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Autobahnkirche Siegerland

erschienen in
Zuschnitt 53 Digitaler Holzbau, März 2014

Daten zum Objekt

Standort

Elkersberg/DE Google Maps

Bauherr:in

Förderverein Autobahnkirche Siegerland, Burbach/DE

Architektur

schneider +schumacher, Frankfurt am Main/DE, www.schneider-schumacher.de

Statik

B+G Ingenieure, Frankfurt am Main/DE, www.bollinger-grohmann.com

Holzbau

Holzbau Amann GmbH, Weilheim-Bannholz/DE, www.holzbau-amann.de

Fertigstellung

2013

Typologie

Sakralbauten

Das ist Parametrik!

Zwei spitz endende Türme und ein kompaktes Langhaus signalisieren jedermann (und hätten auch schon unseren Vorfahren im Mittelalter signalisiert): Dies ist eine Kirche, ein Ort des Innehaltens, der Ruhe, des Schutzes. Genauso unverkennbar aber verkünden die Umrisse der Autobahnkirche Siegerland, dass man es mit einem gänzlich neuen Bauwerk zu tun hat: Aus Keilen, Schrägen, trapezoiden und dreieckigen Formen zusammengefügt, ist diese Architektur sichtlich dem von Computern und Formeln geschulten, abstrahierenden Denken unserer Tage entsprungen, ebenso das kristallin schimmernde Weiß des Außenbaus. Man verbindet es unwillkürlich mit dem Flirren der Animationen auf unseren Bildschirmen. In der Wirklichkeit der Autobahnkirche sorgt dieses weiße Strahlen, geschaffen von einer Polyurethan-Sprühabdichtung, für eine gleichermaßen anziehende und distanzierende, man kann auch sagen: ehrfurchtgebietende Atmosphäre.

»Er hat seinen Engeln befohlen, dich zu behüten auf allen deinen Wegen.« Dieser Satz aus dem biblischen Psalm 91 steht am Eingang der Autobahnkirche. Zwei Schritte weiter findet der Besucher den Trost, der diesen Worten innewohnt, in Baukunst übertragen: Eine schwingende feingliedrige Innenkuppel aus Holzrippen überfängt den Raum. Wie die hauchdünnen Dienste und Rippen spätgotischer Kathedralen steigen 66 Holzspanten als Streben vom Boden auf, biegen sich zu Halbkreisen und überschneiden sich rautenförmig mit den anderen zu einem schier unendlichen Netz. Zusätzliche Magie entfaltet der sorgfältig inszenierte Einfall des Tageslichts, das über Öffnungen in den Türmen auf den Chorraum samt Altar geleitet wird. Die Grundstimmung, die dieser Raum erzeugt, ist zusammengesetzt aus Feierlichkeit, Ruhe, Stille; hier findet jeder zu Andacht. Wer diesen Raum betritt, fühlt sich sofort geborgen und erhoben.

Erst wenn die Überwältigung abgeklungen ist, fallen einem Vergleichsbeispiele ein. Das bernsteinfarbene Leuchten der samtig oszillierenden Holzwände lässt an die Beschreibungen von Hans Poelzigs legendärer »Zauberhöhle« denken, das 1919 eröffnete Große Schauspielhaus in Berlin, das seinen Namen warmgelb strahlenden Innenkuppeln und StalaktitenPfeilern verdankte. Die Geschmeidigkeit wiederum, mit der die Innenkuppel den Raum formend umschließt, ruft Otto Bartnings berühmte Sternkirche in Erinnerung. Und die suggestive Lichtregie schließlich ähnelt dem Lichtkult in Le Corbusiers Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp. Angesichts solcher Vergleichsbeispiele möchte man umso weniger glauben, dass die Autobahnkirche ihre Erscheinung einem, wie schneider+schumacher betonen, parametrischen Entwurfsverfahren auf der Basis komplexer Computerprogramme verdankt. Da dem aber so ist, rückt der Bau in die kleine Riege von Gegenwartsarchitekturen, die CAD-Programme als Hilfsmittel und nicht als Dominante ihrer Gestaltwerdung nutzen. Dieter Bartetzko

Wenn man eingeladen wird, über eine Autobahnkirche nachzudenken, erwartet man natürlich nicht unbedingt eine pittoreske Alpenlandschaft, mit Alm im Vordergrund und dahinter das Matterhorn; aber ein 20 Meter hoher Pylon mit Werbetafeln von Burger King und eine Lkw-Waschanlage schüchtern schon ein wenig ein, wenn man auf einem riesigen Parkplatz steht und einen Ort der inneren Einkehr und der Stille errichten möchte. Ein nur gut gestaltetes Gebäude würde hier fehl am Platze sein und die Trostlosigkeit der »Gute-Laune-Architektur« von Burger King und den anderen noch steigern. Dieser Ort wollte mit den eigenen Mitteln geschlagen werden: ein Schild zu bauen, ein abstraktes Zeichen zum Gebäude zu machen, und das auf eine Art zu tun, die es dem Betrachter ermöglicht, ständig die Rezeptionsebene zu wechseln, konkret, abstrakt, dreidimensionale Skulptur oder zweidimensionales Zeichen. Als Material verwendeten wir preiswerte OSB-Platten, industriell gefertigte Platten, die aus zusammengepressten Holzspänen bestehen und die dadurch homogen und richtungslos in Bezug auf die Struktur sind. Ein grobes, direktes Material, robust und gut für diesen Ort. Außerdem schaffen sie eine warme und behagliche Atmosphäre im Innenraum.

Die Programmierung für die Fräse, die aus den rechtwinkeligen OSB-Platten sehr unterschiedlich geformte Segmente für die Kuppel herausschneiden musste, stammte von schneider+schumacher. Das ist Parametrik, eine Möglichkeit, wie wir im 21. Jahrhundert zu Qualitäten beim Bauen zurückfinden können, die vor der industriellen Revolution durch das damals viel preiswertere Handwerk möglich waren. Sie erlaubt es, mithilfe von Computerprogrammen Prozesse oder Bauteile zu optimieren und die Auswirkungen auf das Gesamtsystem permanent zu überprüfen. Es geht dabei auch immer um einen ressourcenschonenden Umgang mit Materialien. Michael Schumacher

 

Die Texte von Dieter Bartetzko und Michael Schumacher sind Auszüge aus dem Buch »Autobahnkirche Siegerland«, herausgegeben von Helen Schiffer, Frankfurt am Main 2013.


verfasst von

Dieter Bartetzko

geboren 1949, deutscher Architekturkritiker und Publizist, Redakteur im Feuilleton der F.A.Z.

Michael Schumacher

Architekt, seit 1988 führt er gemeinsam mit Till Schneider das Architekturbüro schneider + schumacher
www.schneider-schumacher.de

Erschienen in

Zuschnitt 53
Digitaler Holzbau

Der Computer ist längst mehr als nur ein Hilfsmittel, er führt uns in eine neue Welt der Möglichkeiten – man muss nur genau wissen, wohin man will.

8,00 €

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Zuschnitt 53 - Digitaler Holzbau