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zuschnitt
65.2017
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Kreislauf Holz
Hermann Kaufmann
Sowohl der Betrieb
über eine bestimmte Lebensdauer –man
rechnet meistens mit fünfzig Jahren – als
auch die Entsorgungwerden normalerwei-
se in die Lebenszyklusbetrachtungmitein-
bezogen. Wenn ich die Lebensdauer aber
auf hundert Jahre ansetze, dann ist das
Ergebnis ein vollkommen anderes. Diese
Voraussagen, wie lange ein Gebäude sei-
nenDienst erfüllt, ein Bauteil funktioniert
beziehungsweise wann ich es auswechseln
muss, sind sehr komplexe und zugleich
vage Annahmen. Dass die Architektur auf
die Lebensdauer eines Gebäudes einen
wesentlichen Einfluss hat, wird viel zuwe-
nig beachtet. Nur wenn das Gebäude gut
entworfen ist, wird es aufgrund seiner Fle-
xibilität und schlauen Konstruktion eine
Chance haben, lange zu existieren. Darauf
wird viel zuwenig Rücksicht genommen
bei denÖkobilanzen.
Es geht um Effizienzsteigerung. Zum Bei-
spiel spielt dasMaterialgewicht bei der
ökologischenBewertung eine große Rolle:
Je leichter das Gebäude, desto besser die
Werte. Der NachhaltigkeitsexperteHolger
König hat, um zu erläutern, dass diesen
Umstand auch andere Industrien erkannt
haben, das Beispiel eines Fensterprodu-
zenten genannt. Dieser hat das aussteifen-
deMetallrohr durch Kunststoff ersetzt,
umGewicht einzusparen und damit in der
Ökobilanz besser abzuschneiden.
Ist das nicht das falscheMotiv?
HermannKaufmann
Mit Zahlen kann
man in jede Ecke gedrängt werden. Das
zeigt dieses Beispiel gut. Die große Gefahr
ist, dass mit sinnlosenMaßnahmen ver-
sucht wird, die vorgegebenen Zahlen zu
erreichen. Auch Zertifizierungen wie Leed
oder
dgnb
greifen in bestimmten Be-
reichen einfach zu kurz. Dawerden Punkte
für Eigenschaften generiert, die gar nicht
sowichtig sind, und Eigenschaften, die
wichtigwären, bekommen keine Punkte.
Gibt es denn Ansätze oder Möglichkeiten,
um ein Bild von so einer Zahl zu bekom-
men beziehungsweise eine Beziehung
zu einer so abstrakten Zahl aufbauen zu
können?
Arno Ritter
Wir haben zwei verschiedene
Ebenen der Betrachtung: die Ökobilanz im
Bauen und die Ökobilanz im Verhalten des
Nutzers eines Gebäudes. Dazu kommt
noch, was mit demGebäude am Ende sei-
nes Lebenszyklus passiert. Das erfordert
ein komplexes Denken, aber letztlich auch
ein sinnvolles Verhalten. Ein Passivhaus
auf der grünenWiesemit zwei Autos, die
ich jeden Tag benütze, hat trotzdem eine
schlechtere Energiebilanz als ein unge-
dämmter Altbau, dessen Bewohner alles
zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmit-
telnmachen.
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