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office.p in Fulpmes

erschienen in
Zuschnitt 88 Reuse und Recycling, März 2023

Daten zum Objekt

Standort

Fulpmes/AT Google Maps

Bauherr:in

privat

Architektur

Madritsch Pfurtscheller, Innsbruck/AT, www.madritschpfurtscheller.at

Fertigstellung

2020

Typologie

Gemischte Nutzung

Holz auf Wanderschaft

Dass ein Haus im Ganzen reused wird, kommt selten vor. In diesem Fall ist es gar eine ehemalige Tenne, die einer neuen Nutzung ­zugeführt wurde. Ursprünglich gehörte sie zu einem Bauernhaus im Zentrum der Gemeinde Fulpmes im Tiroler Stubaital, das im Rahmen einer Ortskernerneuerung 2005 abgerissen wurde. Weil er die Qualität der Substanz erkannte, baute der Schwiegervater des Architekten Robert Pfurtscheller das Gebäude ab, nummerierte die Einzelteile und lagerte sie ein.

Zehn Jahre später wurde die Tenne mit der Absicht, sie als Wohnhaus plus Atelier zu nutzen, in der Nähe ihres ursprünglichen Standorts anstelle eines ebenfalls abgebrochenen Hofes neu aufgestellt. Die Tenne ruht nun auf einer betonierten Bodenplatte,  die der Grundfläche des ehemaligen Gebäudes entspricht und neben einem Fundament auch eine vorgelagerte Terrasse definiert. Sowohl die (inzwischen hanfgedämmte) Holzkonstruktion als auch die Bretterschalung konnten ohne Abstriche verwendet werden. Die fehlende vierte Fassade – der Stadel war früher an das Wohnhaus angebaut – wurde ergänzt und mit Fenstern und Fenster­türen versehen, die nicht mehr gebraucht wurden oder leicht beschädigt sind.

Doch nicht nur die Hülle ist Secondhand, auch die der veränderten Nutzung geschuldeten Elemente wie Innentüren, Ofen und Küche sind zweite Wahl oder gebraucht. Alles, was trotzdem neu ist, besteht aus Materialien, die möglichst roh belassen sind, wie Beton, Holz, Stahl oder Wolle.

Im Inneren des Hauses treffen zwei Welten aufeinander: Das Erdgeschoss ist nun doch kein Architekturatelier, sondern ein offener Raum, in dem vieles stattfinden kann: Yoga, Ausstellungen, ­Besprechungen. Atmosphärisch bestimmend sind der Mittelsteher und die Raumhöhe (beides original) sowie das Geflecht aus Schafwollvlies an den Wänden. Die Wohnung darüber ist umso dichter: Auf 35 m2 Grundfläche und zwei Ebenen finden Wohnen, Kochen, Essen, Schlafen statt.

Robert Pfurtscheller vertritt vehement die Idee des Nicht-Bauens, wo immer es möglich ist, und hat – gemeinsam mit seinem Büropartner Reinhard Madritsch – schon einige Umnutzungen und Sanierungen geplant. Mit seinem eigenen Haus in Fulpmes ging er einen Schritt weiter, indem so viel wie möglich wiederverwendet wurde. Das ist der eine Aspekt, der für diese Haltung spricht. Der andere ist der, dass nicht nur Material, sondern auch Identität erhalten bleibt – zum Beispiel, wenn ein alter Holzstadel im Ortsbild nicht verschwindet, sondern nur ein bisschen weiterwandert.


verfasst von

Eva Guttmann

ist Autorin, Lektorin und Herausgeberin im Fachbereich Architektur

Erschienen in

Zuschnitt 88
Reuse und Recycling

Wiederverwendung und Verwertung von Bauteilen und ­Baustoffen, ergänzt durch den Einsatz nachhaltiger Materialien, stehen für eine neue Praxis in der Architektur.

8,00 €

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Zuschnitt 88 - Reuse und Recycling