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Nachgefragt
Woran forschen Betriebe der Holzindustrie?

erschienen in
Zuschnitt 93 Holz – Bau – Forschung, Juni 2024

Die Ressourcen- und Bauwende prägt den aktuellen Architekturdiskurs und die Forschung. Parallel dazu richten sich auch Holzbaubetriebe mit ihren Kompetenzen, Produkten und Produktionsprozessen hinsichtlich Klimawandel, Ressourcen- und Materialeffizienz aus. Wir haben dazu bei fünf großen Unternehmen nachgefragt, wie sich diese Dynamik in ihrem Betrieb abbildet und mit welchen Fragestellungen sie sich aktuell und in Zukunft konfrontiert sehen.

Welchen Herausforderungen müssen sich die holzverarbeitenden Betriebe in Zukunft – im Kontext Klimawandel, Ressourcen- und Bauwende – stellen?

Gerald Schönthaler Die zwei größten Herausforderungen sind die langfristige Rohstoffversorgung und die permanent wachsenden Anforderungen im Bau. Im Zuge des Klimawandels ändern sich die Baumarten, die Fichte als Brotbaum wird schrittweise durch resistentere Arten wie Birke, Buche oder Douglasie ersetzt. Darauf müssen wir uns einstellen, entsprechende Maßnahmen ergreifen und uns auch mit ressourceneffizienterem Bauen und der Verwendung von Kalamitätenholz und Altholz auseinandersetzen. Die normativen und baurechtlichen Anforderungen an Gebäude und die technischen Anforderungen an Bauteile und Werkstoffe steigen stetig. Das bringt große Hürden in der Standardisierung und Harmonisierung von Produkten mit sich und führt mitunter zu Abstrichen in der durchgängigen Produktqualität. Hier sind wir gefragt, innovative Lösungen zu entwickeln.

Richard Stralz Übergeordnet gilt es, die CO2-Speicherfähigkeit von Holz voranzutreiben. Darüber hinaus lassen sich drei Aspekte nennen: CO2-neutrales Bauen, recycle – reuse – rebuild sowie Klimawandel und Waldumbau. Hinsichtlich des ersten Aspekts ist Holz unschlagbar, aber bei recycle – reuse – rebuild haben wir als Holzindustrie großen Aufholbedarf. Es braucht nachhaltige Möglichkeiten, verbaute Holzbauteile und -werkstoffe hochwertig wieder- und weiter einzusetzen. Erst am Ende der Nutzungskaskade darf die thermische Verwertung stehen. Zum letzten Aspekt lässt sich sagen: Der Klimawandel kommt nicht erst, er ist schon mit voller Wucht da. Für die Holzindustrie ist daher die Beschäftigung mit alternativen Holzarten, insbesondere Laubhölzern, ein Gebot der Stunde.

Alexander Gumpp Eine große Herausforderung sehen wir darin, den Holzbau im großvolumigen Bauen in die Breite zu bringen. Dieses Ziel hat sich die Branche zwar bereits vor 25 bis 30 Jahren gesetzt und die Kapazitäten der Betriebe dafür stehen zur Verfügung. Vor dem Hintergrund der Taxonomieverordnung, des Klimaschutzprogramms und der Nachhaltigkeitsziele der EU wird der Holzbau aber weiter gepusht. Langfristig wird er gegenüber energieintensiveren Bauweisen auch einen Kostenvorteil erreichen. Wir rechnen daher mit einer stark steigenden Nachfrage beim großvolumigen Holzbau und einem Bedeutungszuwachs bei Sanierungen. Mittelfristig ist auch die Sicherung der Rohstoffversorgung ein wesentliches Thema. Ab circa 2045 werden wir eine deutlich reduzierte Nadelholzernte haben, wir müssen also Substitutionsprodukte entwickeln – aus dem Laubholzbereich und im Sinne der Kreislaufwirtschaft.

Erich Wiesner Die nachhaltige Verfügbarkeit der Fichte als Bauholz schlechthin ist im Klimawandel zunehmend bedroht. Für andere Holzarten, speziell für Laubholz, die eine wichtige Rolle spielen werden, braucht es noch innovative Entwicklungen der Verarbeitung. Während die Bedeutung des Holzbaus und die Nachfrage nach Holzprodukten für die bekannten Anwendungen weiter zunehmen, erschließen sich neue Anwendungsbereiche und Größenordnungen, etwa der Holzhochhausbau im urbanen Bereich. Doch anstatt möglichst viel Holz einzusetzen, geht es darum, das Potenzial durch moderne Engineering- und Produktionsmethoden bestmöglich auszuschöpfen und in Richtung Kreislauffähigkeit zu bringen.

Georg Jeitler Die holzverarbeitende Industrie steht im Mittelpunkt dieser Entwicklungen und muss einige Herausforderungen meistern, die aber durchaus als Chancen gesehen werden. Im Bausektor, der einen Großteil des CO2-Ausstoßes verursacht, bietet der Holzbau mit innovativen Gebäuden aus Holz die Lösung – eine nachhaltige Entnahme der Ressource Holz vorausgesetzt. Dass Holz nachwächst und sich ständig erneuert, ist sein größter Vorteil und steht mit der Bindung von CO2 in unmittelbarem Zusammenhang. Die Entwicklungen gehen in Richtung alternative Holzarten, ressourcenschonender Umgang mit Nadelholz und Einsatz innovativer Technologien, um die Produktivität und die Effizienz weiter zu steigern.

Welche Rolle spielt die Forschung in Ihrem Betrieb? Woran forschen Sie vor diesem Hintergrund?

Gerald Schönthaler Wir betreiben eigene Forschung zu Produkten, Produktion und Bauprozessen und modifizieren regelmäßig unsere bestehenden Produkte, unter anderem indem wir neue Halbfertigprodukte wie Brettschichtholz verwenden. Wir entwickeln Konzepte und Produkte für Rückbau und Wiederverwertung von Bauteilen im Sinne der Kreislaufwirtschaft und setzen auf die Entwicklung von Sonderbauteilen aus Holz und Lignin für Wandsysteme. Wo materialspezifisch vorteilhaft, setzen wir Stahl-Holz-Beton-Hybridtragwerke ein und verwenden ökologische Dämmmaterialien oder Klebstoffe zur Sicherstellung der Sortenreinheit und Kreislauffähigkeit unserer Produkte. Darüber hinaus beteiligen wir uns an externen Forschungsprojekten und wissenschaftlicher Grundlagenarbeit, unterstützen die akademische Ausbildung und bringen uns aktiv bei der Ausarbeitung oder Überarbeitung von Normen und Richtlinien ein.

Richard Stralz In unserem Unternehmen forscht ein Team von Fachleuten – in intensiver Zusammenarbeit mit externen Expert:innen in Österreich und dem benachbarten Ausland – an der bestmöglichen Nutzung des Rohstoffs Holz. Mit Blick auf die Endlichkeit der Ressourcen muss unser Ziel sein, die in der Sägeindustrie gültigen Ausbeuten von 60 bis 65 Prozent mit entsprechenden neuen Sägetechnologien auf rund 80 Prozent zu steigern. Das bedeutet ein generelles Umdenken in den Produktionsverfahren und die Kombination von Herstellungsverfahren. Methoden wie kombiniertes Schälen und Sägen stecken zwar noch in den Kinderschuhen, Erstergebnisse sind aber vielversprechend. Ein weiterer Schwerpunkt liegt für uns im Bereich biogener Klebstoffe für unsere Weiterverarbeitungsprodukte.

Alexander Gumpp Die Wissenschaft braucht zur Forschung die Praxis und umgekehrt. Daher beteiligen wir uns an diversen Forschungsprojekten, um Neues zu entwickeln und Bestehendes zu validieren und optimieren. Aktuell liegt unser Fokus auf der Standardisierung und Digitalisierung der Planungs- und Produktionsprozesse. Hier wird es zwar in mittelbarer Zukunft keine Standardlösungen der Softwareindustrie geben, doch es bieten sich leistungsfähige Einsatzmöglichkeiten von KI. Im Bereich der seriellen Sanierung gilt es, neben der bereits erfolgten Grundlagenforschung Anwendungsstandards zu entwickeln. Die intensive Mitarbeit an Projekten im Brandschutzbereich hatte den Erfolg, dass wir jetzt halbwegs geregelt bis in die Gebäudeklasse 5 bauen dürfen. Hier bleiben wir dran, denn das „halbwegs“ muss noch weg.

Erich Wiesner Wir beschäftigen uns – auch in konkreten Forschungsprojekten – mit dem zukünftigen Einsatz von Laubholzprodukten und mit der Optimierung bei Ausbeute und Sortierung. Die Digitalisierung des gesamten Wertschöpfungsprozesses spielt dabei eine wesentliche Rolle, denn die genaue Kenntnis von Holzeigenschaften und Festigkeiten ist für die Produzent:innen von tragenden Holzprodukten die Ausgangsbasis für optimierte Bauteile. Wir nutzen Systeme und Methoden auch, um Teststellungen verschiedener Holzarten für den Einsatz im Ingenieurholzbau zu untersuchen. Unser Engineering hat einen starken Fokus auf die Verbindungsmitteltechnik. Hinsichtlich Materialeinsparung beschäftigen wir uns mit aufgelösten Tragwerkssystemen wie Fachwerken und mit wirtschaftlich leistungsfähigen Knotenverbindungen, hier auch in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft und eine mögliche Rückbaubarkeit. Ein weiterer Fokus liegt auf Systemlösungen für den mehrgeschossigen Holzbau, im Speziellen von Verbundbauteilen für Holzhochhäuser.

Georg Jeitler Wir setzen auf die enge Zusammenarbeit und Vernetzung von Produktion, externen Forschungseinrichtungen und Zulieferbetrieben, um branchenführende Expertise und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse direkt in unsere Entwicklungen zu integrieren. Dabei steht das Zusammenspiel von Qualität und Innovation im Fokus, um mit unseren Produkten Beständigkeit und Zuverlässigkeit im Holzbau zu gewährleisten und die technischen und ästhetischen Möglichkeiten von Holz als Baustoff zu erweitern. Wir beschäftigen uns mit der Nutzung der Rinde, Fertigprodukten für den Holzbau und der effizienteren Nutzung von Sägenebenprodukten und alternativen Holzarten. Dazu kommen die Substitution von CO2-intensiven Produkten durch innovative Holzwerkstoffe, das Thema Vorfertigung und – in Bezug auf Reuse und Recycling – wiederlösbare Verbindungstechniken. Übergeordnet stehen für uns der sorgsame Umgang mit der Ressource Holz und die Dekarbonisierung der Baubranche im Vordergrund.

Wo orten Sie weiteren Forschungsbedarf?

Gerald Schönthaler Ganz klar bei der Nutzung lokaler Holzarten unter Minimierung der Transportketten. Auch die Entwicklung von KI für die Tragwerksplanung und digitale Methoden zur Unterstützung der vollintegrativen Planung und Optimierung der Vorfertigung haben Potenzial. Bezogen auf das Bauen besteht ein Bedarf an Konzepten zur Berechnung realer Daten für eine umfassende Ökobilanzierung über den gesamten Lebenszyklus. Für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft braucht es Lösungen im Umgang mit rückgebautem Altholz, das aufgrund der unbekannten Vorbehandlung derzeit noch schwer recycelbar ist, und Forschung in Richtung ökologischer Klebstoffe zur Sicherstellung der Sortenreinheit.

Richard Stralz Als wesentliche Schwerpunkte sehe ich die Verfügbarkeit und optimale Verwendung von Ressourcen, verbunden mit den Themen der Rückbaubarkeit und des Wiederverwendens von Holzbauprodukten. Dabei gilt es, logistische Herausforderungen zu lösen: Wo lagere ich wie? Welche Prüfungen oder Bearbeitungen muss ich durchführen und dokumentieren, bevor ein statisches Bauteil wiedereingesetzt werden kann? Weiters werden uns das Lösen von Bauteilen nach jahrzehntelangem Einsatz, die aktuellen Fügetechniken, die Kombination unterschiedlicher Holzarten und die Möglichkeiten, neue, faserbasierte Werkstoffe herzustellen, beschäftigen.

Alexander Gumpp Wir sehen Bedarf an Forschung, um nachwachsende Dämmstoffe in den höheren Gebäudeklassen einsetzen zu können, und halten es für erforderlich, gemeinsam mit den Ausführenden stärker im Bereich der Zirkularitätsforschung einzusteigen. Wir müssen mit der Wissenschaft die Anforderungen an zirkuläre Komponenten definieren und eine Skalierung erreichen. Interessant wäre auch, empirisch zu erforschen, ob unsere aktuelle Definition von Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb und die damit verbundenen Planungs- und Vergabeprozesse wirklich funktional sind.

Erich Wiesner Forschungsfragen der Zukunft betreffen die Entwicklung und Anwendung von Hybridbauteilen für hochtragende Ingenieurholzbauprodukte und die Kombination von Brettschichtholz mit anderen Holzwerkstoffen für effizientere Bauweisen. Weiteres Potenzial liegt in der digitalen Prozesskette vom Entwurf über die Planung und Produktion bis hin zur Montage. Schließlich sind die effizientere Nutzung von Fichtenholz, industrielle Fertigungsverfahren mit neuen Holzarten, die Digitalisierung vom Wald bis zum Gebäude inklusive Rückbau, die Erhöhung des Substitutionspotenzials im Massivbau und die Wiederverwendung von Produkten und Gebäuden aus Holz im Sinn der Kreislaufwirtschaft zu untersuchen.

Georg Jeitler Das Feld ist sehr vielfältig, insgesamt steht Flexibilität in der Zukunft mehr denn je auf der Tagesordnung. Für uns heißt das, uns noch breiter aufzustellen und die Zusammenarbeit mit Expert:innen und anderen Unternehmen zu forcieren. Konventionelle Holzbauansätze müssen überdacht werden, um effizientere und ressourcenschonende Lösungen zu entwickeln. Hier sehen wir hochgradig vorgefertigte Holzbausysteme, intensive Materialforschung und die Ausdehnung im Bereich alternativer Holzarten im Vordergrund. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Integration von Reusemöglichkeiten, um den Lebenszyklus von Holzprodukten zu verlängern und die Kreislaufwirtschaft zu fördern.

 

Gerald Schönthaler
Geschäftsführer von Rubner Holzbau GmbH

Richard Stralz
Geschäftsführer von Mayr-Melnhof Holz Holding AG, Obmann von proHolz Austria

Alexander Gumpp
Geschäftsführer von Gumpp & Maier GmbH

Erich Wiesner
Geschäftsführer von Wiehag Holding

Georg Jeitler
Leiter Qualität&Innovation in der Hasslacher Gruppe


verfasst von

Christina Simmel

leitende Redakteurin der Zeitschrift Zuschnitt

Erschienen in

Zuschnitt 93
Holz – Bau – Forschung

Holz – Bau – Forschung im Kontext der Ressourcen- und Bauwende

8,00 €

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Zuschnitt 93 - Holz – Bau – Forschung