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zuschnitt
65.2017
Kreislauf Holz
„Der Lebenszyklus ist bei einemGebäude einwichtiges Kriterium. Genau
genommen ist alles Lebenszyklus. Es geht umDaseinsvorsorge. Wir haben
deshalb früh begonnen, unseren Lebensraum unter langfristigen Aspekten zu
betrachten und zu gestalten. Es braucht Mut, sich auf neue Dinge einzulassen,
Schwierigkeiten auszudiskutieren. Das ist Baukultur. Der Kindergarten ist also
kein plötzlicher Geistesblitz. Er ist das Ergebnis einer über Jahrzehnte ver-
folgten Strategie der Nachhaltigkeit. Das Prinzip der Nähe gehört auch dazu:
Holz ist der Baustoff aus den heimischenWäldern, wir haben ja genug davon.
Auchwenn es etwas teurer ist als imHandel, dieWertschöpfung bleibt imOrt.
Wennwir etwas machen, dannmachenwir es so gut wiemöglich. Das ergibt
mitunter höhere Baukosten. Wennwir aber den gesamten Lebenszyklus be-
trachten – die Erhaltung, die Betriebskosten, die Verwertbarkeit – stimmt die
Rechnung.
Der Mehraufwand beim Kindergartenwurde zudem durch eine besondere För-
derung vom Land Vorarlberg gestützt. Die Bedarfszuweisungen an die Gemein-
den sind seit einigen Jahren über den kommunalen Gebäudeausweis an ökolo-
gische Qualitätskriterien gekoppelt. Dass es diese Schiene gibt, daran sind die
Pilotprojekte unserer Gemeinde nicht unbeteiligt.“
JosefMathis war Bürgermeister von Zwischenwasser bis
2013
„Wir wagen etwas. Wir probieren etwas Neues aus.
Damit sindwir bisher gut gefahren. BeimKinder-
garten habenwir etwa durchgesetzt, dass wir keinen
Lift brauchen, wenn es eine barrierefreie Gruppe im
Erdgeschoss gibt. Die Raumhöhen konntenwir in
Absprachemit den Behörden etwas verringern. So
sparenwir Energie und Kosten ohne Einbußen bei
der Qualität. Aus derselbenÜberlegung heraus
bauenwir in Passivhausstandard oder verwenden
Photovoltaik. Die hochwertige Bauweisemit heimi-
schemHolz und natürlichenMaterialien kommt den
Nutzern zugute. Die Kinder und Pädagoginnen er-
fahren diesenMehrwert tagtäglich: das gute Klima,
die warmenOberflächen, den natürlichen Boden.
Die Sanierung des Gemeindeamts ein Jahr später
haben wir nach denselben Standards abgewickelt.
Den Leuten ist bewusst, dass die Gemeinde die
Latte hoch legt. Das hat Vorbildwirkung.“
Kilian Tschabrun ist seit
2013
Bürgermeister von Zwischenwasser
Ein Vorbild für den öffentlichen Bau
Sabine Erber
Der Kindergarten inMuntlix des Architek-
turbüros Hein ist in vielerlei Hinsicht ein
vorbildliches Gebäude. Es ist nicht nur
schön und städtebaulich gut gesetzt,
sondern auch ein Leuchtturmprojekt hin-
sichtlich Energieeffizienz und Ressourcen-
schonung.
Bereits im Jahr
2010
wurde die Gebäude-
richtlinie der
eu
veröffentlicht. Sie verlangt
ab
2019
, dass alle neu gebauten öffentli-
chen Gebäude in Europa „Fast-Nullener-
giegebäude“ sind. Ziel der Richtlinie ist es,
für den Betrieb von Gebäuden keine oder
nur Energie zu verbrauchen, die in nächster
Nähe erneuerbar hergestellt wird. Beim
Kindergarten handelt es sich um ein Passiv-
haus, das Flachdach ist mit einer nach
Osten undWesten sehr flach geneigten
Photovoltaikanlage belegt. Sie deckt,
bilanziell betrachtet, den gesamten Ener-
giebedarf für Heizen, Warmwasser und
Hilfsstrom. Die Verbräuche der ersten
zwei Jahre zeigen, dass das Gebäude in
der Nutzungmehr als ein echtes Null-
energiegebäude ist.
50
Prozent zusätzlich
zu den Verbräuchen im Jahresverlauf
wurden von der Photovoltaikanlage er-
wirtschaftet.
Ein gutes Vorbild ist das Gebäude auch
hinsichtlich der Verwendung von Lowtech-
Komponenten. Darunter verstehen wir
langlebige Bauteile, die in der Lage sind,
den Einsatz von kurzlebigeren haustechni-
schen Komponenten zu reduzieren. Im Fall
des Kindergartens muss hier zunächst auf
die hervorragendeHülle verwiesenwerden,
diemit einemU-Wert von
0,136
W⁄ m
2
K
hervorragende Dämmwerte bietet.
Außerdemwurde bei demGebäudemit
einemmassiven Lehmboden gearbeitet,
um ein verzögertes Auskühlen oder Erwär-
men des Gebäudes durch eingebauteMas-
se zu erreichen. Die Holzdecken erhalten
über einer Trennfolie einen Aufbau aus
Stampflehm, der phasenverzögerndwirkt.
Da der Fußbodenaufbau aus der Baugrube
entnommenwurde und das gesamte
Bauholz aus dem gemeindeeigenenWald
stammt, ist das Gebäude hinsichtlich seiner
grauen Energie, der Herstellungsenergie,
vorbildlich.
Der überwiegende Teil der Baumaterialien
wurde direkt vor Ort abgebaut, dieWert-
schöpfung fand in der Gemeinde statt,
transportiert wurde entweder gar nicht
oder nur wenige Kilometer weit. Wären
das Holz und das Bodenmaterial aus Ober-
österreich zugeliefert worden, hätte die
Errichtung inklusive der notwendigen Sa-
nierungen in den nächsten hundert Jahren
126
MWhmehr graue Energie benötigt.
Mit dieser Energie könnteman das Gebäu-
de fast zwei Jahre betreiben.
Der Kindergarten ist aber auch ein Beispiel
für vorbildhafte Schadstoffvermeidung.
Vor Inbetriebnahme wurde eine Luftmes-
sung durchgeführt, die sehr guteWerte
erbrachte. Die Anteile für flüchtige organi-
sche Verbindungen in der Raumluft lagen
unter
100
μg⁄ m
2
, die für Formaldehyd unter
der Nachweisbarkeitsgrenze. Zusätzlich
wurde einschließlich der Elektroverkabe-
lung konsequent
pvc
vermieden. Geholfen
hat hier die Prozessbegleitung durch das
Servicepaket „Nachhaltig:Bauen in der
Gemeinde“, das ökologische Zusatzbemer-
kungen für Leistungsverzeichnisse anbietet,
Leistungsverzeichnisse hinsichtlich Schad-
stoffen checkt, dieHandwerker zur Pro-
duktdeklaration verpflichtet und schließ-
lich auf der Baustelle auf Konsistenz mit
den deklarierten Produkten prüft.
Sabine Erber
Diplomingenieurin für Architektur, Mitarbeiterin
im Energieinstitut Vorarlberg, Spezialistin für Passiv-
häuser und energieeffizientes Bauen.
„Der Kindergarten ist das Ergebnis einer über Jahrzehnte verfolgten Strategie der Nachhaltigkeit“
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