten. Diese Ausführungsnorm wird auch Hinweise bezüglich Wartung und Nutzung aufweisen.

Helmut Stingl: Kann diese Norm schwebende Gefahrenpotenziale beeinflussen oder nicht?

Reinhold Steinmaurer: Wenn sie auch auf alte Bauten angewendet wird, dann schon.

Bernhard Egert: Das ist dann natürlich wieder eine Kostenfrage und wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Betreiber von Hallen oder Einkaufsmärkten nicht dazu bereit sind, Geld auszugeben für Maßnahmen, die für die Kunden nicht sichtbar sind. Das größte Problem ist wirklich die fehlende Sensibilität bei den Bauherren bezüglich Pflege und Wartung eines Gebäudes. Das, was für Autos selbstverständlich ist, will hier niemand leisten.

Karl Schafferer: Diese Erfahrung haben wir auch gemacht, dabei sollte allen klar sein, dass ab einer gewissen Schneehöhe einfach abgeschaufelt werden muss, dass verstopfte Abflüsse einfach gereinigt werden müssen.

Helmut Stingl: Wie könnte das Paket aussehen, das jemandem angeboten wird, der z.B. einen dreißig Jahre alten Supermarkt hat und jetzt unsicher ist und wissen möchte, ob er aufsperren kann oder zuerst Schnee vom Dach abschaufeln muss? Wie kann man in solchen Situationen konkret helfen?

Karl Schafferer: In Tirol existiert seit drei Jahren eine Anlaufstelle vom »Holzbauteam Tirol« (htt15), das für Mitgliedsbetriebe eine kostenlose Erstberatung in statischen Fragen durch einen Holzbauingenieur bietet und sehr gut angenommen wird.

Kurt Zweifel: In der Steiermark gibt es eine »Dächer-Hotline« der ZiviltechnikerInnen, die einerseits Informationen über die neuen Schneelastnormen vermittelt und andererseits konkrete Hilfestellungen für Hausbesitzer anbietet.

Andreas Neumüller: Das sind sicher Schritte in die richtige Richtung, wobei wir die Erfahrung gemacht haben, dass über ZiviltechnikerInnen hinaus Fachleute hinzugezogen werden sollten, die das Verhalten von Holz richtig einschätzen. Häufig wird nämlich z.B. Rissbildung im Holz zu Unrecht als Sicherheitsmangel beurteilt und entsprechend überreagiert.

Reinhold Steinmaurer: Jemand, der Zweifel an der Sicherheit seiner Halle hat, muss sich ganz eindeutig an den Errichter wenden. Der kann eine erste Einschätzung vornehmen und im Bedarfsfall weitere Fachleute – Tragwerksplaner, Vertreter der Holzforschung etc. – hinzuziehen. Falls der Errichter nicht mehr greifbar ist, muss man sich an die Innung wenden. Die Verantwortung sollte von der Branche übernommen werden, auch wenn die Ursachen für Mängel nicht unmittelbar im Bereich der Holzbaubetriebe liegen. Parallel dazu muss unbedingt an die Bauherren appelliert werden, Qualität zu fordern, zu bezahlen und die Bauwerke entsprechend zu pflegen und zu warten, insbesondere wenn sie ihre vorgesehene Lebensdauer bereits überschritten haben. Für die Zukunft wäre es wichtig, für eine optimale Gebäudedokumentation – auch bezüglich Nutzungsänderungen etc. – zu sorgen und die Normen, die in Vorbereitung sind und deren Anliegen es u.a. ist zu gewährleisten, dass statische Konzepte richtig umgesetzt werden, so zügig wie möglich in Kraft treten zu lassen.

Helmut Stingl
Vorsitzender der technischen Kommission des Österreichischer Holzleimbauverbandes
Schwarzenbergplatz 4
Postfach 123
A-1037 Wien
T +43 (0)664/4211401
helmut.stingl(at)aon.at
www.holzleimbau.at

Karl Schafferer
Schafferer Holzbau GesmbH
Ausserweg 61b
A-6143 Navis
T +43 (0)5273/6434
karl(at)schafferer.at
www.schafferer.at

DI Reinhold Steinmaurer
Geschäftsführer holzbau austria,
Bundesinnung Holzbau
Schaumburgergasse 20/6
A-1040 Wien
T +43 (0)664/2627887
r.steinmaurer(at)kabsi.at
www.holzbau-austria.at

DI Dr. Andreas Neumüller
Holzforschung Austria
Franz Grill-Straße 7
A-1030 Wien
T +43 (0)1/7982623-53
a.neumueller(at)holzforschung.at
www.holzforschung.at

DI Bernhard Egert
Geschäftsführer Glöckel Holzbau GmbH
Rennersdorf 62
A-3200 Ober-Grafendorf
T +43 (0)2747/2251-0
b.egert(at)gloeckel.at
www.gloeckel.at

Dipl.-HTL-Ing.
Alexander Eder
eder(at)proholz.at und
Kurt Zweifel
zweifel(at)proholz.at
proHolz Austria
Uraniastraße 4
A-1011 Wien
T +43 (0)1/7120474
www.proholz.at

 

Weitere Informationen

• »Dächer-Hotline« der ZiviltechnikerInnen Steiermark
T +43 (0)664/8128821
www.htt15.at
www.detail.de


Literatur
Moderne Qualitätssicherung in der Tragwerksplanung durch das 4-Augenprinzip
28 Seiten, A4
kostenlos zu beziehen bei der
Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Steiermark und Kärnten
Schönaugasse 7
A-8010 Graz
T +43(0)316/826344-25
siegfried.wittmann@aitkammer.org

Foto
© Alexander Eder

Erschienen in

Zuschnitt 25
Aber sicher

... sollte man ab und zu etwas riskieren! Was aber ist Sicherheit, wenn es um’s Bauen geht? Ein subjektives Empfinden oder eine messbare Größe? Eine Frage von persönlicher Verantwortung aller Beteiligten oder von Politik und Gesetzgebung? Kaum ein anderer Begriff beinhaltet eine ähnlich große Bandbreite an Aspekten; denn niemand will, dass was passiert, doch wo verläuft die Grenze zwischen Unbesonnenheit und Überregulierung?

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