zuschnitt 65 - page 14

HermannKaufmann
Ichmöchte zu einem
Statement von dir – „Zahlen dürfen das
Denken nicht überflüssigmachen“ – noch
gerne etwas sagen. Wir sind als Architek-
ten laufend zwischen diesen zwei Welten
unterwegs, der faktischen und der nicht
faktischen. Wir Architekten könnenmit
diesen Zahlen gut umgehen, wir können
sie interpretieren. Problematischwird es,
wenn der Architekt langsam aus dem
Bauprozess verschwindet und nicht mehr
der Garant dafür ist, dass die weichen
Faktoren in den Prozess integriert werden.
Arno Ritter
Die Zahlen undNormen dür-
fen nicht die Totengräber der Schönheit
und der Qualität werden.
HermannKaufmann
Die große Kunst ist
ja, trotz dieser Zahlen, trotz dieser Bedin-
gungen gute Architektur zumachen. Wir
wissen, dass das Bauen komplexer ge-
worden ist. Der Architekt ist heute viel
mehr gefordert als in früheren Zeiten. Mit
Zahlen, Daten und Fakten schlechte Ge-
bäude gutzureden, das passiert ja laufend.
Arno Ritter
Das hast du sehr schön for-
muliert, denn die Aufgabe besteht darin,
auf Basis von Zahlen und abseits von die-
sen einenMehrwert zu schaffen: Qualität,
Atmosphäre, Schönheit und kulturelle
Werte, die auf Dauer ausgelegt sind und
dadurch auch überdauern können. Die
Architektur ist keineWissenschaft, denn
der Entwurf ist dem Leben geschuldet.
Diese Reduktion auf Zahlen, ob das nun
das Gewicht oder der CO
2
-Speicher ist,
scheint mir auch als Argument für den
Holzbau –wenn er darauf reduziert wird –
eine Gefahr zu sein. Unser Anliegen ist
ja immer auch, die architektonische Quali-
tät in den Vordergrund zu stellen. Was
braucht der Holzbau wirklich, um eine
größere Akzeptanz zu bekommen?
Die deutsche Gesellschaft für Nachhal-
tiges Bauen hat mich gefragt, obwir nicht
ein Tool für das
dgnb
-Zertifikat entwickeln
können, mit demman auch die Architek-
turqualität quantifizieren kann. Das geht
aber nicht, das ist vollkommen unmöglich.
Arno Ritter
Da sindwir an einem sprin-
genden Punkt. Niemand traut sich heute
mehr zu sagen, dass etwas „stimmig“ ist
oder Qualität hat, ohne sich auf Daten zu
berufen. Wenn die technische und ökono-
mische Zweckrationalität in der Architek-
turbewertung aber zum Primat wird, sehe
ich das als Gefahr. Diese auf Zahlen fokus-
sierte Dynamik hat die Tendenz, letztlich
denMenschen überflüssig zumachen.
Die weichenQualitäten, die eigentlich das
Leben ausmachen –wie die Raum- und
atmosphärischenQualitäten – stellen kei-
nenWert mehr in dieser Bewertungslogik
dar, weil sie in Zahlen nicht zu fassen sind
und damit unter den Tisch fallen.
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13 15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,...28
Powered by FlippingBook