Gut in Form
Holzfasern – mechanisch aufgeschlossen
Derzeit kommen vor allem Hybridfasern ins Auto: Die nur wenige Millime­
ter langen Holzfasern werden mit längeren Fasern aus einjährigen Pflan­
zen wie Hanf, Flachs und Kenaf vermischt, um die Formbarkeit zu verbes­
sern. Üblich ist auch das Verfilzen der Holz- mit Kunststofffasern bzw. das
Mischen mit Kunstharzen. Weil diese beim heißen Pressen aufschmelzen,
können Biegsamkeit, Steifigkeit und andere Materialeigenschaften opti­
mal gesteuert werden.
Während die formbaren Holzfasermatten noch in überschaubarem Maß
produziert werden, sind Holzfaserplatten längst ein bedeutender wirt­
schaftlicher Faktor: Hartfaserplatten werden in der Bau­industrie genauso
wie in Laminat-Fußböden verwendet, mitteldichte Faserplatten sind ein
Klassiker in jeglichen Möbelstücken und porösere Leichtfaserplatten kom­
men etwa in der Wärmedämmung zum Einsatz. Je nach Dichte des Mate­
rials ist also alles drin.
Der Ausgangsstoff ist dabei immer derselbe: aufgeschlossene Holzfasern.
Das bedeutet, dass Hackschnitzel, Spreißeln und andere Reste aus dem
­
Sägewerk in heißem Dampf aufgeweicht und anschließend in einem Mahl­
werk, dem so genannten Refiner, zerfasert werden. Je nach Anforderung
werden Druck, Hitze oder auch Chemikalien zugesetzt, um die Trennung
in einzelne Fasern zu erleichtern. Verwendet wird jedes Holz, das zu be­
kommen ist, „ vor allem Fichte und Kiefer“, wie Ulrich Müller vom Kompe­
tenzzentrum Wood K plus erläutert. „In einer Studie haben wir aber bis zu
zwanzig verschiedene Arten in Faserplatten gefunden, darunter Birke,
Buche, Eiche, Pappel und Weide.“ Die längsten Fasern haben Nadelbäume
mit maximal
7,5
mm, Laubbaumfasern erreichen gerade einmal
1,5
mm.
Sind die Fasern aufgeschlossen, werden sie im Nass- oder Trockenverfah­
ren zunächst zu Matten weiterverarbeitet, die anschließend zu Platten
gepresst werden können. Beim Nassverfahren werden die Fasern in Was­
ser aufgeschwemmt und die holzeigenen Bindekräfte des Lignins akti­
viert, wodurch keine oder nur geringe Mengen an Kleber notwendig sind.
Häufiger ist das Trockenverfahren, bei dem die trockenen Fasern mit Leim
besprüht und dann komprimiert werden.
Auch wenn die Anwendungen noch rar sind – ­Forscher arbeiten daran,
die Holzfaser möglichst naturrein in Szene zu setzen, als Basis für biolo­
gisch abbaubare Verpackungen genauso wie für Shampoo-Flaschen. Und
auch sichtbare Autoausstattungen aus Holz- und anderen Naturfasern für
ökologisch durchdachte Fahrzeug-Designs sind bereits in Entwicklung.
Die Chance besteht also, dass Produkte aus Holzfasern aus ihrem versteck­
ten Dasein hervortreten und sich auch abseits der schnöden Faserplatte
so richtig durchsetzen.
Es lässt sich kaum glauben – aber in vielen Autos steckt mehr Holz, als
man vermuten würde. Es sorgt nicht nur immer öfter in Form von Holzfa­
sermatten für schlanke Türverkleidungen im Innenraum, auch andere Bau­
teile wie Hutablagen, Armaturenbretter und Sitzschalen können aus den
leichtgewichtigen Fasermaterialien bestehen. Schließlich gilt es in Zeiten
des ökologischen Umdenkens gerade für Automobilbauer, jedes überflüs­
sige Gramm abzuspecken, um Sprit zu sparen. Da sind Naturstoffe ein
willkommener grüner Lichtblick. Die Hersteller setzen insbesondere in der
Premium-Sparte auf Holzfasern: Diese verstärken zum Beispiel die Türen
des neuen
3
er-
bmw
.
Die Methode, Holzfasermatten bei hohen Temperaturen und unter Druck
in die passgenaue Form zu pressen, hat schon einige Jahre auf dem Bu­
ckel, angesichts eines Trends zu naturbasierten Werkstoffen könnte sie
jetzt aber eine Renaissance erleben. Formgebende Komponenten auf Ba­
sis von Holzfasern versprechen immerhin eine Gewichtsersparnis von bis
zu
30
Prozent gegenüber herkömmlichen Kunststoffen und glasfaserba­
sierten Materialien. Dazu kommt eine geringere Verletzungsgefahr im Fall
eines Crashs: Der Werkstoff kann viel Stoßenergie aufnehmen und split­
tert nicht.
Ein fast noch stärkeres Argument ist die Akustik“, meint Rupert Wimmer
vom Institut für Naturstofftechnik am
ifa
-
Tulln der Universität für Boden­
kultur in Wien. „Während Verkleidungen aus Kunststoff einen hohlen
Klang erzeugen, wirken Naturfaserwerkstoffe schallabsorbierend.“ Gar
nicht zu sprechen vom Öko-Touch, den die Ausstattung mit ­erneuerbaren
Rohstoffen den Fahrzeugen verleiht.
Genau die Nähe zum Natürlichen ist aber Wimmer zufolge auch ein mög­
licher Nachteil: Die Natur­faserwerkstoffe geben nach dem Einbau noch
ihre spezifischen Duftnoten ab. „Die Substanzen, die verdunsten, können
im Extremfall auf Fensterscheiben eine leichte Trübung verursachen“,
nennt ­Wimmer ein weiteres Manko. Sind Naturfasermaterialien länger ho­
her Feuchtigkeit ausgesetzt, könne zudem Schimmel entstehen. Mittler­
weile hat man diese Probleme aber gut im Griff.
Die Kunden erwarten in einem Neuwagen den Geruch von Lederimprä­
gniermittel“, erläutert Rupert Wimmer. Das sei einer der Gründe, warum
die Holzfaserverkleidungen nach wie vor ein Nischenprodukt sind. „Die
Perfektion, die auch die Hersteller erwarten, läuft oft dem entgegen, was
die Natur bieten kann.“ Dass die Autofahrer noch nicht bereit sind für die
pure Natur, zeigt sich auch daran, dass die Bauteile aus Holzfasern stets
mit Textilien, Kunststoff oder Leder kaschiert werden.
Karin Krichmayr
Karin Krichmayr
geboren
1979
in Linz, seit
2005
Mitarbeiterin der
­
Tageszeitung Der Standard
20
I 21
Holzfasern
zuschnitt
48.2012