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Auf den Kopf gestellt
Gitterschale Mannheim

Nach dem Prinzip der Hängeformen wurde das Holzgitter der 7.400 m² großen Halle vor Ort nach und nach in Form gebracht, an den Rändern befestigt, justiert und mit einem Polyestergittergewebe überdacht.

erschienen in
Zuschnitt 19 warum stabil?, September 2005
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Die Gitterschale in Mannheim bezaubert durch ihre Transparenz, Leichtigkeit und ungewöhnliche Form. Die inzwischen 30 Jahre alte Schale überspannt 7400m² bei einer maximalen Spannweite von 60m und einer maximalen Höhe von 20m. Die Leichtigkeit dieser Struktur liegt in der Kenntnis des Zusammenhangs von Form und konstruktiver Effizienz begründet. Welche aber, aus der Vielfalt möglicher Formen, zeichnet solche Eigenschaften aus und wie findet man sie?

Die Gitterschale Mannheim gehört zur Familie der Hängeformen. Das einfachste Beispiel dafür ist die hängende Kette – an beiden Enden aufgehängt bildet sie eine Gleichgewichtsfigur aller wirkenden Kräfte. Je flacher der Stich, desto größer ist die (Zug-) Kraft in der Kette. Spiegelt man diese Form an der Horizontalen, dann erhält man die ideale Stützlinie eines Bogens. Dieser trägt Lasten, die gleichmäßig entlang seiner Achse verteilt sind, über reine Druckbeanspruchung ab.

Dieses Prinzip lässt sich auch auf Flächen übertragen. Die Form der Gitterschale Mannheim wurde in einem Formfindungsmodell im Maßstab 1:98,5 gefunden. Es bestand aus einem biegeweichen Netz, gebildet aus Häkchen und Ringen, das, in der Ebene ausgebreitet, quadratische Maschen aufwies. Die Hängeform, entsprechend den architektonischen und konstruktiven Ansprüchen optimiert, wurde in die Realität übertragen. Das Netz des Modells wurde aus Vollholzlatten – gehobelten Hemlockpine-Latten 50x50mm (72km) – gebildet. Auf der Baustelle wurden die Latten mit Bolzen zu einem Gitter mit verdrehbaren Knoten und einer Maschenweite von 50cm verbunden. Dieses Holzgitter wurde dann nach und nach in die Form des Hängemodells gehoben, an den Rändern befestigt, justiert und fixiert und schließlich mit einem PVC-beschichteten Polyestergittergewebe überdacht.

Die Gitterschale Mannheim ist ein Pionierbau. Sie hat – abgesehen von kleinen, in den 1960er Jahren von Frei Otto realisierten Gitterschalen – keine Vorläufer und basiert auf Ergebnissen der Forschungsarbeit, die am Institut für Leichte Flächentragwerke der Universität Stuttgart in Kooperation mit Seibu Company, Tokio, und dem japanischen Architekten Kenzo Tange geleistet wurde.

Planung und Bauleitung: Carlfried Mutschler und Joachim Langner, Mannheim

Beratung und Entwicklung der Gitterschale: Frei Otto, Stuttgart

Statische Berechnung: Ove Arup + Partners, Structures 3 und Ted Happold mit Ian Liddell, London

Gitterschale aus Holz, Modell

 

Gitterschale für die Multihalle in Mannheim für die Bundesgartenschau 1975 – Hängemodell zur Formfindung

 

 

 

Gitterschale aus Holz

 

Gitterschale aus Holz

 

Gitterschale aus Holz

 

Gitterschale aus Holz

Literatur
Winfried Nerdinger (Hg.)
Frei Otto, das Gesamtwerk
Leicht bauen – natürlich gestalten
ISBN 3-7643-7233-8
Birkhäuser 2005 ca. EUR 80,-


verfasst von

Eda Schaur

Erschienen in

Zuschnitt 19
warum stabil?

Erfahrungen, Experimentierfreudigkeit und Fantasie haben seit Jahrhunderten funktional optimierte, faszinierend leichte und fragile Bauwerke entstehen lassen, deren konstruktive Stärke im Wissen um das Wesen des Materials begründet ist, in der vollen Ausschöpfung der Kapazitäten des Holzes, seiner Leichtigkeit, Festigkeit, Weichheit, Gerichtetheit und Nachgiebigkeit, und deren Authentizität bis heute spürbar und inspirierend ist.

8,00 €

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Zuschnitt 19 - warum stabil?