Laufwasserkraftwerke funktionieren nur dann, wenn an einer Gefällstrecke immer genügend Wasser auf die Turbinenschaufeln geleitet wird. Diese Aufgabe übernehmen normalerweise Druckwasserleitungen, die aus Stahl oder Kunststoff bestehen. Diese Werkstoffe bekommen nun aber Konkurrenz von einem nachwachsenden Rohstoff, dem Holz. In der Schweiz wurde erstmals eine hölzerne Druckwasserleitung als Zulauf für ein Laufwasserkraftwerk gebaut. Immer wieder wurden Holzleitungen verlegt, so wie vor rund achtzig Jahren in Davos oder als Zuleitung zum Thermalbad Ragaz. Allein diese Letztere war von 1860 bis in die 1960er Jahre in Betrieb. Doch die von der Repower Systems ag in der Schweiz fertiggestellte Leitung verkörpert Umweltschutz in Perfektion. In den letzten Jahren investierte der Energieversorger rund 58 Millionen Franken (umgerechnet knapp 45 Millionen Euro), um die Kräfte des Taschinasbaches bei den Orten Grüsch und Seewis für eine umweltfreundliche Stromerzeugung zu nutzen. Die Bauarbeiten für die 1.550 Meter lange Holzleitung mit einem Innendurchmesser von 1,6 Metern wurden in diesem Frühjahr planmäßig abgeschlossen. Dass man sich für Holz als Werkstoff entschied, hatte nicht zuletzt handfeste wirtschaftliche Gründe.
Holzleitungen sind günstig
»In der Druckleitung herrscht ein Druck von rund 5 Bar, das entspricht in etwa dem Druck einer Trinkwasserleitung«, erläutert Projektleiter Marcus Alig die Eigenschaften der Holzleitung am Kraftwerk Taschinas. »Deshalb kam in Taschinas der Einsatz von Holz infrage.« Auch die hydraulischen Eigenschaften einer Holzleitung sind sehr gut. Dank des Biofilms, der sich im Inneren der Leitung bildet, sind die Reibungsbeiwerte ideal. Sogar Reparaturen an der Holzleitung sind jederzeit möglich, weil man einzelne Bretter einfach auswechseln kann. Daraus resultiert auch ein günstiger Preis. Nach Ansicht von Marcus Alig dürfte das im Leitungsbau künftig zu Preisanpassungen bei den bisher gebräuchlichen Werkstoffen führen.
Montage erst vor Ort
Anders als bei Druckleitungen, die mit anderen Technologien hergestellt werden, wurde das Holzrohr nicht fertig angeliefert, sondern gelangte als Bausatz – ähnlich wie Produkte von Ikea – auf die Baustelle. Konkret wurden gehobelte Holzbretter aus feinfasrigem Kiefernholz mit einer Länge von rund 4,3 Metern, einer Breite von 150mm und einer Stärke von 64mm zusammen mit den notwendigen Stahlringen vor Ort direkt im Graben zusammengebaut. Weil Holzdruckleitungen trotz der geschilderten Vorteile heute immer noch äußerst selten sind, stellt sich die Frage, ob die dafür notwendigen handwerklichen Fähigkeiten überhaupt noch vorhanden sind. Diese Frage beantwortet Roger Vetsch von der ausführenden Bauunternehmung Vetsch aus Klosters in der Schweiz mit einem klaren Ja. Jede seiner Montagegruppen wurde aus einem Zimmermann, einem Schreiner und drei Hilfskräften zusammengestellt.
Alte Handwerkskunst
Geleitet wurden die Bauarbeiten aber von einem Spezialisten aus Schweden, dem Zimmermann Zerny Karlsson, der sehr viel Erfahrung im Holzleitungsbau vorweisen kann. Karlsson war zuständig für die gesamte Organisation des Leitungsbaus. Dazu gehörten auch die Beschaffung des Materials – das Kiefernholz stammt aus Lappland, da dieses besonders feinjährig ist und wenig Asteinschlüsse aufweist – und sein Transport von Finnland in die Schweiz. Auch die Materialverteilung auf der Baustelle und die Qualitätsüberwachung von Material und Arbeit waren Teil seiner Aufgaben. Bei besonders heiklen Arbeiten, wie es zum Beispiel der Bau von Kurven ist, war er immer vor Ort. Auch den exakten Zuschnitt der Bretter überwachte er persönlich. Die Form der einzelnen Rohrteile wurde mittels einer Rohrstatik auf der Basis der Finite-Elemente-Methode erstellt. Auch die Brettstärke und die Dimension der Stahlringe wurden so festgelegt. Auf diese Weise konnten sogar Kurven mit Radien von 40 Metern hergestellt werden. Das ist bei einem Rohrdurchmesser von 1,60 Metern eine Spitzenleistung.
Foto
© Repower AG