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Pop-up-Häuser in London

erschienen in
Zuschnitt 62 Schneller wohnen, Juni 2016

Daten zum Objekt

Standort

London/UK Google Maps

Bauherr:in

YMCA London South West, London/UK, www.ymcalsw.org

Architektur

Rogers Stirk Harbour + Partners, London/UK, www.rsh-p.com

Statik

AECOM, London/UK, www.aecom.com

Holzbau

Insulshell by SIG plc Building Systems, Sheffield/UK, www.sigplc.com

Fertigstellung

2015

Typologie

Wohnbauten

Leicht aufbaubar und leicht demontierbar

Der Mangel an leistbarem Wohnraum in Großbritannien ist zu einer großen sozialen Herausforderung geworden, zumindest in der reichen südlichen Landeshälfte. Mehrere aufeinanderfolgende Regierungen haben es verabsäumt, ausreichend Wohnungen zu bauen. Jährlich werden in Großbritannien zwischen 120.000 und 140.000 Wohneinheiten errichtet. Stimmen aus der Bauindustrie sagen, dass es jährlich bis zu 100.000 Einheiten zu wenig sind. So wird das Defizit an Unterkünften jedes Jahr größer, das bringt besonders in London große Probleme mit sich. Hier konzentrieren sich die Bauträger auf das obere Marktsegment.

Ausländische Investoren kaufen Luxuswohnungen zu unvorstellbaren Beträgen, dadurch steigen auch in anderen Marktsegmenten die Preise, und das Wohnen in der Hauptstadt wird für viele Menschen, die für das Funktionieren der Stadt notwendig sind, wie Lehrer, Krankenschwestern oder Polizisten, ganz zu schweigen von den Armen und Obdachlosen, unerschwinglich. Nicht umsonst wird London manchmal auch als Dubai an der Themse bezeichnet.

Britische Architekten haben sich in den letzten Jahren intensiv an der Debatte um die Immobilienkrise beteiligt und immer wieder mit Entwürfen, bei denen die Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit sowie die Designqualität im Mittelpunkt standen, auf das Thema aufmerksam gemacht.

Rogers Stirk Harbour + Partners (RSHP), ein Architekturbüro, das vor zehn Jahren aus der Richard Rogers Partnership entstand, ist ein namhaftes Beispiel dafür. Es hat zwei solcher Projekte entwickelt: den Y:Cube und das Ladywell Pop-Up Village. Sowohl der Y:Cube, eine Zusammenarbeit mit YMCA, der Young Men’s Christian Association in West London, als auch das Ladywell Pop-Up Village für die Bezirksverwaltung von Lewisham wurden aus vorgefertigten Modulen errichtet.

Die tragende Struktur der Module ist ein Holzrahmenbau aus Brettschichtholz, innen verkleidet mit MDF- oder Gipskartonplatten, außen mit bunten Faserzementplatten. Die Module werden in der Fabrik vorgefertigt, inklusive der gesamten technischen Gebäudeausrüstung, bevor sie von Sattelschleppern zu den jeweiligen Standorten in London transportiert werden.

Richard Rogers, einer der bekanntesten britischen Architekten, war in der Vergangenheit vor allem für Hightech- und insbesondere für Stahlbauten bekannt. Dazu zählt eines der höchsten Gebäude der Londoner City, das im letzten Jahr fertiggestellte Leadenhall Building, das auch als »Cheesegrater« (Käsereibe) bezeichnet wird. Das Architekturbüro kann allerdings auch einige Gebäude aus Holz vorweisen, darunter das Parlamentsgebäude für Wales und Londons erste Academy-Schule, die Mossbourne School aus der Zeit der Labour-Regierung von Tony Blair. All diese Projekte wurden vom Senior Partner Ivan Harbour geleitet. Harbour war stark an der Entwicklung von vorgefertigten Bauteilen vor allem aus Holz beteiligt.

Der Y:Cube im Stadtteil Mitcham im Süden Londons ist das erste Wohnprojekt, das nun mit vorgefertigten Bauteilen aus Holz realisiert wurde. Das dreigeschossige Gebäude besteht aus 36 Wohneinheiten und einem Büro und befindet sich an einer ruhigen Straßenecke in der Vorstadt. Die Wohnungen dienen als temporäre Unterkünfte für gefährdete Jugendliche. Die Wohnfläche von 26 m2 umfasst ein Wohnschlafzimmer, einen Küchenbereich und ein Bad/WC. Die Miete beträgt nur 65 % der in diesem Stadtteil gängigen Mietpreise und die Stromrechnung – dank der guten Isolierung – lediglich Pfund 10,– pro Monat. Das einzig sichtbare Holz an dem Wohnbau sind die Stützen aus Brettschichtholz, welche die breiten, offenen Gehwege auf jeder Etage tragen. Die bunten Fassaden, ein Versuch, das stringente Design der volumetrischen Boxen auszugleichen, wirken inmitten der kleinen, einstöckigen Vorstadthäuser, die sich in Mitcham über Kilometer erstrecken, ungewohnt.

In Lewisham High Street, einem anderen Teil der endlosen Vorstadt im Süden Londons, wird mit dem Ladywell Pop-Up Village gerade das zweite Projekt im Rahmen dieses Programms fertiggestellt. Hier werden Varianten der Y:Cube-Box für größere Wohngebäude mit vier Etagen eingesetzt. Die Wohnflächen betragen 75 m2 für Familien von zwei bis vier Personen. Es gibt 24 Wohnungen für 94 Personen, wobei auch Flüchtlinge und Obdachlose inkludiert werden sollen, die kurzfristig Unterkünfte benötigen. Die Module können wieder zerlegt werden, so wurde mir dies bei meinem Besuch mitgeteilt, die Bezirksverwaltung kann die Einheiten verlegen und sie ohne erhebliche Zusatzkostenan einem anderen Ort im Stadtteil wieder aufstellen. Der Anteil an Holz in jeder Einheit beträgt etwa 60 Prozent, wobei die Tragstruktur 30 bis 40 Prozent ausmacht. Sowohl die hochwertige Isolierung, die eine Luftundurchlässigkeit von 0,17 erreicht, und die Akustik scheinen wirksam zu sein. Der starke Verkehrslärm draußen war nicht zu hören. Die Einheiten werden mit einer 60-Jahr-Garantie geliefert. Abgesehen von den Holzfaserplatten,die bei den Gehwegen außen und den Stiegenhäusern zwischen den Etagen und Einheiten verwendet werden, ist jedoch nicht erkennbar, dass bei diesen Gebäuden Holz eingesetzt wird. Ladywell ist damit ein weiteres Beispiel für ein Gebäude, bei dem Holz nicht die Optik prägt.

RSHP setzt derzeit große Hoffnungen darauf, dass das modulare System bald stärker verwendet und auf den Markt gebracht wird und bei unterschiedlichen Großprojekten zum Einsatz kommt. Entscheidend für die Langlebigkeit und den Erfolg dieser ersten Versuche wird aber wahrscheinlich sein, wie die Menschen, die darin wohnen, sie annehmen und – vielleicht noch wichtiger –wie sie sich für die Bauherrn bewähren.


verfasst von

Oliver Lowenstein

ist Chefredakteur von Fourth Door Review, einem britischen Kultur- und Öko­logiemagazin. www.fourthdoor.co.uk

Erschienen in

Zuschnitt 62
Schneller wohnen

Allenthalben muss Wohnraum geschaffen werden, am besten rasch und qualitätvoll zugleich. Da ist Holz das Material der Wahl, weil flexibel, nachhaltig sowie schnell und ausreichend verfügbar. Und es bringt Atmosphäre, Behaglichkeit und Wertschätzung gleich mit.

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Zuschnitt 62 - Schneller wohnen

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