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Nachgefragt
Ein- oder mehrschichtig, hybrid oder monomateriell?

erschienen in
Zuschnitt 75 Potenzial Holz, September 2019

 

 

Was verstehen vier ausgewiesene Holzbauspezialisten unter Materialoptimierung? Im Gespräch mit den Architekten Tom Kaden, Martin Mackowitz, Florian Nagler und Roland Winkler.

Eins vorweg: Das Thema Materialoptimierung ist für jeden unserer Gesprächspartner ebenso aktuell wie komplex und es reicht weit über die sparsame, materialreduzierte Verwendung von Holz hinaus.

»Wir gehen zu verschwenderisch mit allen Ressourcen um«, lautet die Einleitung zu Florian Naglers Plädoyer für einen ökonomischen Materialeinsatz, den er wie der Berliner Tom Kaden auch darin sieht, Holzarten sinnvoll nach den ihnen innewohnenden Stärken einzusetzen. Während Ersterer auf unsere Vorväter verweist, die genau wussten, wofür sich jede Holzart speziell eignet, und das Beispiel des traditionellen Baues von Schlitten mit Esche nennt, ist es bei Kaden + Lager die Verwendung von Buche für eine Holzverbunddecke in einem ihrer Mehrgeschossbauten. Sie erlaubte wesentlich schlankere Querschnitte und somit, nur »so viel Holz wie notwendig« verwenden zu müssen.

»Aufgabe und Material müssen sich befreunden«, formuliert es der in Schlins tätige Architekt Martin Mackowitz poetisch und meint damit, dass sich schon die konzeptuelle Lösung dem gewählten Material anpassen muss, um effizient bauen zu können.
Roland Winkler hat während seiner langjährigen Tätigkeit als Architekt zu einer radikalen Haltung gefunden. Der Holzbau werde in seiner Entwicklung immer wissenschaftlicher, immer komplexer, und die Lehre hinke nach. Das führe zu einer Lücke zwischen Wissen und Anwendung. »Davongaloppierende Normen« trügen das Ihre dazu bei, dass Bauschäden vorprogrammiert seien. Sein Ansatz: Aufbauten wieder vereinfachen und reduzieren, im besten Fall auf eine Schicht – auf den Stamm.

Die Voraussetzung dafür ist auch hier ein Entwurf, der direkt aus den Eigenschaften des Materials abgeleitet wird. Was anachronistisch klingt, konnten Winkler + Ruck in einem kleinen Ferienresort im Wald auf der Turracher Höhe umsetzen. Der Baumstamm bedingt die Größe und Form der Räume. Nachhaltiger Nebeneffekt: Für die drei Blockhäuser – schlank wie Türme – mussten nicht mehr als drei Bäume gefällt werden.

Den Gedanken des sinnvollen Vereinfachens können die anderen Gesprächspartner mittragen, allerdings sehen sie in ihrer Arbeit nicht nur die Notwendigkeit des hybriden Bauens, sondern auch Vorzüge dieser Bauweise, die Holz, Beton und Stahl ihren Stärken nach kombiniert. In seinem Selbstverständnis ist Florian Nagler dennoch ein »typischer Holzbauer«, der den Weg des reinen Holzbaus nicht verlässt. Er wolle bei jeder Aufgabe mit den Vorzügen des Holzes auch deshalb zurechtkommen, weil die Ressourcen für Stahl und mineralische Stoffe weltweit rasend schnell abgebaut werden. Materialoptimierung im reinen Holzbau ist also auch eine Lösung für eine nachhaltige Entwicklung des Bauens.

Für Tom Kaden liegt die Optimierung des Bauens mit Holz für Bauten von bis zu acht Geschossen im Hybridbau – anschaulich gemacht an der Stadtsiedlung Neckarbogen in Heilbronn, die als Wohnbau auch hohen Anforderungen an Schall- und Brandschutz genügen muss. Martin Mackowitz lehnt Konstruktionen als zu kompliziert ab, wenn man »dafür Bauphysik studiert haben muss«, hat jedoch grundsätzlich nichts gegen Hybride und nennt konkret die Anschlüsse bei Knoten. Im weitesten Sinn ist Materialoptimierung für ihn eine »Veredelung, in der jedes Material sich dort befindet, wo es ruhen kann« – und seine Stärken ausspielt. Die Übung ist, meint er, immer wieder von Neuem dieses Gleichgewicht zu finden.

Für Roland Winkler liegt das Hybride in der Natur der Sache, etwa, indem man dem Holz, das nicht auf dem Boden liegen mag, einen Sockel aus Stein oder Ortbeton gibt. Wichtig sei, dass bei dieser Reduktion des Bauens auf eine Schicht jeder der Bauteile in guter Qualität und handwerklich sehr gut ausgeführt sein muss, denn: Rohbau ist Ausbau. Dem Mehrverbrauch an Masse stellt er den geringeren Energieverbrauch gegenüber, weil Dämmmaterial und Kunststofffolien, die mit hohem Energieaufwand hergestellt und transportiert werden, wegfallen. Nachhaltigkeit sei auf der Turrach auch dadurch gegeben, dass man die Häuser in ferner Zukunft »auf Null abtragen« kann. Solch konsequente Haltung beeindruckt Tom Kaden, wenngleich er die Herausforderung nicht in weiteren Leuchtturmprojekten sieht, sondern darin, Holz im Bereich des Geschossbaus als Selbstverständlichkeit zu etablieren und damit den Anteil am Holzbau bundesweit zu erhöhen.

Stehen einfaches Bauen und Materialoptimierung einander im Wege? Kann sein, meint Florian Nagler. Etwa, wenn einfaches Bauen mit hohem Materialeinsatz einhergeht. Das bringt größeren Ressourcen- und Energieverbrauch, etwa durch Transportkosten. Sogleich folgt das Aber: Ein Mehr an Speichermasse kann wiederum gegengerechnet werden.
Technologischer Fortschritt, darin sind sich alle einig, ist kein Widerspruch zum einfachen Bauen. Im Gegenteil: Digitale Werkzeuge wie CNC-Fräsen ermöglichen es, Holzverbindungen präzise und rasch herzustellen, die früher mit großem Aufwand handwerklich gefertigt wurden.

Materialoptimierung – das ist die Conclusio aus den Gesprächen – ist eine komplexe, vielschichtige Herausforderung, an die alle vier Architekten differenziert und von unterschiedlichen Seiten herangehen. Sie kann nicht pauschal für jede Bauaufgabe gelöst werden. Aspekte der Ressourcenschonung, der Sparsamkeit und Nachhaltigkeit müssen für die Konzeption eines Entwurfs immer wieder von Neuem durchdacht werden. Nicht allein Tragwerk und Gewicht dürfen Kriterien für die Wahl des Materials sein, sondern auch seine haptische Qualität und seine gestalterischen Möglichkeiten. »Das Umdenken beginnt schon«, konstatiert Florian Nagler als Lehrender an der TU München. »Wir brauchen noch viel Forschung«, fügt Tom Kaden am anderen Ende Deutschlands zwei Wochen später hinzu. »Über die Beobachtung des Materials kann ich viel lernen«, meint Martin Mackowitz. »Ein vielfältiges Geflecht« sei die Materialoptimierung, findet Florian Nagler. Jeder Zugang ist anders, jeder ist gut.

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verfasst von

Karin Tschavgova

studierte Architektur in Graz, seit langem freie Fachjournalistin und Architekturvermittlerin, Lehrtätigkeiten an der TU Graz

Erschienen in

Zuschnitt 75
Potenzial Holz

Wir können mehr mit Holz bauen und dabei mehr endliche Ressourcen ersetzen, wenn wir ressourceneffizientere Lösungen entwickeln, das Material länger im Kreislauf halten und auch andere Holzarten vermehrt stofflich nutzen. Das Potenzial von Holz ist längst noch nicht ausgeschöpft.

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Zuschnitt 75 - Potenzial Holz