Holzraffinerie
Chemische Verarbeitung von Holz
Die stoffliche Nutzung bringt den Mehrwert
Die Suche nach Mitteln und Wegen, um Basischemikalien auch aus alter
nativen Rohstoffen herzustellen, hat infolge des nachhaltig gestiegenen
Preisniveaus von Rohöl voll eingesetzt. Dabei führt kein Weg an der un
vergleichlichen Basis lignozellulosischer Substrate – in erster Linie Holz –
vorbei. Holz und seine Inhaltsstoffe sind viel zu wertvoll, um allein als
Träger von Primärenergie verwendet zu werden. Die stoffliche Nutzung
bringt den Mehrwert. Den Energiewert kann man nach dem Einsatz als
Konsumartikel noch immer durch thermische Verwertung gewinnen. Am
Beispiel eines Hemdes aus Zellulosefasern wird deutlich, dass der Preis
des Rohstoffes für das Endprodukt nur untergeordnete Bedeutung hat:
Nur
1
Prozent des Endverkaufspreises eines Hemdes sind vom Faserpreis
bestimmt. Die Differenz ist Wertschöpfung über mehrere Schritte aufwen
diger Weiterverarbeitungsprozesse. Während die Arbeitsintensität steigt,
sinken Technologie- und Kapitalintensität von Stufe zu Stufe. Der Druck
zur Abwanderung in Billiglohnländer ist daher in der Konfektion am größ
ten. Die Endverbrauchermärkte für High-End-Produkte sind hingegen vor
rangig in den westlichen Industriestaaten zu finden.
Eine Fraktionierung des Holzes mit darauffolgenden getrennten Nut
zungsstrategien für die einzelnen chemischen Bestandteile ist sinnvoll.
Dem entspricht die Best Practice heutiger Zellstofffabriken, bei denen
die Zellulose als festes polymeres Ausgangsmaterial für weitere stoffliche
Nutzung gewonnen und das in der Kochlauge gelöste Lignin verbrannt
wird. Der Brennwert von Lignin, das viele aromatische Gruppen beinhaltet
und etwa
30
Prozent des Holzes ausmacht, beträgt
25
bis
26
mj ⁄
kg. Zellu
lose und Hemizellulosen – reine Kohlehydrate – hingegen haben mit
16
bis
18
mj ⁄
kg einen wesentlich niedrigeren Brennwert. In einer modernen
„
Holzraffinerie“ wie Lenzing werden deshalb neben dem Hauptprodukt
„
reine Zellulose“ (Chemiezellstoff) für Chemiefasern ganz gezielt eine Rei
he von Feinchemikalien auf Basis von Hemizellulosen und signifikante
Energiemengen auf Basis von Lignin gewonnen.
Österreich ist einer der größten Schnittholzproduzenten Europas und
weltweit einer der wichtigsten Exporteure von Zellstoff und Zellstoff
produkten. Mit einem Produktionswert von etwa
11
Milliarden Euro (etwa
3,6
Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung) wird ein Exportüber
schuss von
3,8
Milliarden Euro erwirtschaftet. Der Großteil davon stammt
aus der chemischen „Veredelung“. Damit ist der Sektor gleich hinter dem
Tourismus der größte Devisenbringer des Landes: Holz ist der wichtigste
Bodenschatz Österreichs.
Angesichts der hohen Erdölpreise nimmt die energetische Nutzung von
Holz stetig zu: Die Nachfrage nach Energieholz stieg allein zwischen
2005
und
2010
in Österreich von
14,9
auf
24,3
Millionen Festmeter – eine Ent
wicklung, die sich auch weiterhin fortsetzt. Dabei sollte die Förderung der
energetischen Nutzung von Holz eher mit Blick auf die gesamtheitliche
Betrachtung der Wertschöpfung von Holz erfolgen.
Ein grundsätzlich neues Preisszenario ist aber auch unabhängig von der
energetischen Perspektive für nahezu alle organisch-chemischen Pro
dukte, die in überwältigender Mehrzahl auf Erdöl basieren, von ausschlag
gebender Bedeutung. Für polymere Werkstoffe, von Massenprodukten bis
hin zu hoch funktionalen Spezialmaterialien, gilt, dass das mittelfristige
Marktpotenzial streng von ihrem Preisniveau bestimmt ist. Ein nachhaltig
gestiegenes Ölpreisniveau lässt neue Materialien, Chemikalien und
Energieträger auf der Basis von Holz und Zellulose in bisher noch nicht
vorstellbarem Ausmaß erwarten. Es ist mit grundlegenden Änderungen
der Verbrauchsmuster zu rechnen.
In der Vergangenheit konnte beispielsweise die Zunahme des weltweit mit
der Bevölkerung und dem Lebensstandard steigenden Faserbedarfs (der
zeit rund
74
Millionen Tonnen mit etwa
2
bis
3
Prozent Steigerung im Jahr)
durch vollsynthetische, auf Erdöl basierende Fasern gedeckt werden. Die
Baumwollproduktion, die auf sehr begrenzt verfügbares fruchtbares
Ackerland angewiesen ist, kann nicht weiter ausgebaut werden. Nun las
sen sich speziell die hervorragenden physiologischen Eigenschaften von
Zellulosefasern in Textilien durch Synthetics nicht wirklich ersetzen. Selbst
bei gleichbleibenden Preisen wird deshalb die Nachfrage nach Zellulose
fasern nicht nachlassen. Verstärkt durch eine langfristige Verschiebung
des Ölpreisniveaus ist abzusehen, dass es zu einer massiven Angebotslü
cke bei Cellulosics und damit zu hervorragenden Chancen für qualitativ
gleichwertige Zellulosefasern auf der Basis von Holz kommen wird.
Haio Harms
Holzflüsse in Österreich
2010
in Mio. Festmetern pro Jahr
Quelle:
aea,
Landwirtschaftskammer Österreich, in
bfw
Praxis Information
28
-
2012
,
S.
6
Forstwirtschaft
20,8
Säge
18,8
Holzprodukte
8,6
Energie
24,3
Papier
Chemie
Import
8,2
>
Import
2,8
>
Import
7,3
>
Import
5
>
Zellstoff
8,1
N u t z h o l z
S c h n i t t h o l z
8
I 9
Holzfasern
zuschnitt
48.2012