Zum Hauptinhalt springen

Hoch Bauen mit sparsamem Materialeinsatz

erschienen in
Zuschnitt 93 Holz – Bau – Forschung, Juni 2024

Daten zum Objekt

Standort

Zug/CH

Bauherr:in

Urban Assets Zug AG, Zug/CH

Architektur

Duplex Architekten, Zürich/CH, www.duplex-architekten.ch

Statik

WaltGalmarini AG, Zürich/CH, www.waltgalmarini.ch
TU Implenia Schweiz AG, Opfikon/CH, www.implenia.com

Holzbau

Implenia Schweiz AG, Opfikon/CH, www.implenia.com

Fertigstellung

in Planung

Holzhochhaus Pi, Zug

Der Schweizer Kanton Zug gilt als Steuerparadies. Da die Steuersätze ausgesprochen niedrig sind, siedelt sich Prominenz an, entstehen prominente Gewerbestandorte und auf dem engen Raum zwischen See und Bergen verdichtet sich Zug rapide. Damit die Schweizer „Hüslipest“, wie die Zersiedelung der Ballungsräume hier heißt, nicht noch mehr ausufert, geht die Entwicklung daher heute immer öfter in die Höhe, und das mit beispielhafter schweizerischer Planungsdisziplin.

Die Verdichtung ist als Ziel im kantonalen Richtplan festgeschrieben, und diesem Ziel folgt auch einer der großen Player am Industriestandort, der Haushaltsgeräte-Hersteller V-ZUG. Er baut hier den Tech Cluster Zug als langfristigen Standort auf, der weit mehr sein will als ein Gewerbegebiet. Rund 1.500 Arbeitsplätze bestehen schon, noch einmal so viele sollen hinzukommen. Startpunkt für den Cluster war der Masterplan von Hosoya Schaefer Architects (Zürich), mit dem das Büro 2014 den Wettbewerb für das Areal gewann und der die Grundlage für den 2018 beschlossenen Bebauungsplan war. Wesentliche Ziele dabei sind Nutzungsmischung, Flexibilität, Anpassung an das Stadtbild und minimaler ökologischer Fußabdruck. Um dies zu erreichen, wurde das Firmenareal neu aufgeteilt: Die Produktionsstätten konzentrieren sich im Norden, wodurch der Südteil für Neubauten mit breiter Nutzungsvielfalt frei wurde. Stolz verweist man darauf, dass dafür kein Quadratmeter Grünfläche geopfert werden muss. Ein Leuchtturmprojekt des Tech Clusters Zug ist das Holzhochhaus Pi, das mit 80 Metern einen wahrlich großstädtischen Maßstab anpeilt und eines der höchsten Holzhochhäuser der Schweiz werden soll. Hier ging man gründlich und systematisch vor: Eine Gesamtleistungsstudie (d.h. ein dialogorientiertes offenes Wettbewerbsverfahren) mit sechs Architekturbüros untersuchte, wie sich leistbares Wohnen und sparsamer Materialeinsatz in der Höhe realisieren lassen, parallel dazu wurde ein städtebauliches Gesamtkonzept erarbeitet. Dafür formulierte der Bauherr ein konkretes Anforderungsprofil: ein Lebenszyklus, der mit konventionellen Gebäuden vergleichbar ist (u.a. was den Unterhalt und Austausch von Fassadenelementen betrifft), eine langfristige Bewilligungsfähigkeit, eine effiziente Digitalisierung des Planungs- und Bauprozesses sowie sichtbare architektonische Vorteile und Qualitäten des Materials Holz. Gängige Bauweisen zu hinterfragen, war explizit gewünscht.

Im September 2019 wurde das Projekt von Duplex Architekten aus Zürich im Team mit den Ingenieuren WaltGalmarini (Statik) und Implenia (Holzbau) als Siegerentwurf vorgestellt. Der Baubeginn ist für 2026 geplant, wenn die komplexen Planungs- und Genehmigungsprozesse voraussichtlich absolviert sein werden.

Dem innovationsoffenen Verfahren entsprechend ist das Hochhaus Pi nicht als Holz-Hybrid-Konstruktion konzipiert, stattdessen übernimmt die Holzkonstruktion neben der vertikalen Lastabtragung auch die horizontale Aussteifung. Grundidee des Entwurfs ist eine „vertikale Nachbarschaft“, die jeweils bis zu drei Geschosse um eine offene Mitte gruppiert. Insgesamt wird der Turm zehn Nachbarschaften mit jeweils 22 Wohneinheiten umfassen, die sich an eigens erstellten Bewohnerprofilen orientieren: Familien, Singles, Ältere, Wohngemeinschaften und Kurzzeit-Wohnende. So soll die vielgescholtene Anonymität des vertikalen Wohnens von vornherein vermieden werden. Dieses Ziel geht Hand in Hand mit der Entwicklung der Tragstruktur, die das „Tube-in-Tube-Prinzip“ der Stahlrahmenkonstruktionen im Chicago der 1950er Jahre in den Holzbau übersetzt. Zwei ineinandergesteckte Röhren übernehmen die primäre Tragfunktion. Da das Gebäude über dieses sichtbar belassene Rahmentragwerk ausgesteift wird, kann auf massive Aussteifungskerne in Ortbeton verzichtet werden. Der geringe Bodenaufbau der zweischaligen WaltGalmarini-Implenia-Verbunddecke erlaubt es, 27 Geschosse in 80 Meter Gebäudehöhe unterzubringen. Da Geschossdecken in der Regel für einen hohen Anteil von Treibhausgasemissionen beim Bau verantwortlich sind, war hier der minimale ökologische Fußabdruck eine weitere Motivation für die Reduktion der Masse.

Das innere Grundgerüst fungiert zugleich als Trennung zwischen den halböffentlichen dreigeschossigen Gemeinschaftsräumen in der Mitte und den außen liegenden Wohnungen. Deren Trennwände sind nicht tragend ausgebildet, um Flexibilität zu gewährleisten. Die ohne Unterzüge ausgebildete Untersicht der Decken soll in allen Wohnungen unverkleidet sichtbar bleiben, ebenso wie die Holzstützen in den Wohnungen und in den dreigeschossigen Gemeinschaftsbereichen. Für die Fassade sind aus Brandschutzgründen gekapselte Holzelemente vorgesehen. Besonders auffällig von außen: Der Turm wächst vertikal in vier Segmenten in die Breite. Dies dient vor allem dazu, den knappen öffentlichen Raum in der Erdgeschossebene zu maximieren; zudem nimmt der unterste Fassadenvorsprung Bebauungskanten der Umgebung auf. Die Ernsthaftigkeit und die hohen Ansprüche an Klimagerechtigkeit, mit denen die Bauaufgabe Holzhochhaus hier angegangen wird, erstrecken sich auch auf die Energieversorgung: Photovoltaik auf Dach und Fassade sind Teil des Konzepts; Heizung und Kühlung erfolgen im Rahmen des Multi Energy Hub auf dem Gesamtareal durch Wasserzufuhr aus dem unterirdischen Baarer Boden und dem Zugersee. Hier ist die weltweit populär gewordene Typologie Holzhochhaus nicht aus reinen Prestige- und Wettbewerbsgründen, sondern aus einer Bündelung von Technologie, Forschung, Ökologie und Architektur umgesetzt.


verfasst von

Maik Novotny

ist Architekturjournalist und schreibt regelmäßig für die Tageszeitung Der Standard, die Wochenzeitung Falter sowie für Fachmedien über Architektur, Stadtentwicklung und Design.
www.maiknovotny.com

Erschienen in

Zuschnitt 93
Holz – Bau – Forschung

Holz – Bau – Forschung im Kontext der Ressourcen- und Bauwende

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 93 - Holz – Bau – Forschung