Zum Hauptinhalt springen

Theaster Gates

Der Afroamerikaner Theaster Gates verkörpert einen neuen Typus Künstler, der den Begriff der Mehrfachrollen im Kunstbetrieb weiter ausdehnt als jeder andere seiner Kollegen.

erschienen in
Zuschnitt 52 Holz im Sakralbau, Dezember 2013
Sie besuchen eine Archiv-Seite. Möglicherweise sind nicht alle Darstellungen korrekt.

Der 1973 geborene afroamerikanische Künstler Theaster Gates studierte Keramik, Religionswissenschaften und Stadtplanung. Neben seinem künstlerischen Schaffen und seinen soziokulturellen Projek­ten engagiert er sich in gemeinnützigen Vorständen und unterrichtet an der University of Chicago. Gates verkörpert einen neuen Typus Künstler, der den Begriff der Mehrfachrollen im Kunstbetrieb weiter ausdehnt als jeder andere seiner Kollegen. Wenn man Andy Warhol einen business artist ­nennen konnte (wie er es übrigens selbst tat), so müsste man Theaster Gates als development artist bezeichnen. 2009 renovierte er zusammen mit arbeitslosen Jugendlichen aus seiner Nachbarschaft ein zweistöckiges Abbruchhaus an der Dorchester Avenue im Süden Chicagos. Das Ergebnis war ein Hybrid aus Installation und Kulturzentrum, das in dem von Leerstand und sozialen Problemen gepräg­ten Viertel neue Impulse setzte. Das Projekt war so erfolgreich, dass im Laufe der Zeit weitere Häuser dazukamen, die unter den Bezeichnungen »The ­Archive House«, »The Listening House«, und »Black Cinema House« unterschiedliche Funktionen erfüllen und dem Viertel neue Infrastrukturen zur Verfügung stellen. Darunter finden sich 14.000 ­Bücher aus den Beständen einer in Konkurs gegangenen Kunst- und Architekturbuchhandlung, die Sammlung von Glasdiapositiven des Instituts für Kunstgeschichte an der University of Chicago sowie 8.000 Schallplatten aus dem ehemaligen Musikladen Dr. Wax. Gates künstlerische Praxis erinnert stark an ökonomische Kreisläufe, die allerdings nicht an Gewinnmaximierung interessiert sind, sondern dem Gemeinwohl seiner unmittelbaren Lebens- und Arbeitsum­gebung verpflichtet sind.

Materialien, die im Zuge der Renovierung aus der Gebäudesubstanz gewonnen werden, wie etwa alte Fensterahmen, Holzbret­ter und Reste von Möbeln, werden zu Skulpturen, Objekten und Installationen weiterverarbeitet, ausgestellt und letztlich am Kunstmarkt verkauft. Die daraus erhaltenen monetären Mittel fließen wiederum in die von Gates gegründeten Organisationen wie die Rebuild Foundation, die sich um die Häuser der Dorchester Avenue kümmert und ähnliche Projekte in Omaha und St. Louis betreut. Die hier ab­gebildete Arbeit »Double Cross« war Teil der Ausstellung 13th Ballad, die Gates heuer im Chicagoer Museum of Contemporary Art zeigte. Die Installa­tion beinhaltete Gegenstände aus einer früheren Ausstellung (documenta 13) sowie ausrangierte ­Kirchenbänke. Die alten Holzbänke, die aus einer Kapelle auf dem Campus der University of Chicago stammen, wurden von der Universitätsleitung als Zeichen religiöser Toleranz entfernt, um für muslimische Studenten einen Ort des Gebetes zu schaffen. Diese »gefundenen« Möbel ohne Funktion und Aufbewahrungsort griff Gates auf und integrierte sie in seinen künstlerischen Kreislauf. Gates’ Inter­esse an Spiritualität und Toleranz gegenüber unter­schied­lichen Glaubensrichtungen spiegelt sich auch in der Wahl des Doppelkreuzes wieder. Es ist eine Referenz an die Hugenotten, die im 16. und 18. Jahrhundert als Protestanten in Frankreich religiös verfolgt wurden und in Preußen Asyl fanden. Die Gegenstände, die Gates ähnlich Reliquien in kleinen Nischen platzierte, stammen aus der Ausstellung 12 Ballads for Huguenot House, die der Künstler 2012 auf der ­documenta 13 zeigte und die als ­Symbol säkularisierter Erneuerung gesehen ­werden können.

Theaster Gates

geboren 1973 in Chicago
lebt und arbeitet in Chicago
1996/2006 Urban Planning, Ceramics, Religious Studies, Iowa State University
1998 Fine Arts, Religious ­Studies, University of Cape Town

Einzelausstellungen (Auswahl)

  • 2013 My Back, My Wheel and My Will, White Cube, São Paulo; White Cube, Hongkong; 13th Ballad, mca Chicago, ­Chicago
  • 2012 My Labor Is My Protest, White Cube, London; 12 Ballads for Huguenot House, documenta 13, Kassel
  • 2011/12 The Listening Room, Seattle Art Museum, Seattle
  • 2011 An Epitaph for Civil Rights, Museum of Contemporary Art, Los Angeles

Gruppenausstellungen (Auswahl)

  • 2013 Radical Presence: Black Performance in Contemporary Art, Grey Art Gallery, New York University, New York; Studio Museum in Harlem, New York
  • 2012 Radical Presence: Black Performance in Contemporary Art, Contemporary Arts ­Museum Houston, Houston
    Beyond Beauty, Twig Gallery, Brüssel
  • 2011 Music and Dance (Art Video), Art Basel Miami Beach, New World Center und SoundScape Park, Miami Beach

Performances (Auswahl)

  • 2012 Opening Performance, mit den Black Monks of Mississippi, 12 Ballads for Huguenot House, documenta 13, Kassel
  • 2011 Dave the Potter, mit den Black Monks of Mississippi, Artist Lecture Series, Anderson Ranch Arts Center, Snowmass Village/Colorado

Fotos:

© MCA Chicago/Nathan Keay


verfasst von

Stefan Tasch

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Edinburgh, arbeitet als freier Kurator

Erschienen in

Zuschnitt 52
Holz im Sakralbau

Holz gibt dem Glauben einen Raum. Mit seiner Haptik und Sinnlichkeit erfüllt Holz das Bedürfnis nach Präsenz, Transzendenz, Atmosphäre und Erhabenheit gleichermaßen.

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 52 - Holz im Sakralbau