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Die Bauernstube als ars memoriae

Die traditionelle Bauernstube, die heute in einigen österreichischen Altersheimen bewusst eingebaut wird, stellt mit ihren haptischen, olfaktorischen und optischen Reizen einen Ort der Gemütlichkeit dar.

erschienen in
Zuschnitt 49 Holz im Alter, März 2013
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In einigen österreichischen Altersheimen werden derzeit Bauernstuben eingebaut oder sind bereits installiert worden. Der Sinn soll ein therapeutischer sein: Man hofft, durch diese Installationen die Erinnerungsleistungen der alten Menschen zu aktivieren und den versiegenden Erinnerungsstrom wieder in Gang zu bringen. Kurzum, die Bauernstube ist hier ein Objekt zur Ankurbelung des Gedächtnisses, weil sie haptische, olfaktorische und optische Reize aussendet, die eine mnemotechnische Funktion erfüllen sollen. Freilich ist diese Leistung ohne den kulturellen und lebensweltlichen Background dieser Stuben nicht vorstellbar, andernfalls hätten die Menschen den organischen Status eines Borkenkäfers, der sich nur im Biotop Baum und Holz wohlfühlt und nur auf Holzgeruch reagiert.

Aber wie ist diese Erinnerungsleistung wirklich einzuschätzen? Zum einen ist es die naheliegende Aktualisierung einer Lebenswelt, in der manche Menschen noch aufgewachsen sind. Zum anderen ist diese Erinnerung möglicherweise die Illusion einer nationalen Lebenswelt, die bereits seit weit über hundert Jahren durch bewusste Inszenierung einer Volkskultur entstanden ist. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kann man in deutschen Museen zahlreiche Bauernstuben besichtigen. Ein Beispiel von vielen: Der Architekt Gabriel von Seidl gab einen entscheidenden Anstoß zugunsten der Volkskunde, indem er mit seinem Projekt »Typische Bauernstuben der acht Bayrischen Kreise« im Untergeschoss West den im September 1900 errichteten Neubau des Bayerischen Nationalmuseums eröffnete.

Einschlägige Objekte wie Votivgegenstände oder Trachten waren schon früher gesammelt und ausgestellt worden, aber erst mit den Bauernstuben bekam die Volkskunde im Museum ihren eigenen Bereich. Der Einbau und die Ausstattung weiterer Bauernstuben bildeten über Jahrzehnte eine wichtige Triebfeder für das Sammeln von Zeugnissen des Volkslebens. Dabei galt das Interesse der Museen weniger der Art und Weise der Herstellung dieser Gegenstände, sondern einer möglichst reichen Ausgestaltung, ob bei Möbeln, Keramik, Glas oder Geräten. Die »Volkskunst« diente damals schon als vermeintlicher Beweis einer intakten ländlichen Welt angesichts tief greifender Veränderungen in der Gesellschaft. Das Motiv war die Gestaltung einer Erinnerungshilfe für eine nationale Volkskultur, die als Quelle eines nationalen Bewusstseins dienen sollte. Bauernstuben konnten seither gar nicht mehr naiv als ethnologische Fundstücke betrachtet werden, sondern waren Zeichen einer Vernakularisierung im Dienste des Nationalen und damit auch der Politik.

Man muss der historischen Genauigkeit halber erwähnen, dass sich diese Sichtweise einer Vernakularisierung und nationalen Erhöhung der Bauernkultur in zahlreichen europäischen Ländern, vor allem auch in den damals erwachenden slawischen Nationen vollzog. Erst die neuere deutsche und österreichische Geschichte des vergangenen Jahrhunderts legte eine kritische Sichtweise dieses Nationalismus nahe. Die Bauernstuben haben all dies überlebt und erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit, denn sie waren immer noch Element einer Lebenswelt, in der sich das Leben über Generationen hinweg vollzogen hatte und die den Geist der Ahnen beherbergte. Sie waren ein Ort, wo sich Telos, Ziel und Sinn bäuerlichen Lebens manifestierten. All dies schwingt im kollektiven Bewusstsein heute noch immer mit und vermag entsprechende Stimuli zu liefern, gleich in welcher Form der Bauernstube – von der gehobenen modernen Interpretation bis hin zum groben Kitsch. Die Erinnerung haftet an allem.

Fotos:

© Damian Lukas Pertoll


verfasst von

Manfred Russo

Kultursoziologe und Stadtforscher. Er war zuletzt Professor an der Bauhaus-Universität Weimar. Langjährige Lehrtätigkeit an der Universität Wien und anderen Hochschulen, im Vorstand der ÖGFA, Sprecher Sektion Stadtforschung der österreichischen Gesellschaft für Soziologie, zahlreiche Studien und Ver­öffentlichungen zum Thema Stadt, zuletzt: Projekt Stadt. Eine Geschichte der Urbanität, 2016 bei Birkhäuser.

Erschienen in

Zuschnitt 49
Holz im Alter

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Zuschnitt 49 - Holz im Alter