Mit Beginn des Jahres 2024 übernahm Gerhard Grüll die Institutsleitung der Holzforschung Austria von Manfred Brandstätter. Dieser hatte bis zu seiner Pensionierung mehr als dreißig Jahre bei der Holzforschung Austria gearbeitet – fast zwanzig davon als ihr Leiter – und die Entwicklung des modernen Holzbaus entscheidend mitgeprägt. Wir sprachen mit dem neuen Geschäftsführer Gerhard Grüll und seiner Stellvertreterin Sylvia Polleres über die Lehren aus der Vergangenheit und über aktuelle Forschungsthemen, die nun im Kontext des Klimawandels anstehen.
Die Holzforschung Austria forscht nicht nur. Sie prüft, zertifiziert und vermittelt Wissen. Wie stehen die drei Bereiche zueinander und welche Rolle spielt die Forschung darin?
Gerhard Grüll Wir haben den Anspruch, dass unsere Forschungsergebnisse in der Praxis anwendbar sind. Wir machen sehr viele kooperative Forschungsprojekte, bei denen die Ergebnisse der gesamten Branche zur Verfügung stehen. Wir führen aber auch Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit einzelnen Unternehmen durch und unterstützen sie bei der Entwicklung ihrer Produkte. Aus der Forschung generieren wir Wissen, das wir durch Seminare, Vorträge, Schulungen und Veröffentlichungen der Branche zur Verfügung stellen. Wir bringen dieses Wissen aber auch in Richtlinien und Normen ein, von denen viele als Grundlage für die Prüfung, Inspektion und Zertifizierung von Produkten und Unternehmen dienen. Für diese Aufgaben sind wir eine akkreditierte und notifizierte Stelle. Zudem stehen wir auch als neutrale Gutachter zur Verfügung und beraten bei der Sanierung von Bauwerken.
Das Institut hat gerade sein 75-jähriges Jubiläum gefeiert. Gibt es ein konkretes Projekt, einen Meilenstein für den modernen Holzbau, an dem Sie den Beitrag Ihrer Forschung aufzeigen können?
Sylvia Polleres dataholz.eu ist aus einem Forschungsprojekt hervorgegangen. Die kostenlos nutzbaren Kennwerte dieses Online-Bauteilkatalogs für den Holzbau können von Planer:innen als Grundlage für die Nachweisführung gegenüber Baubehörden herangezogen werden. Wir haben dafür eine Vielzahl an Untersuchungen zu Brand und Schall gemacht und stellen diese seit über zwanzig Jahren der ganzen Branche zur Verfügung. Gerade haben wir eine Erweiterung von dataholz.eu umgesetzt und unterstützen die Planer:innen auch in der Digitalisierung, indem wir ihnen IFC-Files anbieten – Stichwort BIM. Das ist ein Highlight, das wir für den Holzbau geschaffen haben und mit dem wir die Planung im Holzbau wesentlich unterstützen.
Das ist ein tolles Tool. Gibt es auch Gebäude, in die Ihr Wissen über neue Holzwerkstoffe oder Verbindungen bereits eingeflossen ist?
Gerhard Grüll Wir haben schon mehrere Projekte von der Planung bis zur Fertigstellung begleitet. Eines der aktuellen Beispiele ist das Wohnbauprojekt Gleis 21 im Sonnwendviertel in Wien, zu dem wir die Bauphysik beigetragen haben. Das Wissen aus unseren Fachbroschüren zum Beispiel zu Fassaden und Terrassen wird sehr häufig in der Planung und Ausführung von Bauwerken angewendet. Wir generieren solches Wissen unter anderem an unserem Forschungshaus am Standort Stetten, wo wir Außenwände und Bauteile austauschen und neue Konstruktionen unter Realbedingungen erforschen können.
Mit welchen Themen werden Sie sich in den nächsten Jahren beschäftigen?
Sylvia Polleres Da ist das Thema der Nachhaltigkeit. Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Ressourcenschonung müssen wir auch im Holzbau unsere Konstruktionen überdenken. Doch welche Auswirkungen haben materialminimierte Konstruktionen, etwa solche mit geringeren Querschnitten, auf Schall und Brand? Außerdem beschäftigen wir uns mit dem Thema „einfacher Bauen“ und der Frage, wie man Bauteile wiederverwenden kann. Dafür haben wir den Fachbereich Kreislaufwirtschaft neu definiert. Dazu kommen noch Themen, die sich durch den Klimawandel ergeben: Was müssen unsere Bauteile zukünftig leisten in Bezug auf Hangwasser und Hagel und auch im Hinblick auf das Raumklima, wenn es draußen immer wärmer wird.
Wird die Forschung jetzt interdisziplinärer?
Gerhard Grüll Eine unserer Stärken ist, dass wir Expert:innen in verschiedenen Fachbereichen haben, die wir in den Projekten zusammenschalten können. Der Bereich Kreislaufwirtschaft ist ein solches Querschnittsthema. Hier läuft derzeit das Projekt TimberLoop, bei dem wir uns um die Wiederverwendung von Massivholz kümmern. In dieses sind viele Themen vom tragenden Holzleimbau über die Fenstertechnik und die Fußböden bis zum Holzschutz und dem Hausbau involviert und gemeinsam werden die Grundlagen für die Kreislauffähigkeit von Holz entwickelt. Ein anderes Beispiel ist das Projekt Grade2New, in dem Lösungen für die Kreislaufführung von Brettschichtholz erarbeitet werden. Es geht unter anderem darum herauszufinden, welches Rohstoffvorkommen in welcher Qualität in den Bauwerken vorhanden ist und wie es genutzt werden kann.
Sie sprechen von unterschiedlichen Fachbereichen in Ihrem Haus. Welche sind das?
Gerhard Grüll Wir haben in unserer neuen Aufbauorganisation acht Fachbereiche: Das beginnt beim Rohholz mit der Übernahme von Rundholz aus dem Forst. Der Bereich Bauprodukte schließt hier mit der Weiterverarbeitung des Rohholzes an und der Bereich Holzhausbau kümmert sich um den richtigen Einsatz gemeinsam mit anderen Baumaterialien. Die Bauphysik sowie die Fenster- und Türentechnik sind an unserem Standort in Stetten angesiedelt. Hier im Arsenal haben wir dann noch die Bereiche Holzschutz und Oberflächen. Und schließlich haben wir noch den Bereich Kreislaufwirtschaft, den wir jetzt neu benannt und ausgerichtet haben.
Wie viele Forschungsprojekte laufen bei Ihnen parallel und wie lange dauern sie im Allgemeinen?
Gerhard Grüll Derzeit laufen etwa 25 Projekte. Ein Forschungsprozess erstreckt sich von der ersten Idee bis zur Umsetzung auf dem Markt, und das kann Jahrzehnte dauern. An der Holzforschung Austria forschen wir anwendungsorientiert. In einem Zeitraum von zwei bis fünf Forschungsjahren schaffen wir es, Ergebnisse aus den konkreten Projekten hervorzubringen, die für die Praxis einen Nutzen bringen. Unser Forschungshaus, unsere Versuchsfassaden oder unsere Freilandversuche dienen dabei als Demonstrationsobjekte.
Sobald ein Forschungsprojekt beendet ist, wird es veröffentlicht. Wie und wann aber fließen diese Erkenntnisse in die Normen ein? Normen basieren ja auf Erfahrungen und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Sylvia Polleres Wir beschäftigen uns sehr detailliert auch mit der Normung und sind in über fünfzig Gremien, in Komitees und Arbeitsgruppen der nationalen und internationalen Normung aktiv. Dort fließt das Know-how ein, das wir einerseits durch unsere Forschung, andererseits durch unsere Überwachungs- und Gutachtertätigkeiten gewonnen haben. Es ist aber auch wichtig, nicht nur bei den holzeigenen Themen in Normungskomitees zu sein, sondern auch in Bereichen, die den Holzbau nicht vorrangig betreffen, wie zum Beispiel beim Thema Abdichtungen. Aus den Normen ergeben sich aber auch immer wieder neue und wichtige Fragestellungen für die Forschung.
Können Sie mir zum Abschluss noch Einblick in aktuelle Forschungsthemen wie die Verwendung neuer Baumarten oder das ressourcensparende Bauen geben?
Gerhard Grüll Wir beschäftigen uns gerade mit dem Einsatz von Laubholzarten in Holzleimbauprodukten im Hinblick auf den anstehenden Waldumbau. Mit Projekten wie diesem loten wir die technologische Anwendung aus und bereiten die Unternehmen und uns darauf vor, dass neue Holzarten in die Anwendung kommen, mit denen auch kleinere Bauteildimensionen oder größere Spannweiten möglich sein werden. Mehrere Projekte beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf das Bauen mit Holz, in diesen untersuchen wir die Vermeidung der sommerlichen Überwärmung durch Beschattung, Lüftung und entsprechende Konstruktionen. Sehr spannend sind unsere Aktivitäten zu gedruckter Elektronik, die unter anderem für den Holzbau Monitoringsysteme für Feuchtigkeit und Belastungen hervorbringen sollen.

