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Werk- und Forschungshalle in Diemerstein

erschienen in
Zuschnitt 93 Holz – Bau – Forschung, Juni 2024

Daten zum Objekt

Standort

Diemerstein/DE

Bauherr:in

Stiftung für die RPTU Kaiserslautern

Architektur

fatuk, Fachgebiet Baukonstruktion 1 und Entwerfen

Statik

fatuk, Fachgebiet Tragwerk und Material

Holzbau

fatuk, Fachbereich Architektur RTPU Kaiserslautern-Landau

Fertigstellung

2023

Typologie

Bildung

Neue Holzarten und reversible Verbindungen

Nutzungsflexible Gebäude, die Steigerung der Verwendung von Bauprodukten aus Buchenholz und die Entwicklung reversibler Verbindungen für zirkuläre Tragstrukturen sind Themenschwerpunkte des t-lab – des Forschungsbereichs für Holzarchitektur und Holzwerkstoffe an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität (RPTU) Kaiserslautern-Landau. In mehreren Projekten wird hier auch zum Prinzip der Kreislaufeffektivität im Holzbau geforscht, zur Langlebigkeit und Materialeffizienz, zur Nutzungsflexibilität, Elementierung und Standardisierung sowie zur Reversibilität der Anschlüsse, digitalen Dokumentation und einer integralen Planungskultur. Anhand des Neubaus der Werk- und Forschungshalle Diemerstein wurden alle diese Themen konkret umgesetzt und veranschaulicht.

Mitten im Pfälzer Wald, in Nachbarschaft zur Villa Denis, dem Sitz der Stiftung der RPTU Kaiserslautern-Landau, wurde dem t-lab eine Versuchsfläche für die angewandte Holzbauforschung zur Verfügung gestellt. Hier wird nach und nach der t-lab Campus Diemerstein mit Experimental- und Forschungsbauten im Maßstab 1:1 entstehen. Die ersten Pläne für das Auftaktgebäude wurden gemeinsam mit Student:innen bereits 2018/19 erarbeitet. In den Folgejahren wurden die Planungen bis ins Detail konkretisiert, weitere Forschungen erfolgreich durchgeführt und Mittel zur Finanzierung der baulichen Umsetzung des Pilotprojekts akquiriert. Der Neubau der Werk- und Forschungshalle ist in Längsrichtung im Diemersteiner Tal der Ortsgemeinde Frankenstein situiert.

Die architektonische Gestalt bezieht der Holzbau aus der konsequenten Forderung nach kreislauffähigen Materialien, Komponenten und Bauelementen. Im Inneren bietet die rund 350m2 große Halle einen multifunktionalen Raum, nutzbar für den Bau von großmaßstäblichen Versuchskörpern sowie für Seminare und Tagungen rund um die Forschungsthemen des t-lab. Die Fläche ist flexibel möbliert und kann nutzungsspezifisch umgestaltet werden. Eine frei im Raum stehende Holzbox zoniert den Eingangsbereich und nimmt ergänzende Funktionen (Lager, WC, Garderobe, Küche) auf.

Vorgespannte Dreigelenkrahmen aus Buchen-Furnierschichtholz GL75 im Rastermaß von 2,5 Metern mit Knoten aus Kunstharzpressholz (KP) bilden das Primärtragwerk der 27,5 Meter langen, 12,7 Meter breiten und rund 7 Meter hohen Halle. Die raumabschließenden und aussteifenden Wand- und Deckenplatten bestehen aus 120mm starkem Fichten-Brettsperrholz. Kegelförmig gefräste Konusadapter, ebenfalls aus KP, verbinden die Dach- und Wandelemente mit den Dreigelenkrahmen. KP, hergestellt mittels Hochdruckverdichtung und Verpressung von Buchen-Furnierschichtholz mit Phenolharz, wird bisher hauptsächlich im Maschinenbau eingesetzt. Es eignet sich besonders als Knotenmaterial, weil es formbeständig ist und ähnliche Querdruckfestigkeiten wie Stahl aufweist. Zudem ermöglicht es eine kreuzweise und sogar ringförmige Schichtung, um Kräfte aus verschiedenen Richtungen, wie es bei den Dreigelenkrahmen der Halle der Fall ist, aufzunehmen. Die Ringknoten werden durch formschlüssige Verbindungen mit Schubnocken und Scheibendübeln an den Stäben aus Buchen-Furnierschichtholz angebracht. Die Druckkräfte werden, wie im Holzbau üblich, durch Kontakt übertragen, die Zugkräfte hingegen durch die Vorspannung der Stäbe mithilfe integrierter M16-Gewindestangen. Die Konusdübel dienen dazu, Scherkräfte in der formschlüssigen Verbindung zwischen den Wand- und Deckenelementen und den Dreigelenkrahmen zu übertragen und das Ablösen unter Windsog zu verhindern.

Auf eine Bodenplatte aus Stahlbeton wurde bewusst verzichtet. Stattdessen bildet eine reversibel montierte Trägerlage aus Stahl, gegründet auf Mikropfählen, das Fundament. Darüber liegen 160mm starke Brettsperrholz-Elemente, die sowohl den unteren Gebäudeabschluss als auch den Fertigfußboden darstellen. Der Aufbau folgt dem Prinzip eines Kriechkellers – luftunterspült und 30 cm über der bekiesten Erdschicht angeordnet, ist die Dauerhaftigkeit der Bodenplatte aus Brettsperrholz gewährleistet. Zu Forschungszwecken erfolgt ein begleitendes Monitoring der Holzfeuchte.

Die äußere Schicht der Gebäudehülle setzt sich aus Weichfaserdämmplatten und vorgefertigten, 1,25 Meter breiten, reversibel gefügten Bauelementen aus vertikal geschalten, sägerauen Douglasienbrettern auf einer Unterkonstruktion zusammen. Der Dachaufbau erfolgt analog, die Eindeckung jedoch nicht aus Holz, sondern aus wiederverwendbaren Wellblechelementen. An den Längsseiten wird der Baukörper über drei runde, festverglaste Öffnungen belichtet. Den räumlichen Abschluss der Stirnseiten bilden transluzente Polycarbonat-Stegplatten, die um ein Rasterfeld eingerückt sind. Der so entstehende Dachüberstand dient auf beiden Seiten als vorgelagerter, geschützter Aufenthaltsbereich.
Die Zirkularität der Tragkonstruktion konnte durch die Errichtung eines 2,5 Meter breiten Rasters nachgewiesen werden. Um die Wiederverwendbarkeit einer millimetergenauen reversiblen Fertigung auch im Gebäudemaßstab zu demonstrieren, wurden zwei Dreigelenkrahmen mit Brettsperrholz-Platten für Boden, Wand und Decke vorab im Werk aufgebaut, anschließend wieder zerlegt, zur Baustelle transportiert und dort als Teil des Gebäudes ohne Wertverlust wieder aufgebaut.

Der Entwurf, die Planung und der Bau des zu 100 Prozent reversiblen Holzbaus erfolgten, unterstützt von lokalen Firmen, mit Student:innen. Über mehrere Semester hinweg arbeiteten diese, angeleitet von Zimmerermeister Oliver Betha und wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen der beteiligten Lehrstühle, an der Umsetzung. So wurde der Neubau der Werk- und Forschungshalle Diemerstein nicht nur zum Anschauungsobjekt für Kreislaufeffektivität im Holzbau, sondern auch zu einem Beispiel für forschungsbasierte Lehre als Grundlage für die Transformation des Bauwesens.


verfasst von

Jürgen Graf

Professor an der TU Kaiserslautern, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Tragwerk und Material

Stephan Birk

studierte Architektur an der Universität Stuttgart. Er ist Gründungspartner des Architekturbüros Birk Heilmeyer und Frenzel in Stuttgart. Von 2015 bis 2021 war er Professor an der RPTU Kaiserslautern-Landau und Co-Sprecher des Forschungsbereichs t-lab Holzarchitektur und Holzwerkstoffe. Seit 2021 leitet Stephan Birk den Lehrstuhl für Architektur und Holzbau an der Technischen Universität München und ist Mitglied im Forschungsverbund TUM.wood.

Erschienen in

Zuschnitt 93
Holz – Bau – Forschung

Holz – Bau – Forschung im Kontext der Ressourcen- und Bauwende

8,00 €

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Zuschnitt 93 - Holz – Bau – Forschung