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Essay – Gesundheitsbauten in Holz
Heilsame und heilende Gestaltung

erschienen in
Zuschnitt 84 Gesundheitsbauten in Holz, März 2022

Lange Zeit spielten Architektur und Design bei Gesundheits­bauten eine untergeordnete Rolle – Hauptsache, die Gebäude waren funktional. Erst seit einigen Jahren wird die Perspektive der ­Patient:innen in die Gestaltung miteinbezogen. Häufiger als früher werden Krankenhäuser, Arztpraxen und Thera­pie­zentren so geplant, dass sich Menschen in ihnen wohlfühlen und besser gesund werden. Voraussetzung dafür ist, sich ein Stück weit auf die Wahrnehmungsweise der Kranken einzulassen und zu versuchen, sie zu verstehen. Denn wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine angenehme Atmosphäre und Stimmung die Genesung fördern kann. Diese Erkenntnisse der Psychologie und Neurowissenschaften bilden die Grundlage, um die Auswirkungen von Emotionen auf Krankheit zu betrachten und Kranke vor Stress zu schützen.

Stressfreie Räume gestalten

Chronischer Stress hat viele schädliche Auswirkungen und kann Heilungsprozesse verhindern. Er verzögert die Wundheilung, schwächt die Fähigkeit des Organismus, Antikörper zu bilden, und hemmt die Kraft des Immunsystems, Infektionen auf andere Weisen zu bekämpfen. Eine schlechte, monotone oder lieblose Gestaltung spielt dabei durchaus eine Rolle. Kranke Menschen reagieren empfindlicher und verletzlicher als Gesunde auf un­angenehme sensorische Reize wie laute Geräusche, sehr helles oder flackerndes Licht, schlechte Gerüche, grelle Farben oder ­hohe Dichte. Lange, abweisende Korridore, unwohnliche Räume, verwirrende Unübersichtlichkeit und zu geringe interpersonelle Distanzen verleihen vielen Krankenhäusern nach wie vor eine bedrückende Atmosphäre.
Das Patientenzimmer der Zukunft wird ein ansprechendes Design haben, das Ruhe und Wohlfühlatmosphäre bietet und über eine Vielzahl an technischen Hilfsmitteln verfügt. Es soll Privatsphäre erlauben und den Patient:innen eine größere Kontrolle über Situation und Geschehen ermöglichen. Bereits das Aufstellen ­eigener Bilder oder die selbstständige ­Bedienung von Heizung und Licht wirken sich positiv aus. Viele neue Gesundheitsbauten greifen solche Ideen auf und ­erhalten dadurch das Aussehen von Erholungszentren mit Hotelcharakter.

Natur als Vorbild, um das Wohlbefinden zu fördern

In diesem Zusammenhang hat sich biophiles Design als Gestaltungsmittel bewährt. Biophilie bedeutet Liebe zum Leben und allem Lebendigen und entspricht unserem Bedürfnis nach Berührung mit der Natur. Durch biophile Gestaltung können Verbindungen zur Natur hergestellt werden, um etwaigen Stressfaktoren entgegenzuwirken. Wenn beispielsweise Kranke den Blick ins Grüne schweifen lassen können, verbessert sich ihr Befinden. Ihre Genesung geht schneller voran und sie benötigen weniger Schmerzmittel.1 Auch der Einsatz natürlicher Materialien wie Holz, Stein, Ziegel und Bronze bringt uns der Natur näher. Denn im Vergleich zu Beton, Aluminium oder Kunststoff besitzt Holz eine warme Optik und Haptik, verströmt einen angenehmen ­Geruch und reguliert die Luftfeuchtigkeit. Holz schafft eine wohnlich-warme, akustisch angenehme Atmosphäre und wird als hochwertiges Material wahrgenommen. Zudem haben ­wissenschaftliche Studien in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sich Holzstoffe in Gesundheitsbauten regenerierend auf das menschliche Nervensystem auswirken.2

Nutzen im Gesundheitswesen

Eine Gestaltung gemäß den Prinzipien einer heilsamen Architektur kann Stress mildern, den Blutdruck senken, die Herzfrequenz und die Muskelspannung reduzieren und dazu führen, dass Kranke weniger Schmerzmittel brauchen. Sie fördert die Attraktivität von Gebäuden und die Akzeptanz, die Patient:innen ihnen entgegenbringen. Sie kann die Liegezeiten verkürzen und den Zeitbedarf in der Pflege minimieren. Dies wiederum wirkt sich positiv auf das Pflegepersonal aus. Bei dennoch aufkommenden Belastungsspitzen unterstützt eine freundliche ­Atmosphäre auch die Regeneration der Pflegenden. Es zeigt sich: Heilsame Gestaltung wirkt auf vielen unterschied­lichen Ebenen, der Einfluss der Architektur im Gesundheitswesen ist enorm.

1 Roger S. Ulrich: View Through a Window May ­Influence Recovery from ­Surgery, Science Nr. 224/4647, April 1984, S. 420f.
2 Michael D. Burnard, Andreja Kutnar: Wood and human stress in the built indoor ­environment: a review, Wood Science and Technology, Nr. 49, 2015, S. 969 – 986. Veronika Kotradyova et al.: Wood and Its Impact on ­Humans and Environment Quality in Health Care Facilities, International Journal of Environmental Research and Public Health, Nr. 16 (18), 2019, S. 3496.


verfasst von

Katharina Brichetti

ist Architektin und lehrt als Privatdozentin an der Technischen Universität Berlin. Seit 2011 forscht und veröffentlicht sie zu den Themen Raumerleben und heilsame Architektur. Sie berät und plant im Bereich Gesundheitsbauten.

Erschienen in

Zuschnitt 84
Gesundheitsbauten in Holz

Was kann ein Gebäude aus Holz zu Genesung, Gesundheit und Wohlbefinden beitragen? Antworten darauf finden Sie in diesem Zuschnitt.

8,00 €

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Zuschnitt 84 - Gesundheitsbauten in Holz