Hightech aus Holz
Zellulose, der wichtigste Holzbestandteil, ist unbestritten das auch men­
genmäßig weltweit wichtigste organische Polymer. Sie ist die Gerüstsub­
stanz der gesamten pflanzlichen Natur und wird von ihr beispielsweise im
Hochleistungsverbundwerkstoff“ Holz als leistungsfähige Verstärkungs­
faser eingesetzt. Sie ist ein multifunktionales, polymorphes Molekül und
hat ein Struktur- und Eigenschaftsspektrum, das bis heute von keinem
synthetischen Polymer erreicht wird. Zurzeit werden weltweit etwa
5
Mil­
lionen Tonnen unterschiedlichster Spezialprodukte pro Jahr aus
Dissolving“-Zellstoff hergestellt. Es handelt sich dabei um Chemikalien
und Werkstoffe für eine Vielzahl von segmentierten Märkten in Hightech-
Anwendungen.
Die größte Bedeutung dabei haben heute Regeneratzellulosefasern, die
entweder nach dem Viskoseverfahren auf dem Wege einer Derivatisierung
oder nach dem Lyocellverfahren durch Direktlösung in N-Methylmorpho­
linoxid (
nmmo
)
großtechnisch ­hergestellt werden. Regeneratfasern weisen
ein ­unvergleichliches Eigenschaftsspektrum für eine Vielzahl von Anwen­
dungen im Bereich Textilien, Hygieneartikel und technische Produkte auf.
Zellulosefasern schmelzen nicht, sie sind einerseits mechanisch, thermisch
und chemisch sehr stabil und können andererseits durch geeignete Fär­
be-, Ver­edelungs- und Derivatisierungsreaktionen sehr ­effizient modifi­
ziert werden. Mit weich fließenden Konturen und brillanten Farben bieten
sie eine ­ansprechende Haptik und Optik. Der Schlüssel zur herausra­
genden physiologischen Kompatibilität von Zellulosefasern ist die Fähig­
keit der Zellulose, Feuchtigkeit aufzunehmen, zu speichern und abzuge­
ben. Bei nicht absorbierenden Materialien, wie zum Beispiel Polyester,
kondensiert die Feuchtigkeit als Wasserfilm auf der Faseroberfläche.
Zellulose­fasern hingegen absorbieren die Feuchtigkeit: Das Wasserma­
nagement ist das Geheimnis des Tragekomforts und wurde als Hightech-
Funktionalität für Textilien bionisch entwickelt. Selbst wenn Zellulosefa­
sern zu hundert Prozent feucht sind, befindet sich das gesamte Wasser – da
es durch die Porenstruktur aufgenommen wurde – im Inneren der ­Fasern.
Dort ist es verantwortlich für die hohe Wär­mespeicher­kapazität und -iso­
lation, für die aktive Feuchte- und Thermoregulation. All das hat auch
neutrale elektrische Eigenschaften (relevant für Elektrostatik und Elektro­
smog) und ein für Hygiene und Geruch bedeutsames stark gehemmtes
Bakte­rienwachstum zur Folge. Weitere spezifische Eigenschaften der Zel­
lulose ermöglichen darüber hinaus ihren Einsatz beispielsweise als Folien,
selektive Trennmem­branen und hoch poröse Schwammstrukturen.
Mit steigender Nachfrage
Andere sehr spezifische Eigenschaften der Zellulose wiederum kommen
erst nach ihrer Derivatisierung zum Tragen. Insbesondere die Fähigkeit
feinster ­Zellulosepulver oder mehr oder weniger wasserlöslicher orga­
nischer Zelluloseäther (Carboxymethyl-, Methyl-, Äthylzellulose usw.), die
Rheologie fluider Systeme gezielt zu beeinflussen, ist die Voraussetzung
für ihre Verwendung als Verdickungsmittel für Druckfarben, Leime in der
Papierindustrie, Kosme­tika und Lebensmittel, aber auch als strukturvis­
koses Additiv in Zement und Mörtel und bei der Erdölförderung. Zellulo­
seacetate mit den spezifi­schen Filtrations- und Adsorptionseigenschaften
kommen als Fasern in Zigarettenfiltern zum Einsatz, ihre unübertroffenen
optischen Eigenschaften machen sie zum wichtigsten Rohstoff für foto­
grafische Filme und als polymerer Werkstoff bringen sie neben der mo­
dischen Gestaltbarkeit auch alle anderen ­Eigenschaften für mechanisch
höchst beanspruchte fragile Brillengestelle mit. Als Nitrozellulose kom­
men Eigenschaften wie Oberflächenaktivität, Schlagfähigkeit, Transpa­
renz und Farbbrillanz insbesondere als brillante Druckfarben und hoch­
wertige Lacke für die Holz-, Metall-, Papierindustrie und als Nagellack zur
Geltung.
Hemizellulosen und seltene Zucker (
15
30
Prozent der Holzsubstanz)
liegen bereits heute bei der Zellstofferzeugung in großer Menge gelöst in
den diversen Prozessmedien vor. In beschränktem Umfang haben sie dem­
entsprechend auch schon Eingang in eine Reihe spezifischer Anwendun­
gen im Lebensmittel-, Pharma- und technischen Bereich gefunden.
Anders ist die Situation bei Lignin, dem dritten Hauptbestandteil von
Holz. Über die thermische Verwertung der ligninhaltigen Prozessmedien
und ein paar kleinere Anwendungen von Lignosulfonaten und Derivaten
von Kraftlignin hinaus wäre der Durchbruch für eine stoffliche Nutzung
erst auf der Basis einer großtechnischen Verfügbarkeit von schwefelfreiem
Lignin zu erzielen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass mehrere Trends derzeit die
Umsetzung des Konzepts der Holzraffinerie, speziell aber eine Renais­
sance von Produkten aus Regeneratzellulose erwarten lassen. Die auch
Polyesterfaser
Trocken:
d= 
11 
µm
Trocken:
d= 
10,5
µm
Nass (
100
%):
Wasserfilm
bildet sich
auf der Faser
Nass (
100
%):
d= 
16,2
µm
Wasser wird im Inneren der
Faser absorbiert, sie quillt
50
%
Dicklauge
zur Energiegewinnung
39
%
Zellstoff
11
%  
Essigsäure, Xylose,
Furfural
Zellulosefaser