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Tennishallen-Zwillinge

erschienen in
Zuschnitt 73 Unter Spannung, März 2019

Daten zum Objekt

Standort

Obbürgen/CH Google Maps

Bauherr:in

The Bürgenstock Selection, Katara Hospitality Switzerland AG, Zug/CH

Architektur

Rüssli Architekten, Luzern/CH, www.ruessli.ch

Statik

neue Holzbau AG, Lungern/CH, www.neueholzbau.chBesmer Holzingenieure GmbH, Sattel/CH, www.holzmitschwung.ch

Holzbau

neue Holzbau AG, Lungern/CH, www.neueholzbau.ch

Spannweite

22 x 37 m

Fertigstellung

2017

Stabförmiges Faltwerk

Game, Set and Match. Das ist seit gut einem Jahr in den beiden Tennis- und Eventhallen auf dem Bürgenstock wieder möglich. Seit damals ist das Resort auf dem Bergrücken im Schweizer Kanton Nidwalden – von der Stadt Luzern eindrücklich sichtbar – wieder in Betrieb. Rüssli Architekten aus Luzern erhielten den Auftrag und realisierten zwischen 2011 und 2017 neben zwei Hotelbauten auch die beeindruckenden Tennishallen.

Eingebettet in den Hang, anstelle der Vorgängerhallen über einem bewaldeten Bereich platziert, flankieren zwei gedeckte Innenplätze symmetrisch einen mittigen Außenplatz, der im Winter ein Eisfeld ist. Die beiden spiegelgleichen Hallen wirken von außen fast unprätentiös mit einer zurückhaltenden Dacheindeckung aus grauen Aluminiumpaneelen. Die polygonale Dachaufsicht mit verschiedenen Dachneigungen von 18, 32 oder 45 Grad soll in der Flaniermeile rund um die Hotelanlage an Bergkristalle erinnern.

Ursprünglich war ein Stahlbau mit Glaseindeckung vorgesehen. Wegen der großen Temperaturschwankungen auf 874 Metern über dem Meer und den damit einhergehenden Materialdehnungen rieten die Bauingenieure aber zu einer Variante aus Holz. Das Tragsystem ergab sich aus räumlichen, funktionalen und statischen Überlegungen. So strebte man einen sowohl festlichen als auch puristischen Raum an, der für Veranstaltungen und Sportaustragungen gleichermaßen gut funktioniert. Die Dachform sollte mit einer maximalen Höhe in Dachmitte von 11,4 Metern der Ballwurflinie gerecht werden und dennoch keine hallenhafte Wirkung bekommen. Zudem reduziert sich mit einer räumlichen statt einer linearen Tragwirkung die statische Höhe.

Das Rautensystem lässt sich in Kategorien einteilen: die Primärträger, die an den Dachfalten als Gratträger angeordnet sind; die Sekundärträger, die als Einfeld- und Biegeträger zwischen den Primärträgern spannen; die Füllhölzer, die zusammen mit den Sekundärträgern das Rautensystem bilden; die Schwellen, die das Tragwerk zusammenschließen; die Mehrschichtplatten, die die Dachscheiben bilden und die Rauten versteifen. Die einwirkenden Kräfte werden von der Dachplatte über die Sekundärträger in die Primärträger geleitet. Diese stützen sich gegenseitig in einer Rahmenwirkung und sind somit nicht nur auf Biegung beansprucht, sondern erfahren auch hohe Druckkräfte. Am Auflager wirkt zudem seitlicher Schub. Dieser wird von einem Stahlprofil mit einer höherfesten Stahlqualität von S355, welches am Dachauflager als Zugring wirkt, aufgefangen. Die Tragelemente bestehen aus Brettschichtholz verschiedener Festigkeitsklassen. Die meisten haben die Basisfestigkeit GL24. Damit hochbeanspruchte Bauteile aber ebenso groß dimensioniert werden konnten wie die weniger beanspruchten, wurden sie in hochwertigem Brettschichtholz der Festigkeitsklassen GL28 und GL32 gefertigt. Über das gesamte System mit Rauten und Füllhölzern, die einen Querschnitt von 160 mal 520 mm aufweisen, wurde eine 60 mm dünne Mehrschichtplatte verlegt und mit einer Verschraubung befestigt.

»Wir haben das statische System so geformt, dass die meisten Dachrauten untereinander als Druckrauten funktionieren. Bei jenen mit großem Druck wird die Last über Baubuchenzapfen eingeleitet, bei den anderen über normale Zapfen, alle sind mit Vollgewindeschrauben gesichert. Bei den Dachrauten, die Zug aufweisen, wurden die Anschlüsse mithilfe eines von uns entwickelten Hochleistungsverbindungsmittels ausgeführt: Stahl-Gewindestangen, die mit Epoxidharz in Brettschichtholz eingeklebt werden. Die Mehrschichtplatte auf dem Dach wurde auf die Rauten geschraubt und funktioniert statisch als Scheibe. Sämtliche aus dem Dach resultierenden Lasten werden über eine umlaufende ›Stahlprofilschwelle‹ aufgefangen und auf die vertikalen Stützen abgetragen.«

Thomas Steiner, neue Holzbau AG

An vielen Stellen treffen mehrere Träger aneinander. Auf halber Höhe des Dachs sind es sogar fünf Primärträger in einem Knoten. Hier sind die Kräfte groß. Sie sollten aus gestalterischer und statischer Sicht dennoch möglichst einfach miteinander verbunden werden; Stahlteile sollten möglichst unsichtbar sein. Bei klassischen Verbindungen würden allerdings Schlupf- und Montagetoleranzen zu großen Deformationen an der Schwelle führen. Mit einem spezifisch für dieses Projekt entwickelten Vergussstoß ließen sich die Träger bündig, präzis und kraftschließend verbinden. Dabei wurden Gewindestangen mit Epoxidharz in das Brettschichtholz eingeklebt. Sobald alle Knoten ausgehärtet und die vier Gerüsttürme entfernt waren, war der direkte und schlupffreie Kräftefluss gewährleistet, wobei die Knoten neben Druck auch Querkraft und Momente um die starke Trägerachse aufnehmen.

Die Dachkonstruktion lagert auf allen vier Seiten auf 4,2 Meter hohen Brettschichtholzstützen. Die beiden baugleichen Hallen sind dabei auf drei Seiten hangseitig von mit Muschelkalkplatten verkleideten Betonwänden eingefasst. Auch sie tragen mit und stabilisieren das System. Die vierte Seite ist eine Glasfront. Die ungleiche Lagerbedingung – an drei Seiten »starre« Betonwände und an der Südseite die vergleichsweise »nachgiebige« Glasfassade – führt auch bei symmetrischen Belastungen zu asymmetrischen Dachverformungen. Um diese Verformungen im Endzustand zu reduzieren, ließen die Bauingenieure das Tragwerk leicht überhöht montieren und die glasfassadenseitigen Stützen während der Bauphase leicht schräg nach innen einbauen. Beim Absenken der Montagetürme drehten sich diese ins Lot. Trotz der großzügigen Spannweiten über der Hallenfläche von 22 mal 37 Metern wirkt die Tragkonstruktion aus Fichten- und Tannenholz schlank und fast zierlich – nicht direkt durch die Materialisierung, sondern vor allem durch die Formgebung.

Videos


verfasst von

Clementine Hegner-van Rooden

Clementine Hegner-van Rooden ist diplomierte Bauingenieurin (ETH), freie Publizistin und Fachjournalistin.

Erschienen in

Zuschnitt 73
Unter Spannung

Ob große Spannweiten, hohe Räume oder ungewöhnliche Kubaturen, im Holzbau kann der Ingenieur aus dem Vollen schöpfen. Spannendes und Informatives rund um den Ingenieurholzbau.

8,00 €

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Zuschnitt 73 - Unter Spannung

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