Gespräch
„Der Wald ist ein Spiegel
unserer Gesellschaft“
Zeittafel
300
Jahre Wald in Österreich
Über den Wald kann man vieles sagen und vor
allem sehr Unterschiedliches. Er ist Auffang-
becken für allerlei Sehnsüchte und Hoffnungen,
er ist aber auch Rohstofflieferant und Arbeits-
platz für Menschen. Wir luden Felix Montecuccoli,
Großwaldbesitzer in Niederösterreich, und Arno
Ritter, Leiter von „aut. architektur und tirol“ und
Mitglied des Zuschnitt-Editorialboards, zu einem
Gespräch über den Wald ein.
Arno Ritter
Für Sie als Waldbesitzer ist Nachhaltig-
keit stark mit den Begriffen Eigentum, Familie und
Generationendenken verbunden. Als Rohstoffliefe-
rant sind Sie aber auch von einem neoliberal funk-
tionierenden ökonomischen System abhängig, in
dem der Nachhaltigkeitsgedanke noch keinen
Platz hat. Ist nicht der Begriff der Nachhaltigkeit,
als er vor
300
Jahren entstanden ist, nicht nur ein
ökologisch, sondern vor allem ein ökonomisch
gedachter gewesen?
Felix Montecuccoli
Nachhaltigkeit ist sicher ein
ökonomisches Konzept, Naturschutz nicht. Jeder
kleine Bub lernt von seiner Großmutter, dass es,
wenn er im Herbst kein Obst klaubt, im Frühjahr
keine Marmelade gibt. Diese Erkenntnis, umgelegt
auf eine größere Dimension, entspricht dem Begriff
der Nachhaltigkeit. Er ist also ein ökonomischer
Begriff und einer, der sich auf uns als Menschen
bezieht.
Arno Ritter
Im Nachhaltigkeitsdenken steckt ein
holistischer Ansatz, der aber laut Phillipp zu
Guttenberg, Vertreter der deutschen Waldbesitzer,
an den partikularen Interessen unserer Gesellschaft
derzeit oft scheitert. Stimmt das?
Felix Montecuccoli
Im Naturschutz geht es haupt-
sächlich um den Wald als biologisches und öko-
logisches System. Uns Waldbewirtschaftern geht
es aber darum, den Wald ökonomisch zu nutzen,
mithilfe von Kulturtechniken.
Arno Ritter
Die österreichische Forsttechnik ist
laut Gerhard Mannsberger, Leiter der Sektion Forst-
wesen im Lebensministerium, weltweit führend.
Hängt das mit einer K.-k.-Tradition zusammen oder
unter Umständen mit der Reaktion auf Hochwasser
und andere Naturkatastrophen und der Notwendig-
keit, zum Beispiel das Verhältnis von Wald und
Wasser zu verstehen?
Felix Montecuccoli
Das ist eine spannende Frage,
ich kann nur Vermutungen anstellen. Wahrschein-
lich hat es vor allem damit zu tun, dass wir ein Ge-
birgsland sind. Die von der Topografie vorgegebene
klassische Nutzung der Landschaft ist die Wald-
nutzung. Im Gebirge, das klingt ein wenig paradox,
ging der Holztransport früher leichter als im Flach-
land, da das Holz im Winter wegen des Schnees
leicht transportiert werden konnte und im Frühjahr
mithilfe eines aufgestauten Bachs ins Tal gebracht
wurde. In der Ebene musste man hingegen Tiere
vorspannen. Weiters spielt die Eigentumssituation
eine wichtige Rolle. Seit
1848
entstand im österrei-
chischen Wald im Zuge der großen Bodenreform
ein strukturiertes Eigentum. Die Eigentumsgrenzen
geben die Notwendigkeit der Betrachtung kleiner
Einheiten vor. Heute exportieren wir diesen Fokus
auf kleine Einheiten ins Ausland. Das ist unser
Geheimnis. Ich vergleiche unsere Art der Waldbe-
wirtschaftung mit der Knopfloch-Chirurgie, bei
der wir mit geringem Aufwand ganz gezielt auf das
Objekt eingehen, um mit einem minimalen Eingriff
einen maximalen Nutzen zu erreichen. Die Ameri-
kaner, Südamerikaner amputieren noch den ganzen
Fuß, nur um eine Zehe zu heilen.
1725
1715
1720
erste Waldbestandsaufnahme des Wienerwaldes aus Anlass der
Übernahme der Schulden von Kaiser Karl VI. durch die Hofbank
1713
Hans Carl von Carlowitz (
1645– 1714
) schreibt
„Sylvicultura oeconomica“
„Nachhaltigkeit ist ein ökonomisches Konzept,
Naturschutz nicht.“
Felix Montecuccoli