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Überbauung Bombasei-Areal in Nänikon

erschienen in
Zuschnitt 87 Holz, Lehm, Stroh, Dezember 2022

Daten zum Objekt

Standort

Nänikon/CH Google Maps

Bauherr:in

Bombasei AG, Nänikon/CH

Architektur

Atelier Schmidt GmbH, Trun/CH, www.atelierschmidt.ch

Statik

B3 Kolb AG, Romanshorn/CH, www.b-3.ch

Holzbau

Zaugg AG Rohrbach, Rohrbach/CH, www.zaugg-rohrbach.ch

Fertigstellung

2020

Typologie

Wohnbauten

Die erste Strohballen-Siedlung der Schweiz

Von wegen alt! Wie zeitgemäß und vor allem auch zukunftsträchtig die Strohballen-Bauweise ist, zeigt das Projekt „im Vogelsang“ in Nänikon, die größte Schweizer Wohnsiedlung dieser Art. Auf dem ehemaligen Bombasei-Areal konnte das Graubündner Architekturbüro Atelier Schmidt seine handwerklichen und planerischen Fertigkeiten unter Beweis stellen. Sowohl mit Aspekten der Nachhaltigkeit und Wohnqualität als auch mit gesellschaftlichen Prinzipien überzeugte das ambitionierte Planungsteam Bauherrin und Nutzende.

Vormals als Standort einer Konditorei-Manufaktur in Verwendung, wurde das Gelände zu einer Wohnsiedlung umfunktioniert. Den Wünschen der Bauherrin entsprechend, eine „enkelgerechte“, nachhaltige und qualitative Architektur zu errichten, realisierten die Schweizer Strohbau-Pioniere eine Siedlung mit 28 Wohneinheiten. Hierfür nutzten sie die Vorteile des Strohs und kleideten den gesamten Wohnbau in ein gut dämmendes Kleid aus rechteckigen Strohballen. In dieser Bauweise entstanden drei eigenständige Baukörper mit Wohneinheiten unterschiedlicher Größe. Die gesetzliche Maximalnutzungsfläche konnte so vollständig ausgeschöpft werden. Unterschiedliche Wohnungsgrößen – egal ob Eigentums- oder Mietwohnung – sollten eine bunte Durch­mischung der Bewohner:innen fördern. Während der nach Westen ausgerichtete Bau sechs vierstöckige Eigentumsreihenhäuser samt kleinen Gärten umfasst, verteilen sich auf die beiden anderen sowohl eingeschossige Wohneinheiten als auch Maisonettewohnungen.

 

Praxisorientiertes Know-how überzeugt

Dutzende Bauten in Strohballen-Bauweise konnte das Atelier Schmidt bisher umsetzen. Der verantwortliche Architekt und ­gelernte Maurer Werner Schmidt eignete sich das nötige Know-how über Jahre in zahlreichen praxisorientierten Modellbauten an und konnte auch die vorerst skeptischen Beteiligten des ­Projekts „im Vogelsang“ überzeugen. In enger Zusammenarbeit mit der Zimmerei Zaugg aus Rohrbach wurden die einzelnen ­Module in einer Holzständerkonstruktion mit Strohdämmung vorab gefertigt und in kürzester Bauzeit zum heutigen Ensemble zusammengefügt. Den Großteil der Bauarbeiten und die Vor­fabrikation der 6,28 Meter langen, geschosshohen Module führte eine Holzbaufirma aus, lediglich die Tiefgarage und das zentrale Treppenhaus wurden in Beton umgesetzt.

Dank der peniblen Vorplanung und der sorgfältigen Fertigung der einzelnen Holz-Stroh-Module konnten die Gebäude wortwörtlich geschossweise in die Höhe gestapelt werden – innerhalb von fünf Wochen pro Mehrfamilienhaus. Die vorgefertigten, dampfoffenen Module mit einer Gefächerdämmung aus getrocknetem Stroh sind innen aus statischen Gründen und zum Brandschutz mit einer Brettsperrholzplatte versehen und würden so bis zu zwanzigstöckige Gebäude ermöglichen. Zu guter Letzt ­erhielt die Fassade einen naturweißen Kalkputz, der lediglich per Hand abgezogen wurde.

Kostensparender und nachhaltiger Materialeinsatz

Doch nicht nur die rasche Bauweise mit Stroh in dieser Art überzeugt: Der Dämmwert ist dem von Steinwolle gleichzusetzen, die Rohstoffkosten betragen bei selber Rechnung aber nur ein Zehntel. Die 75 cm dicke Isolationsschicht zu niedrigen Kosten garantiert somit auch einen CO2-Speicher und die Wiederverwendung eines landwirtschaftlichen Abfallprodukts. Um der Thematik der Nachhaltigkeit vollends gerecht zu werden, wurde zusätzlich eine Photovoltaikanlage auf dem Dach der Wohnsiedlung montiert. Dank der charakteristisch gestalteten Dachform – eine Anein­anderreihung einzelner Giebeldächer – konnte für diese eine größtmögliche Fläche erzielt werden, sodass damit 40 Prozent des gesamten Eigenverbrauchs gedeckt werden.

Für den Innenausbau der einzelnen Wohneinheiten verwendete das Planungsteam Fichtenholz. Als kleines Highlight und um die Präsenz des Strohs zu verdeutlichen, ist in jeder Wohnung ein ­sogenanntes „True Window“ zu finden. Die kleinen verglasten ­Abschnitte an den Wänden gewähren einen direkten Blick auf die Strohdämmung. Auch bezüglich einer langjährigen Nutzungsdauer haben die Planer mitgedacht: Nach einem Rasterprinzip wurde die Haustechnik in den vorgefertigten Modulen leicht zugänglich verlegt, um allfällige Reparaturen einfach ausführen zu können.

Neues Konzept, fest verwurzelt

Trotz der Umnutzung des Areals blieben gewisse Zeitzeugen und Landschaftsmarken erhalten. So wurde die Linde des Fabrik­geländes als Stütze für das Sonnendeck, eine gemeinschaftlich nutzbare Erschließungsfläche, verwendet und die Tanne wurde zum Brunnen. Auch der Japanische Ahorn im Norden der Parzelle wurde während der Bauarbeiten sorgfältig behütet und nun mit Sitzbänken und Terrassendielen in die neue Planung eingegliedert. Ein Spielplatz auf der gegenüberliegenden Seite des Grundstücks ist ein weiteres Beispiel dafür, wie man die Wünsche der Bewohner:innen, ökologische Thematiken und ökonomische Aspekte mustergültig auf einen Nenner bringt.
 

Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung des Artikels „Vom Halm zum Haus“, veröffentlicht auf www.modulor.ch, 30. November 2020.


verfasst von

Theresa Mörtl

studierte Architektur an der TU Innsbruck; lebt seit 2019 in Zürich und gestaltet als Chefredakteurin das Modulør Magazin.
www.modulor.ch

Erschienen in

Zuschnitt 87
Holz, Lehm, Stroh

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8,00 €

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Zuschnitt 87 - Holz, Lehm, Stroh