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Hüttenzauber in einer Herberge namens »berge«

In Aschau im Chiemgau wurde ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, das schon als Bäckerei, russisches Restaurant und Schülerferienheim herhalten musste, zur Herberge namens »berge« umgebaut.

erschienen in
Zuschnitt 35 Innenfutter, September 2009
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Nils Holger Moormann, Möbelverleger und Designer, gilt als Querkopf, Protagonist des »Neuen Deutschen Designs« und Pate großer Designtalente. Jetzt ist er auch noch unter die Hoteliers gegangen.

Man könnte Nils Holger Moormann als den Jacques Tati des Designs bezeichnen. Die einen nennen ihn Spaßvogel, die anderen die Nummer eins des beherzten Möbelhandels. Seit mehr als zwanzig Jahren produziert und vertreibt der 1953 in Stuttgart Geborene Entwürfe meist junger, weniger bekannter Designer. Zu diesen zählte u. a. Konstantin Grcic, heute ein Stargestalter. Die Arbeit Moormanns verkörpert den reziproken Wert von Design als Verhübschungsschnickschnack, ganz sicher ist er ein Kämpfer für mehr Polarisierung in Sachen Gestaltung, ein Musenküsser und einer, der stolz ist auf die Authentizität von Handwerk. Jetzt ist Moormann auch noch zum Herbergsvater geworden.

In Aschau im Chiemgau hat er ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, das schon als Bäckerei, russisches Restaurant und Schülerferienheim herhalten musste, zur Herberge namens »berge« umgebaut – als Tüftler, Bauherr, Ausführender und Hotelier. 13 verschiedene Appartements zählt die Bleibe, sie heißen »Bergbude« oder »Sommerloch« und sind so ungewöhnlich und fesch wie die vielen Möbel aus dem Hause Moormann. Als Motto oder Hoteliersphilosophie hält ein Zitat des französischen Bergsteigers Jean-Christophe Lafaille her: »Wer die Berge liebt, akzeptiert auch, dass sie Bedingungen stellen.« »berge« ist, man kann es schon ahnen, kein gewöhnliches Hotel. Wie die Moormann-Objekte besticht die Herberge durch Leichtigkeit und Strenge, wobei Letztere immer der Schalk im Formgeber-Nacken sitzt.

Weiters ist über »berge« in einem 17 Punkte umfassenden Katalog zu erfahren: »In berge gibt es kein wlan. Dafür müssen Sie keinem erzählen, wie gut es Ihnen geht!« Oder: »berge bietet keinen Wellness-Bereich. Dafür sehr kleine, urige Bäder.«

Einen Eröffnungstermin gab es für das Hotel nicht wirklich. »Eigentlich war das Hotel schon im Übernahmezustand eröffnet. Ich sehe das Haus als Work in Progress. Zu Beginn konnte man darin für einen Euro übernachten, da gab es noch gar keine Böden. Das Projekt ist ja nicht aus einem Management-Plan entstanden. Ungewöhnlich ist an berge vor allem, dass sich da ein Unternehmen wie das unsere im Sinne von Learning by Doing fortbewegt. So etwas würde wahrscheinlich sonst niemand tun, es war ein ständiges Vor, Zurück, Vor, Zurück«, sagt Moormann über sein Hotel. Von einem fixen Plan und Fertigungstermin wollte er nichts wissen. Jedes Detail wurde, wie Moormann es nennt, in einer »Gnadenlosigkeit, die ihresgleichen sucht«, durchgeplant. Moormann kann nicht anders, er ist ein Getriebener, egal ob er einen Schemel entwirft oder ein ganzes Hotel baut. »berge« sei wie ein »Traum von jemandem, der es sich leisten will, ein Schiff zu bauen, und der sich dann wundert, dass das Schiff auch schwimmt«. Die Doppelrolle als Bauherr und Ausführender bezeichnet Moormann als Problem, einen Architekten aber hätte er wahrscheinlich ins Irrenhaus gebracht: »So war es einfach spannender, und mittlerweile weiß ich auch, wie ein Abfluss funktioniert.«

Das Konzept selbst bestand für den gebürtigen Schwaben zuerst einmal in der Findung der Seele dieses alten Hauses. Moormann brauchte lange, um die Raumentwicklung voranzutreiben, alles sei völlig verbaut gewesen. Damals nannte der Designer sein Projekt noch »Grand Hotel Aussichtslos«. Erst später wurde das Thema Gästehaus entwickelt, und daraus wurde wiederum »berge«. Der Name habe ihm sehr dabei geholfen, nicht zu sehr in die Design- oder Art-Hotel-Schiene zu rutschen. Wie im Design ist es Moormann wichtig, ein Projekt in einem Satz beschreiben zu können.

Wo alte Strukturen in dem Haus, das an einer Bundesstraße liegt, vorhanden waren, werden diese auch gezeigt. Mit Oberflächen geht Moormann radikal um. Zu sehen sind ungestrichene Lehmwände und Böden aus unbehandelter Hochgebirgsfichte.

»Das ist eine Sauarbeit, die wieder sauberzuschrubben, aber das gibt dann halt die richtige Patina«, so Moormann. Die Einbauten in »berge« variieren. Meistens sind sie aus schwarzem Furniersperrholz, auf das der frischgebackene Hotelier abfährt, das aber, wie er erzählt, Putzfrauen hassen. Neues Wandmaterial aus natürlichen Baumaterialien fügt sich passend in den Bestand ein. Moormann ist vor allem der Kontrast wichtig, das Interieur soll nicht »alpenländisch jodeln«. Baulich findet sich der Kontrast zwischen den lebendigen Böden und frischem Kalkputz oder zwischen welligen Steinmauern und aalglatten Fichtenbrettern der hinzugefügten Einbauten. Zwei andere Pole bilden die straßenseitigen Kastenfenster aus Holz und die rückseitig gelegenen französischen Fenster aus gertenschlanken Stahlprofilen und hölzernen Fensterläden zum Auf- und Zuschieben. Natürlich gibt es auch eine große Stube, die sich vor allem für Tagungen anbietet. Als Möbel kamen – versteht sich – größtenteils Stücke aus der Moormannkollektion zum Einsatz, es finden sich aber auch Klassiker wie z. B. der Plastic Side Chair von Charles und Ray Eames. Zu finden sind ferner einige Einzelanfertigungen wie die Schlafstätten, die zu nestartigen Bettnischen im Gemäuer werden.

Ausgerechnet die Auswahl der richtigen Möbel empfand Moormann als besonders schwierig und langwierig, schließlich seien sie die »Schauspieler für diese Bühne«. Eine Produktdesignerin stand dem Chef bei der Suche nach den richtigen Stücken zur Seite – ein Prozess, den Moormann übrigens noch lange nicht als abgeschlossen ansieht. Der Herbergsvater meint, man müsse schon einen »an der Birne haben«, um sich an ein solches Projekt heranzuwagen, kommerziell würde sich das Ganze nie wirklich rechnen. Aber das war wohl auch kaum der Plan. »Ich möchte, dass sich hier Menschen aus der Design- und Architekturszene wohlfühlen, miteinander kommunizieren und ein Netzwerk entsteht«, sagt Moormann. Aufs Haustierreich umgemünzt spricht er von »berge« als einem Ort, an dem sich Katze oder Hund sofort hinlegen würden, um zu entspannen.

Hausregeln
In berge gibt es keine Rezeption. Sie werden Ihren Weg schon finden!

berge liegt direkt an der Bundesstraße. Schauen Sie einfach in die andere Richung!

In berge knarzt und quietscht der Boden. Dafür ist sein Holz in 1.000m Höhe gewachsen.  

Standort
berge Aschau im Chiemgau/D
www.moormann-berge.de

Planung und Bauherr
Nils Holger Moormann
Aschau im Chiemgau/D
www.moormann.de

Innenausbau
Zimmerei Hans Schausbreitner
Aschau im Chiemgau/D
www.zimmerei-schausbreitner.de

Selbstbau
(Furniersperrholzmöbel)

Fertigstellung
2007 – 2008

Materialien  
Böden: unbehandelte bzw. in den Bädern geölte Fichtenbretter
Einbaumöbel: unbehandelte Fichtenbretter, außen sägerau, innen gehobelt bzw. Birkenfurniersperrholz in schwarz, weiß, rot  

Text
Michael Hausenblas geboren 1969 in Bregenz seit 1999 Mitarbeiter der Tageszeitung Der Standard

Fotos
© Nils Holger Moormann

Erschienen in

Zuschnitt 35
Innenfutter

Ob hell oder dunkel, lackiert oder naturbelassen: auch Holz ist Moden unterworfen. Die Qualitäten bleiben aber immer die gleichen. Holz im Haus schützt, umhüllt und verbirgt das Innenleben so wie das Mantelfutter seinen Träger.

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Zuschnitt 35 - Innenfutter