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Im Winter sollten geschickte Holzhauer die großen Bäume schlagen, damit sie beim
Fallen nicht splitterten. Durch die Verwendung von Sägen war der Verlust geringer als
bei der Bearbeitung mit der Axt. Noch vor dem Frühjahr musste das Holz abgefahren
werden, damit die Verjüngung nicht beschädigt wurde.
Holländerholz: Im schweizerischen Aargau wachsen riesige Tannen. Mindestens 130 Schuh
Höhe mussten sie haben, um sie als Mastbäume zu Flößen gebunden den Rhein hinunter nach
Holland zu bringen. Denn nur die größten Bäume mit bestimmten Maßen kamen für den langen
und teuren Transport infrage.
komprimiert die Lehre seines Buches und die forstliche Erfahrung
vieler Jahrhunderte in nur zwei Worten: „nachhaltende Nutzung“.
Diese Wortschöpfung ist neu, vor ihm hat sie noch niemand ver-
wendet. Mit dem Begriff der „nachhaltenden Nutzung“ setzt er
die Vision einer vom Menschen gestalteten Ordnung gegen den
Horror eines nachlässigen und gedankenlosen Plünderns, das für
die Nachkommen Chaos bedeutet.
Ansätze nachhaltiger Forstwirtschaft gab es auch schon vor
Carlowitz, aber er ist der Erste, der es „ins Wort“ bringt, dem es
gelingt, die Idee der ethischen Verantwortung zwischen den
Generationen in einem Begriff zu fassen. Nachhaltende Nutzung
wurde nach Carlowitz nochmals zu Nachhaltigkeit verdichtet und
zum Leitgedanken der sich in der Aufklärung entwickelnden
Forstwissenschaft.
Industrielle Revolution: Emanzipation vom Wald
Im
19
. Jahrhundert führt vor allem die Dampfmaschine und die
sich daran anknüpfende industrielle Revolution zu einem rapide
wachsenden Energiebedarf, der unmöglich aus den Vorräten der
Wälder gedeckt werden kann. Der Rohstoff Holz wird knapp.
Einen Ausweg bieten die in Fülle vorhandenen „unterirdischen
Wälder“ aus Steinkohle, die mit Nachdruck erschlossen werden.
Das ermöglicht Energieverzehr und Wachstum, die keine Grenzen
zu kennen scheinen. Mit der neuen, erdgeschichtlichen Energie
löst sich die Produktion von den als Fesseln empfundenen nach-
wachsenden Rohstoffen. Mit der industriellen Revolution beginnt
nun ein fossiles Zeitalter, das nicht mehr von den Früchten der
eigenen Zeit lebt, sondern die Speicher der Vergangenheit ver-
zehrt. Kohle, Erdgas, Erdöl ersetzen seither Brennholz; Stahl,
Glas, Beton verdrängen Bauholz.
Das hat auch positive Seiten, denn der Wald wird entlastet.
Die Forstwirtschaft kann so das Prinzip der Nachhaltigkeit
weiterentwickeln und in verschiedenen Varianten auf der Fläche
ausprobieren. Es muss aber angemerkt werden, dass die heutige
Forstwirtschaft zwar in sich nachhaltig ist, dies auf unser Wirt-
schaftssystem als Gesamtes jedoch in keiner Weise zutrifft. In der
Forstwirtschaft wurde der Schritt zur nachhaltenden Nutzung
tatsächlich erst vor
200
Jahren vollzogen, seitdem man an Forst-
schulen und Universitäten nachhaltige Forstwirtschaft lehrt und
weiterentwickelt. Erst durch Bildung wurde eine Tradition nach-
haltigen Denkens kultiviert. Im Forst ist im Gegensatz zu vielen
anderen Fragen unserer Zeit das Nachhaltige noch sehr konkret
und verständlich, es ist be-greifbar.
Nachhaltigkeit heute
Eine zweite Phase der Begriffsgeschichte beginnt mit dem
1987
veröffentlichten Bericht der Weltkommission für Umwelt und
Entwicklung, der meist als Brundtland-Bericht bezeichnet wird.
Darin wird, erstmals auf globaler Ebene, nachhaltige Entwicklung
definiert. Die
un
-Konferenzen für Umwelt und Entwicklung
1992
,
1997
und
2002
greifen dies auf und führen es fort. Hier geht es
um einen ganzheitlichen Ansatz, um die Integration von Umwelt-
schutz und Armutsbekämpfung, also um den Zusammenhang
zwischen globaler und intergenerationeller Gerechtigkeit. Im Kern
des Begriffs steckt nach wie vor das Prinzip, wie es von Carlowitz
beschrieben wurde, er führt jedoch weit über den Bereich der
Forstwirtschaft hinaus. Mit der Konferenz von Rio
1992
wurde
„sustainable development“ zum Programm für eine globale Part-
nerschaft mit den gleichberechtigten Zielen „ökologische Trag-
fähigkeit“, „soziale Gerechtigkeit“ und „wirtschaftliche Effizienz“
(Dreisäulenkonzept).
Der moderne, weite Nachhaltigkeitsbegriff und der forstlich-
technologische Nachhaltigkeitsbegriff haben als große Gemein-
samkeit ein Denken von der Zukunft her, das als Konsequenz
ein Handeln im Heute fordert. Beide Begriffe setzen auf ein
ethisches Bekenntnis zur Zukunftsverantwortung und Zukunfts-
gestaltung; sie fordern entsprechende technische und operative
Schritte.
Nachhaltigkeit ist heute ein Dachbegriff, der vieles integriert
und deswegen auch schwammig bleibt. Trotzdem ist der Begriff
heute unbedingt notwendig. Er ist sogar unentbehrlich, weil er
Brücken baut zwischen wirtschaftlichem Handeln und ethischer
Verantwortung, zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen Ur-
sache und Wirkung. Nachhaltigkeit führt weg von der Nachsorge
hin zur Vorsorge, weg vom linearen hin zum systemischen Denken.
Kein anderer Begriff bündelt in sich so sehr soziale, ökonomische
und ökologische Interessen im Hinblick auf zukunftsfähige Ent-
wicklung.
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Essay
zuschnitt
51.2013
Literatur
Sylvicultura oeconomica oder
Haußwirthliche Nachricht und
Naturmäßige Anweisung zur
Wilden Baum-Zucht
Hans Carl von Carlowitz
Joachim Hamberger (Hg.), oekom,
München
2013
, Euro
49,95
Joachim Hamberger
lehrt an der FüAk in Landshut, an der
tu
München und der Hochschule Weihen-
stephan-Triesdorf Forst- und Umwelt-
geschichte, er ist Vorsitzender des Vereins
für Nachhaltigkeit e. V. und Sprecher des
Bündnisses Nachhaltigkeit Bayern
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