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„Der Stoff, aus dem wir Zukunft bauen“
Wald – Holz – Klima

erschienen in
Zuschnitt 94 Holz, Büro & Co., September 2024

Retimbering the cities
Auszüge aus einer Diskussionsveranstaltung zum zweiten Wald

Im Juni 2024 fanden in ganz Österreich die Architekturtage statt. In diesem Jahr lautete das Motto dieser biennalen Veranstaltung „Geht’s noch?“. Man begab sich auf die Suche nach Antworten, wie Architekt:innen und Zivilingenieur:innen auf die großen Veränderungen unserer Zeit reagieren, die von Klimawandel, Ressourcenknappheit, ökonomischen und sozialen Krisen geprägt sind. Thematisch dazu passend fand in Wien eine Diskussions­veranstaltung statt, die die ÖGFA, die Österreichische Gesellschaft für Architektur, und proHolz Austria gemeinsam organisiert hatten. Unter dem Titel „Der zweite Wald“ ging es um die Bedeutung des Waldes und des Bauens mit Holz für das Ziel, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten. Der Wald ist Kohlenstoffspeicher und ­zugleich Lieferant des nachwachsenden Rohstoffs Holz. Und doch gibt es Bedenken, was nun besser für das Klima ist: das Holz im Wald zu belassen oder damit zu bauen. Gemeinsam diskutierten der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der Waldforscher Silvio Schüler, ein Waldbesitzer und zwei Vertre­ter:in­nen aus der Architektenschaft über die Herausforderungen des Klimawandels für den Wald. Sie waren sich darüber einig, dass man den Wald nicht sich selbst überlassen darf und dass man bei den Holzbauten auch von einem zweiten Wald sprechen kann. Die folgenden ausgewählten Zitate sollen einen Einblick in das Gespräch geben.

„Wir werden leider sehr wahrscheinlich über die im Pariser Abkommen festgelegte 2-Grad-Grenze hinausschießen. Damit die meisten Kippprozesse im Klimasystem nicht richtig in Gang kommen oder wieder gestoppt werden, ist es unsere Aufgabe, dieses Überschießen so kurz und flach wie möglich zu halten. Das gelingt aber nur, wenn wir aktiv CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Dafür gibt es eine wunderbare, natürliche Lösung, die Photosynthese. Wenn wir diese nutzen und aus den daraus entstehenden organischen Rohstoffen wie Holz Gebäude und Infrastruktur bauen, haben wir einen großen Effekt.“
Hans Joachim Schellnhuber, Klimaforscher

Hans Joachim Schellnhuber ist einer der renommiertesten Klimaforscher. Er war bis 2018 Gründungsdirektor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und ist derzeit Generaldirektor des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien. In seinem Vortrag unter dem Titel „Der Stoff, aus dem wir Zukunft bauen“ wies er auf die Bedeutung nachwachsender Rohstoffe im Bauwesen hin. Wenn wir mit diesen anstelle von CO2-intensiven Baustoffen wie Stahlbeton und Beton bauen, wird viel CO2 vermieden und zugleich Kohlenstoff aus der Atmosphäre gezogen und langfristig gespeichert. Schellnhuber nennt dies die Wald-Bau-Pumpe:
nachhaltige Forstwirtschaft in Kombination mit einer Kaskadennutzung von Holzbauten und -produkten. Wird Holz aus dem Wald entnommen, wachsen neue Bäume nach und entziehen der Atmosphäre weiteres CO2. Er und seine Kolleg:innen haben errechnet, dass man diese Wald-Baum-Pumpe drei bis fünf Mal betreiben muss, um die Atmosphäre von den industriellen Abgasen zu reinigen. Das dauert etwa zwei Jahrhunderte – und damit genauso lange, wie wir die Atmosphäre seit der indu­s­triellen Revolution verschmutzt haben.

„Die Bäume wachsen heute schneller als noch vor fünfzig Jahren, weil mehr CO2 in der Atmosphäre ist. Wenn die Bäume schneller wachsen, nehmen sie auch mehr CO2 aus der Atmosphäre auf, zugleich aber birgt das schnellere Wachstum auch das Risiko einer hohen Mortalität. Sterben die Bäume im Wald ab, dann setzen sie den gebundenen Kohlenstoff wieder frei. Um dies zu verhindern, können die älteren Bäume aus dem Wald entnommen werden und das darin fixierte CO2 kann in langlebigen Holzprodukten gespeichert werden.“
Silvio Schüler, Waldforscher

Silvio Schüler ist Leiter des Fachinstituts für Waldwachstum, Waldbau & Genetik am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW). Zwar geht es dem Wald in Österreich laut Schüler noch gut, doch die Holzvorräte im Wald steigen und die Bäume werden immer älter und dicker. Wird der Wald nicht aktiv bewirtschaftet, dann sterben diese Bäume ab und emittieren in den nächsten Jahrzehnten viel Kohlenstoff. In Österreich sei das ungefähr das 14- bis 15-fache der jährlichen österreichischen Treibhausgase. Um die Funktionen des Waldes und damit auch die Kohlen­stoffaufnahme weiterhin zu gewährleisten, muss der Wald aktiv umgebaut und klimafit gemacht werden.

„Wenn wir eine Kohlenstoffbilanzierung nur bis 2050 betrachten, dann scheint es die beste Option, den Wald wachsen zu lassen. Doch wenn man über 2050 hinausschaut, ist das die schlechteste Option, weil alte Bäume absterben und viel CO2 freisetzen, während zugleich durch die Nutzung fossiler Roh­stoffe weiter klimaschädliche Emissionen forciert werden.
Das Overshooting bekommen wir nur in den Griff, wenn wir möglichst viele biogene Rohstoffe für eine neue Bioökonomie verwenden.“
Felix Montecuccoli, Waldbesitzer in Niederösterreich

„Die Architektur ist für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, 50 Prozent des Mülls und 80 Prozent des Ressourcenverbrauchs. Wir als Büro beschäftigen uns viel mit der Frage, wie man klimaneutral oder sogar klimapositiv bauen kann.
Das klingt einfach, ist aber enorm komplex. Wir sind noch in der Phase des Verstehens, müssen aber gleichzeitig schon handeln. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was die Hebel sind. Ich finde das Bild, das heute aufgezeichnet wurde, sehr schön: dass wir als Architekt:innen einen zweiten Wald bauen können.“
Katharina Bayer, Architektin, einzueins Architektur

„Warum kommen wir nicht ins Tun? Der ganze Apparat des Bauens ist wie ein großer Öltanker. Will man diesen in eine andere Richtung lenken, benötigt man viel Energie, da er sehr träge ist. Damit dieser Richtungswechsel gelingt, braucht es unter anderem auch einen Generationenwechsel. Meine Strategie ist, genau dort anzusetzen: in der Ausbildung der jungen Leute.“
Juri Troy, Architekt und Professor für Entwerfen und Holzbau im urbanen Raum an der TU Wien

Die Diskussionsveranstaltung „Der zweite Wald“
kann man in der gleichnamigen Folge des Podcasts
„Von A bis HolZ“ nachhören:

Zum Podcast


verfasst von

Anne Isopp

ist freie Architekturjournalistin. Sie studierte Architektur an der TU Graz und TU Delft und Qualitätsjournalismus an der Donau Universität Krems. Sie war von 2009 bis 2020 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt.

Erschienen in

Zuschnitt 94
Holz, Büro & Co.

Neue Gebäude, Räume und Orte der Büroarbeit in Holz

8,00 €

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Zuschnitt 94 - Holz, Büro & Co.