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Nachgefragt bei Andi Breuss
Was ist beim Bauen mit Lehm und Stroh in der Praxis zu beachten?

erschienen in
Zuschnitt 87 Holz, Lehm, Stroh, Dezember 2022

Der Planer Andi Breuss hat langjährige Erfahrung im Bauen mit Holz, Stroh und Lehm. Ob Neubau oder Bestandserweiterung – seine Projekte sind maßgeblich durch die ­Verwendung naturverbundener Baustoffe geprägt. Das war nicht immer so. Wir haben nachgefragt, warum sich seine Architektur und sein Forschungsinteresse in diese Richtung entwickelt haben und was beim Bauen mit wenig etablierten und reglementierten Materialien wie Lehm und Stroh in der Praxis zu beachten ist.

Ihre Projekte bestechen neben formalen Aspekten vor allem durch den konsequenten Einsatz nachwachsender Materialien. Warum haben Sie diese Richtung eingeschlagen?

Andi Breuss Ich habe lange in einem klassischen Architekturbüro gearbeitet, wo die Wahl der Materialien von ihrer optischen Besonderheit und Extravaganz geleitet war. Wie diese Baustoffe hergestellt wurden oder ob sie für den Körper verträglich sind, spielte keine Rolle. Ich habe mich selbstständig gemacht, weil ich mit körper­verträglichen, natürlichen Materialien ­arbeiten wollte. Das Bauen mit Stroh und Lehm muss man sich selbst aneignen, da gibt es keine Ausbildung. Bauen mit Holz konnte ich im Postgraduate-Studium überholz an der Kunstuni Linz vertiefen.

Das Bauen mit Holz ist mittlerweile eta­bliert, Normen und Richtlinien sind vorhanden. Anders verhält es sich beim Bauen mit Lehm und Stroh. Wie wirkt sich das auf die Planung und Umsetzung aus?

Andi Breuss Es gibt im Lehmbau inzwischen Normen, beispielsweise für die Herstellung und ­Anwendung von Lehmputz. Das ist hilfreich, aber nur in einem bestimmten Umfang. Lehmputz kann auch für bauphysikalische Anwendungen wie Brandschutz, Schallschutz, Raumakustik herangezogen werden. Dazu gibt es aber keine Normen und – was das Hauptproblem ist – keine Prüfungen für bestimmte Aufbauten.

Um einen Wandaufbau einsetzen zu ­können, muss ich unter anderem dessen Brandverhalten kennen. Wenn es darüber keine Kenntnis gibt, muss ich als Planer diesen Wandaufbau untersuchen und in der Prüfkammer testen lassen. Oder ich kann Referenzbeispiele suchen, Plausibi­litäten zusammenstellen und sie der Behörde erklären. Letztlich mache ich meine Bauherrschaft vertraglich darauf auf­merksam, dass es für Lehmbau (außer für Lehmputz und Lehmziegel) keine Normen, Richtlinien und im Regelfall keine Prüfzertifikate gibt. Das sind Unsicherheiten, mit denen zwar im privaten, aber natürlich nur schwer im öffentlichen oder gewerblichen Bereich Projekte verwirklicht werden können.Ein anschauliches Beispiel aus der Praxis ist der Dachausbau, den ich 2014 in Wien ausschließlich mit Holz und Lehm realisiert habe. Mit den herkömmlichen bauphysi­kalischen Berechnungsmethoden waren die strengen Anforderungen für den Trittschallschutz im Geschossbau – maximal 48 dB – für einen Lehmestrich kaum ­nachzuweisen. Ich entwickelte trotzdem einen Heiz­estrich aus Lehm. Wäre dieses ­Experiment misslungen, hätte ich den ganzen Boden neu aufbauen müssen.

Das IBO (Institut für Bauen und Ökologie) bewertete den Trittschallschutz dann überraschend mit 34 dB, mit einem Wert, den man üblicherweise im Betonbau erwartet, nicht im Bestands- oder Holzbau. Lehm hat also das Potenzial, nicht nur ­klimaschädliche Bauanwendungen zu ersetzen, sondern auch noch die Bauqualität zu erhöhen.

Die Entwicklung von Aufbauten und Systemen gehört demnach zu Ihrem Planungsalltag, hat notwendigerweise einen hohen Stellenwert. Welche Hemmnisse bringt das experimentelle Bauen mit sich?

Andi Breuss Mit jeder neuen Entwicklung und Anwendung gewinne ich kurz- und langfristig ­Erfahrungen über den Wert eines Baustoffs. Wie mein Beispiel zeigt, hat Lehm viel mehr Potenzial als die im Moment ­bekannten Einsatzgebiete Lehmputz und Stampflehm. Lehm kann als Bindemittel großflächig Zement ersetzen. Dadurch können wir Beton im Bauwesen auf das Notwendigste reduzieren. Durch die jahrelange Erforschung des Baustoffs Lehm und gebaute Prototypen kann ich aus meinem Fundus schöpfen. Aber das kann man nicht von jeder Planerin, jedem Planer erwarten.

Es gibt schon viele Architekt:innen, die Holz beziehungsweise natürliche Baustoffe gerne in Kombination einsetzen würden, wenn es einen Katalog von geprüften Aufbauten und zugelassenen Baustoffen gäbe. Das Interesse daran ist groß. Ebenso groß sind aber auch die Unsicherheit und die Zweifel dem Baustoff Lehm gegenüber. Jedes Projekt, bei dem natürliches Bauen konsequent durchgeführt wird, ist ein ­Katalysator für weitere. Dazu muss es auch entsprechend öffentlich diskutiert und präsentiert werden, so wie es der ­Zuschnitt zu diesem Thema jetzt macht.

Prototypisch zu bauen und bereits umgesetzte Projekte zu zeigen, sind Möglich­keiten, um Praxiswissen zu sammeln und zu teilen. Mit welchen Maßnahmen erreicht man eine breite Anwendung biobasierter und geobasierter Baumaterialien?

Andi Breuss Man muss den Planenden, den Verantwortlichen auf Auftraggeberseite und den ausführenden Firmen Grundlagen zur Verfügung stellen, die sie – ohne aus einer Bauaufgabe ein Forschungsprojekt zu ­machen – übernehmen können. Als Vorsitzender des Netzwerks Lehm bemühe ich mich darum, dass Aufbauten geprüft, ­analysiert und in einer Datenbank – ähnlich dataholz im Holzbau – zur Verfügung gestellt werden.

Nur verbindliche Richtlinien und geprüfte Aufbauten lindern die genannten Unsicherheiten und Risiken. Und nur ein breites ­gesichertes Angebot holt den Lehm und andere Naturbaustoffe aus ihren Nischen.

Konkret bedeutet das mehr Forschungsaktivitäten im Allgemeinen, um Alternativen für herkömmliche Aufbauten zu entwickeln. Daran müssen die Berechnungs­methoden angepasst und die Forschungsförderung auf Prüfungen und den Bau von Prototypen ausgedehnt werden. Das ist im Moment nicht der Fall. Auch die ­Industrie muss eingebunden werden und ihren Beitrag leisten.

Zuerst braucht es ein Verständnis dafür, was das Bauen mit natürlichen Baustoffen bedeutet, was es vom herkömmlichen Bauen unterscheidet und welche neuen Ansprüche daraus ableitbar sind. Bisher hat man nur die bestehenden Normen überarbeitet und den Materialeinsatz dadurch vervielfacht. Dabei hat natürliches Bauen das Potenzial zu vereinfachen, den Materialeinsatz zu minimieren und kreislauffähig zu bleiben.

Damit es genügend Fachleute in Forschung und Praxis gibt, muss auch das Ausbildungssystem überarbeitet werden. Es gibt keinen eigenen Lehrstuhl für Lehmbau oder natürliches Bauen. Holzbau ist „nur“ Teil des Hochbaustudiums. In der Baumeisterausbildung spielen Naturbaustoffe überhaupt keine Rolle, in den Lehrfächern Baukonstruktion und Materialkunde wird Lehm beispielsweise meist nicht einmal als Baustoff erwähnt.

Mit diesem Bündel an Maßnahmen sollte die Chance, lokal verfügbare und nachwachsende Ressourcen für die morgige Bautechnik zu entwickeln, genutzt werden können. Es würde uns auch unabhängiger von globalen Entwicklungen machen, zumal diese Materialien nicht nur einmal, sondern mehrfach genutzt werden können.
 

Andi Breuss
gestaltet architektonische Räume und Objekte, die Bedürfnisse und Sinne der Nutzer:innen treffen und fördern sollen. Seit 2007 betreibt er ein technisches Planungs­büro für Holz-Lehm-Innenarchitektur in Wien. Seine Projekte umfassen Dachbodenausbauten, Einfamilienhäuser, Wohn- und Schulraumgestaltungen, touristische und gastronomische Räume, Möbel­design, Büroräume.

Er widmet sich wissenschaftlichen Studien zur ­Verwendung und Neuanwendung von natürlichen Baustoffen im Bauprozess und ist Vorsitzender des österreichischen Netzwerks Lehm. Als Lehr­beauftragter an der NDU (New Design University St. Pölten) betreut er das Fach Materialkunde und Baukonstruk­tion im Studienzweig Innenarchitektur.

www.andibreuss.at


verfasst von

Christina Simmel

leitende Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 87
Holz, Lehm, Stroh

Ideale Partner für klimaneutrales, ressourcenschonendes Bauen

8,00 €

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Zuschnitt 87 - Holz, Lehm, Stroh