Zum Hauptinhalt springen

Zeit lassen

erschienen in
Zuschnitt 26 Handwerk, Juni 2007
Sie besuchen eine Archiv-Seite. Möglicherweise sind nicht alle Darstellungen korrekt.

Bis heute ist mir nicht ganz klar, wie das Spektrum all jener Beteiligten am Planen und Bauen entstanden ist, mit dem wir uns jeden Tag produktiv auseinandersetzen (oder auch frustriert herumschlagen). Manche sagen, dass ursprünglich alles aus einer Hand kam, dass ein und dieselbe Person Idee und Konzept zu einem Bauvorhaben entwickelte, für die Organisation des Bauplatzes sorgte und den Bau als Unternehmer selbst ausführte. Das ist der Mythos vom Baumeister alter Schule, der kraft der ihm eingeborenen Tradition eigentlich nichts wirklich falsch machen konnte, weder kulturell noch konstruktiv.

Andere sagen, dieser Schöpfungsmythos der Spezialisierung der Bauleute im Laufe der Zeit stimme nicht. Es habe schon immer die Einen gegeben, die eher zum Entwerfen und Planen, und die Anderen, die eher zum Umsetzen neigten. An den Dombauhütten gab es durchaus Auseinandersetzungen zwischen solchen Interessen. Und damit schlichen sich auch Fehler ein, weil der Eine dem Anderen nicht richtig zuhörte oder weil er etwas im Kopf hatte, von dem er dachte, es sei das, was der Andere eben erklärt hatte, und umgekehrt usw.

Das Dilemma, ob der ursprüngliche Baufachmann ein abgespaltener Spezialist des Baumeisters oder ein launischer Besserwisser auf der Dombauhütte war, wird noch verdüstert durch ein weiteres, belastendes Indiz. Der klassische »Architekt« ist seit der Renaissance und bis weit ins 19. Jh. hinein insofern Laie, als er auch noch Künstler, Gelehrter, Philosoph o.ä. in Personalunion war. Architektur war nur eine der vielen Äusserungen, mit denen sich der Homo universalis an die Welt wandte. Und der sollte auch noch verstehen, wie man zwei Balken zusammenzapft oder den Dachrand ausbildet?

Nein, das ging dann schon zu weit, das funktionierte nicht mehr wirklich. Wir kennen ja die Geschichten von den berühmten Meistern, die mir nichts dir nichts ganze Gebäudeflügel abreissen liessen, weil die Profilierungen der Fenster nicht ihrer – nie präzis ausformulierten – Vorstellung entsprachen. Oder die grossflächig den Bau auskleideten, weil der Putz etwas zu stark abgetönt wurde, obwohl nicht einmal die Farbe je besprochen worden war. Wehe, wenn Bernini auf die Baustelle kam! Oder wenn Borromini oder Ledoux den Vorarbeiter zu sich rief, da flogen die Fetzen! Die Meister konnten sich das leisten, sie waren anerkannt am Hof und ohnehin die Meinungsmacher. Aber für den Alltag der modernen Industriegesellschaft taugte das nicht. Also musste ein neuer Beruf her, dessen Mitglieder planen, entwerfen, organisieren, rechnen, zeichnen und kommunizieren konnten und die ihr Wissen über das praktische Bauen akademisch im Trockendock erlernten. Der moderne Architekt war da, geb. ca. 1870, verwaist, keine Vorstrafen, keine speziell vertieften Qualifikationen, ein Allrounder, ein smart guy, der sich überall zurechtfindet.

Während er also eine relativ junge Erscheinung ist, verkörpert der Handwerker Tradition und Althergebrachtes. Ein Sparren ist immer noch ein Sparren, auch wenn er mittlerweile vielleicht schichtverleimt ist, ein Ziegel immer noch ein Ziegel, auch wenn er statt aus Ton aus Beton oder Faserzement ist. Gemauert wird nach wie vor von unten nach oben und der Putz kommt am Schluss auf die Wand bzw. auf die Perimeterdämmung. Die Handgriffe im Handwerk sind weitgehend noch dieselben wie ehedem, vor allem aber zeichnet sich der Handwerker nach wie vor dadurch aus, dass er auf ein Problem zugreift, um es möglichst umgehend konkret zu lösen. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie einfach sich manches, das man während Stunden im Büro wälzte, erledigen lässt, wenn man am Bau mit dem Handwerker spricht.

Am Bau besprechen ist dabei allerdings beinahe Conditio sine qua non, und manchmal reicht nicht einmal das aus, insofern als das Ergebnis nicht unbedingt dem entspricht, was man zusammen besprochen hatte. Vergleiche oben, Beispiel Dombauhütte. Und vorgängig, auf dem Plan, geht fast alles, aber oft sind die Konsequenzen nicht überschaubar und plötzlich ist eine Schraube oder eine Fuge da, wo man als Architekt nie und nimmer so ein Ding vermutet hätte. Diese Tendenz, sich nicht vollständig zu verstehen, nimmt zu in einer Zeit, in der die Zeit fehlt, die Dinge auszulegen, aufzuzeichnen, hin- und herzuschicken, zu korrigieren. Als Architekten sind wir ehrlich begeistert, einen Werkstattplan vom Handwerker zu erhalten, aufgrund dessen wir sehen, wie er das wirklich macht. Ganz zu schweigen davon, noch eingreifen und ändern zu können.

Beiden Seiten fehlt also die Zeit (was gleichbedeutend ist mit Geld), dem Architekten, um sich ins neue Thema einzuarbeiten, dem Handwerker, um seine praktische Lösung überhaupt aufzuzeigen. Ich meine, die Verrohung der Details liegt nicht daran, dass dem Handwerk das Know-how entgleitet und der Architekt nur noch grafisch projektiert. Oder dass mit der Verbreitung von Convenient Solutions, Halbfabrikaten und Patentbauteilen industrielle Methoden im Bauen ein- und ausgehen. All das trifft zwar auch zu, ist aber ein anderes Thema. Die Verrohung der Details liegt daran, dass sich die Leute nicht mehr aufeinander einlassen.

Dies wäre aber umso notwendiger, als Handwerker und Architekten wegen ihrer gemeinsamen Wurzel zwar viel voneinander verstehen, aber eben doch zuwenig, um nicht miteinander reden zu müssen. Und dafür – Regel Nr. 1 – muss man sich halt Zeit lassen.

Text:
Dipl.Arch.ETH/BSA/SIA Christoph Luchsinger

geboren 1954
Architekturstudium an der ETH Zürich
1980–99 Lehrtätigkeit als Assistent, Gastdozent und Dozent an der eth Zürich und am Technikum Winterthur
seit 1990 Architekturbüro in Luzern, zusammen mit Max Bosshard
1990–99 Redaktor der Architekturzeitschrift »Werk, Bauen+Wohnen«
seit 1995 Dozent für Stadtanalyse und Stadtentwicklungsstrategien an der Zürcher Fachhochschule Winterthur
2003 Gastprofessor für Entwurf an der Architekturfakultät der Universität Ljubljana/Slowenien


Bosshard + Luchsinger Architekten
Mythenstrasse 7
6003 Luzern
Schweiz
T +41 41 227 41 11
F +41 41 227 41 10
bosshard.luchsinger(at)swissonline.ch

Erschienen in

Zuschnitt 26
Handwerk

Keine Frage: Das glückliche Österreich wäre weder ganz so glücklich noch so sehr Österreich, ohne sein Handwerk. 
Christine Ax, Handwerksforscherin, Hamburg

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 26 - Handwerk