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Holzkonstruktionen, digital fabriziert
Forschungsprojekte von Gramazio & Kohler

Zwei Schweizer Architekten errichteten zuerst Ziegelmauern mit Hilfe von Robotern. Jetzt fertigen sie komplexe Holztragwerke mit der maschinellen Unterstützung und achten dabei auf minimalen Materialverbrauch.

erschienen in
Zuschnitt 53 Digitaler Holzbau, März 2014
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Lässt man die Architektur der letzten zwanzig Jahre Revue passieren, so zeichnen sich zwei gegenläufige Trends ab. Einerseits experimentieren die Protagonisten eines digitalen Entwerfens mit Formen und Strukturen, welche die Bedingtheiten traditioneller Tektonik hinter sich lassen und nur mithilfe des Computers erzeugt werden können. Andererseits suchen die Vertreter einer handwerklich orientierten Architektur nach der Haptik und Sinnlichkeit des Materials.

Modernistische und traditionalistische Ansätze scheinen gemeinhin unvereinbar. Doch kann das, was die Geister scheidet, auch zusammengedacht und zusammengebracht werden. Das beweisen Fabio Gramazio und Matthias Kohler, die nicht nur ein gemeinsames Architekturbüro in Zürich leiten, sondern auch seit 2005 eine Professur für Architektur und digitale Fabrikation an der eth Zürich innehaben. Bekannt wurden Gramazio & Kohler zunächst durch den Einsatz von Robotern beim Mauern von Wänden. Die Ziegelsteine werden dabei nicht mehr
mit Mörtel verfugt, sondern vom Roboter platziert und verklebt. Das ermöglicht nicht nur beliebige, händisch nicht zu erzeugende Formen des Mauerwerkverbunds, sondern auch optisch reizvolle Phänomene – durch Ausdrehung der Backsteine können pixelartig Bilder generiert werden.

Nahezu zeitgleich begannen die Architekten, mit Holz zu arbeiten. Ging es bei den Backsteinwänden um die Potenziale des Fügens von vorhandenen modularen Elementen, nämlich Normziegeln, so erweiterte sich die Versuchsanordnung bei den Holzprojekten um einen Parameter, nämlich die Länge. Bei den bisherigen und in Planung befindlichen Projekten dienen Holzbalken oder stäbe mit einem festgelegten Querschnitt als Ausgangsmaterial. Der programmierte Roboter längt ab und fügt die Teile zu einer Struktur zusammen. In Seminaren an der eth Zürich haben Gramazio & Kohler diverse Einzelaspekte untersucht. Bei dem Projekt »Die sequenzielle Wand« (2008) wurden aus Holzstäben frei geformte Wandelemente realisiert, die nicht nur statischen Anforderungen genügten, sondern auch einen Wetterschutz ermöglichten. Funktionen, die im traditionellen Holzbau mit einer verschindelten Fachwerkkonstruktion zu erzielen sind, werden mit einem einzigen Ausgangsprodukt erfüllt, und überdies zeigen die unterschiedlichen Wandelemente Ansätze für eine neue Ästhetik des Holzbaus. In einem weiteren Forschungsprojekt widmen sich Gramazio & Kohler komplexen Raumtragwerken aus Holz (»komplexe Holztragwerke«), wobei individueller Zuschnitt kleinteiliger Elemente und minimaler Materialverbrauch wichtige Vorgaben sind.

Das bislang größte Holzprojekt entsteht von 2014 bis 2016 auf dem Campus Hönggerberg der ETH Zürich. Direkt neben der bestehenden Architekturfakultät wird das Forschungsgebäude Arch_Tec_Lab für das Institut für Technologie in der Architektur (ita) realisiert. Das Bauwerk besteht aus einer Produktionshalle, in der vier kopfüber installierte Roboter als Kern einer flexiblen Fabrik der Zukunft fungieren. In den zwei Geschossen darüber sind die Professuren sowie die Arbeitsräume der Studierenden untergebracht. Die Professur Gramazio & Kohler ist für das frei geformte, insgesamt 2.300 m2 messende Dach aus Holz verantwortlich. Die Struktur besteht aus 168 unterschiedlich geformten, aus kleinen Stücken von Fichtenholz mit handelsüblichem Querschnitt assemblierten Trägern, die in die Primärkonstruktion eines Stahltragwerks eingespannt sind und 14,7 Meter überspannen. Die individuelle Formung jedes Elements erlaubt es, je nach Position im Dach ganz unterschiedliche Anforderungen zu berücksichtigen: den Einfall des Tageslichts, aber auch technische Elemente wie Sprinkler, Lüftungsanlagen oder künstliche Beleuchtung. Denkbar sind auch Anwendungen im größeren Maßstab – die aktuelle Limitierung gibt der Aktionsradius der Roboter vor.

Die sequenzielle Wand, ETH Zürich, 2008

 

Forschung und Entwicklung

Architektur und Digitale Fabrikation, ETH Zürich, Zürich/CH, www.dfab.arch.ethz.ch
Mitarbeiter: Silvan Oesterle (Projektleitung), Ralph Bärtschi, Michael Lyrenmann

Industriepartner

Literatur

The Robotic Touch – How Robots Change Architecture
Fabio Gramazio, Matthias Kohler, Jan Willmann (Hg.)
Zürich 2014, Euro 48,–

Das sequenzielle Dach, ETH Zürich, 2010

 

Forschung und Entwicklung

Architektur und Digitale Fabrikation, ETH Zürich, Zürich/CH, www.dfab.arch.ethz.ch
Mitarbeiter: Aleksandra Anna Apolinarska (Projektleitung), Michael Knauss, Jaime de Miguel, Selen Ercan, Olga Linardou

Planung

Arch_Tec_Lab Dach AG, Zürich/CH

Bauherr

ETH Immobilien, Zürich/CH, www.immobilien.ethz.ch

Experten

  • Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure ag, Zürich und Luzern/CH, www.luechingermeyer.ch
  • sjb.kempter.fitze ag, Herisau/CH, www.sjb.ch
  • ETH Zürich, Zürich/CH, www.ethz.ch: Prof. Dr. Josef Schwartz, Prof. Dr. Andrea Frang
  • Estia pse/Parc Scientifique de l’epf Lausanne, Lausanne/CH, www.estia.ch

Industriepartner

Erne AG Holzbau, Laufenburg/CH, www.erne.net

Fotos:

© Architektur und Digitale Fabrikation, ETH Zürich


verfasst von

Hubertus Adam

ist freier Architekturkritiker, Architekturhistoriker und Kurator. Nach Jahren als Redakteur für Bauwelt in Berlin und archithese in Zürich leitete er von 2010 bis 2015 das S AM Schweizerisches Architekturmuseum in Basel. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und ist für diverse Medien im In- und Ausland tätig.

Erschienen in

Zuschnitt 53
Digitaler Holzbau

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Zuschnitt 53 - Digitaler Holzbau