Gespräch
„Zahlen dürfen das Denken nicht überflüssigmachen“
Arno Ritter
Die Geschichte der Aufklä-
rung ist ein gutes Beispiel dafür, wieman
versucht hat, mithilfe von Zahlen, Daten
und faktenorientiertemWissen das
mythologische Denken und den Aberglau-
ben zu relativieren. Mein Problem heute
mit den rein auf Zahlen basierenden Be-
wertungen ist, dass diese einseitige Da-
tengläubigkeit zu einer Ideologie bezie-
hungsweise wieder zu einer Mythologie
geworden ist. Man glaubt nur mehr den
Zahlen und nicht mehr dem „Hausver-
stand“. Ichmöchte den Begriff Hausver-
stand nicht überstrapazieren, aber ichmei-
ne damit jene Art von Alltags- und
Erfahrungswissen, das zunehmend ausge-
klammert wird, indemmanden eigenen
Verstand und die Verantwortung an die
Technologie oder anNormen auslagert. Es
braucht diese Zahlen zum Erkenntnisge-
winn, sie werden nur zum Problem, sobald
sie eindimensional zuGesetzen undNor-
menwerden.
Hermann Kaufmann
Diese Gespaltenheit
habe ich auch erfahren, als wir die ökolo-
gischen Vergleiche für die Ausstellung
„Bauenmit Holz“ gemacht haben. Diese
Vergleiche waren sehr wichtig, um eine
handfeste Botschaft vermitteln zu können.
Dochwas heißt es, wenn ich
50
Prozent
CO
2
einspare? Ist es relevant, ist es nicht
relevant? Das sind sehr abstrakte Aussa-
gen. DieWissenschaft bemüht sich zu
wenig, die Bedeutung dieser Erkenntnisse
verständlich zu kommunizieren. Das wäre
aber eine wichtige Aufgabe.
Arno Ritter
Wenn ich erklären kann,
welche Konsequenzenmein Verhalten hat,
dann verstehen dieMenschen das. Die
letzten
20
bis
25
Jahre Ökologiebewegung
haben eine Sensibilisierungmit sich ge-
bracht. Trotzdem ist CO
2
etwas Abstrak-
tes, dennwir haben kein Bild davon, son-
dern nur Zahlen, die denMenschen nicht
nahegehen und damit zu keiner Konse-
quenz im Verhalten führen.
Gesprächmit HermannKaufmannundArnoRitter über die Berechnung von
Ökobilanzen und die damit verbundenenMöglichkeiten und Risiken solcher
Zahlenangaben und -vergleiche.
Fangen wir beim CO
2
an. Alle reden vom
CO
2
. Im Zusammenhangmit dem Bauen
mit Holz wird gerne auf die Vorteile von
Holz in Bezug auf die CO
2
-Einsparung und
die Klimaentlastung verwiesen. Und doch
bleibt CO
2
für diemeistenMenschen eine
abstrakte Zahl. Welche Rolle spielen solche
Zahlen in der Argumentation für nachhal-
tiges Bauen?
HermannKaufmann
Es ist eine Annähe-
rung, um überhaupt in eine Diskussion
einsteigen zu können. Wennwir über das
Thema CO
2
-Einsparung beim Bauen reden,
dann brauchenwir eine Grundlage, um
Vergleiche undQuantifizierungen vorneh-
men zu können. Das kannman nicht nur
mit demHausverstand beurteilen, dazu ist
dieMaterie zu komplex und das Thema zu
anfällig für Populismus.
Ökobilanzen
Holzbauweise imVergleich zu Standardbauweise
0
0
0
2
0,02
10
4
0,04
20
6
0,06
30
10
1,0
50
8
0,08
40
60
12
Vergleich Treibhauspotenzial in kgCO
2
-Äquivalent prom
2
Nettogeschossfläche und Jahr
Holz
Standard
Vergleich abiotisches Ressourcenpotenzial in kgAntimon-Äquivalent prom
2
Nettogeschossfläche und Jahr
Holz
Standard
Vergleich Primärenergieverbrauch für Herstellung, Instandsetzung und Entsorgung in kWh prom
2
Nettogeschossfläche und Jahr
Holz (Plusenergiestandard) – Primärenergie, nicht erneuerbar –
Primärenergie, erneuerbar
Standard (Passivhaus) – Primärenergie, nicht erneuerbar –
Primärenergie, erneuerbar
Schmuttertal-Gymnasium inDiedorf
Betrachtungszeitraum:
50
Jahre für Gebäude ohne Betrieb
Anne Isopp