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Ein Kunstwerk auf Zeit
Das Lehrgerüst der Salginatobelbrücke

Dem Bau der Stahlbetonbrücke in Graubünden (Robert Maillart, 1930) ging ein innovatives Lehrgerüst aus Fichtenbalken voraus, das Bauingenieur Robert Corray mit minimalstem Materialaufwand konstruierte.

erschienen in
Zuschnitt 19 warum stabil?, September 2005
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Kurz vor dem Guss der Bogenplatte.
Nur drei Monate später wurde die Brücke dem Verkehr übergeben!

Ein Kunstwerk auf Zeit - Das Lehrgerüst der Salginatobelbrücke

In der Geschichte der Brückenbaukunst ist die Salginatobelbrücke längst ein Markstein. Der Entwurf von 1928 für die einmalige Stahlbetonbrücke stammt von Robert Maillart. Die Brücke bildet das Kernstück der Verbindungsstraße von Schiers nach Schuders in Graubünden.

Im Jahr 1929 erhielt der bekannte Holzkonstrukteur und Unternehmer Richard Coray (1869 – 1946) den Auftrag zum Bau eines Lehrgerüsts für die hohe Schluchtüberquerung. Der damals 60-Jährige erstellte die Holzliste für das Transport- und Hauptgerüst, die 1285 Nummern für Kantholz bei einem Gesamtbedarf von 700 m³ umfasste. Auch half er noch beim Montageplan und bei Vermessungsarbeiten mit, übergab aber die weiteren Arbeiten seinem Sohn Richard. Der frisch diplomierte Bauingenieur zeichnete nach Angaben seines Vaters den Konstruktionsplan und führte die statische Berechnung durch.

Im Juli desselben Jahres begann Richard Coray jun. zusammen mit nur sechs Männern mit den Abbindarbeiten. Auf einem über 3000m² großen Reißboden wurden nacheinander die beiden Gerüstfächer und Bogenhälften im Maßstab 1:1 aufgezeichnet. Die vom Gemeindesäger zugeschnittenen Fichtenbalken wurden auf die Zeichnung gelegt und auf diese Weise von Hand abgelängt, durchbohrt und nummeriert. Fertige Gerüstteile wurden mit Pferdewagen zur Brückenbaustelle geführt, wo man sie mittels einer Seilbahn, die beide Schluchtseiten verband, zur gewünschten Stelle abseilte. Zuerst wurden die auskragenden Gerüsthälften bis auf die Höhe der eisernen Hauptanker aufgebaut, anschließend erfolgte die Montage der Bogenteile bis zum Zusammenschluss. Es wurden Schrauben und quadratische Muttern mit rund geschnittenen Gewinden verwendet, die weniger empfindlich gegen Schläge waren und bis zu zehnmal verwendet werden konnten.

Da das Lehrgerüst nur für das geringe Gewicht der Brückenbogenplatte berechnet werden musste, entstand mit lediglich zwei Bindern eine Konstruktion von außerordentlicher Leichtigkeit. Die anfallenden Lasten des Bogens wurden auf direktem Wege über die fächerförmig angeordneten Druckstreben in die Auflager abgeleitet. Die auf das Minimum reduzierte Anzahl schlanker Zangen und Diagonalen steifte die luftige Konstruktion aus und ergab den für die späteren Coray-Werke typischen Dreiecksraster. Die Streben waren zur Erhöhung der Stabilität beim Sockel fest einbetoniert. Für die spätere Absenkung verwendete Coray aus Kostengründen weder teure Sandtöpfe noch Senkschrauben. Er hatte eine eigene Methode entwickelt: Durch einfaches Einsägen der Druckstreben wurde der Querschnitt bis zur Quetschung reduziert und auf diese Weise das Gerüst entlastet. Zur weiteren Absenkung wurden ganze Stücke aus den Streben herausgesägt, bis das Lehrgerüst 10cm vom Brückenbogen getrennt war und ungehindert demontiert werden konnte.

Konrad Flütsch, der beim Aufstellen des Lehrgerüsts mithalf, schrieb in sein Tagebuch: »Auf über 90 Metern Höhe kletterte man herum wie die Vögel.«

Anfangs August 1930 ist die Salginatobelbrücke vollendet und wartet auf die Absenkung des Lehrgerüsts und die darauffolgende Belastungsprobe.

Andreas Kessler 

Vom Holzsteg zum Weltmonument – die Geschichte der Salginatobelbrücke
1996, 232 Seiten
61 s/w-Fotografien
16 Zeichnungen 
9 Pläne (4 ausklappbar)
23 Seiten Berechnungen
SFR 40.- zzgl. Versandkosten

AG Buchdruckerei Schiers
Bahnhofstrasse
Postfach 33
7220 Schiers/GR
T +41 81 328 15 66
F +41 81 328 15 55
info(at)drucki.ch
http://www.drucki.ch

Andreas Kessler
geboren 1949, 
wohnhaft in Igis (ch)
Lehrer und Buchautor
Befasst sich mit der Baugeschichte, Konstruktion und internationalen Beachtung der Salginatobelbrücke, mit dem Werk Robert Maillarts und der Geschichte des Brückenbaus 


verfasst von

Andreas Kessler

Erschienen in

Zuschnitt 19
warum stabil?

Erfahrungen, Experimentierfreudigkeit und Fantasie haben seit Jahrhunderten funktional optimierte, faszinierend leichte und fragile Bauwerke entstehen lassen, deren konstruktive Stärke im Wissen um das Wesen des Materials begründet ist, in der vollen Ausschöpfung der Kapazitäten des Holzes, seiner Leichtigkeit, Festigkeit, Weichheit, Gerichtetheit und Nachgiebigkeit, und deren Authentizität bis heute spürbar und inspirierend ist.

8,00 €

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Zuschnitt 19 - warum stabil?