Offensichtlich ist nicht nur die Notwendigkeit des Klimaschutzes, sondern auch die Relevanz der gebauten Umwelt und der architektonischen Gestaltung unserer Zukunft im Hinblick auf den Klimawandel und die bestehenden Ortskerne. Dies bedeutet Planen, Bauen, aber auch Nichtbauen und vor allem Umbauen. Der Fokus muss auf Bestandserhaltung, auf Innenentwicklung und Ortskernstärkung, Leerstandsnutzung, auf Sanierung, Umbau und Weiterbau liegen.
Baukultur
Das Konzept der Baukultur ist zusätzlich hilfreich, einen erweiterten Blick auf unsere Lebensräume und auf die weiteren Zusammenhänge und Prozesse der Planung generell zu richten und den ländlichen Raum zu stärken.
Baukultur entsteht überall dort, wo Menschen ihren Lebensraum gestalten. Baukultur manifestiert sich in Gebäuden, Straßen und Plätzen ebenso wie in Verkehrs- und Infrastrukturbauten, Gewerbeparks und Dorfzentren. Sie lebt vom Zusammenspiel vieler Kräfte. Dazu zählen die Nutzer:innen, deren tägliches Leben von der Qualität der Baukultur geprägt wird, die öffentlichen und privaten Auftraggeber:innen sowie die planenden Berufe – Architektur, Städtebau und Landschaftsplanung, Bauingenieurwesen und Raumplanung.
Baukultur braucht Tradition und Innovation, um aus den Leistungen der Vergangenheit und der Gegenwart das baukulturelle Erbe von morgen zu schaffen. Wie wir die Orte und Landschaften Österreichs gestalten und verändern, in welchen Prozessen und mit welchen Ergebnissen, ist identitätsstiftend für die Bevölkerung. Gelungene Baukultur steigert die Lebensqualität, stärkt die vorhandenen Orts- und Stadtkerne, trägt zur Stärkung des ländlichen Raumes bei und sichert die Daseinsvorsorge.
Klimaherausforderungen
Auch wenn durch erfolgreiche Maßnahmen der Energieeffizienz von Gebäuden beträchtliche, aber nicht ausreichende CO2-Emissionsreduktionen erreicht werden konnten, stieg gleichzeitig das Emissionsvolumen des Verkehrs drastisch an. Das Konzept der Baukultur ermöglicht es, den Fokus beispielsweise auf beide Bereiche in ihrer Gesamtheit und Wechselwirkung zu richten. Siedlungsstrukturen bzw. Zersiedelung, nicht mehr funktionierende Stadt- und Ortskerne, hoher Bodenverbrauch, Versiegelung, die Nichtnutzung von Leerständen haben einen direkten Einfluss auf die Klimakrise, die bereits für alle erfahrbar ist (Reduktion der Biodiversität, Hitzefolgen, Naturkatastrophen, Gefährdung der Versorgungssicherheit).
Architektur und Baukultur sind somit langfristige und wirksame Hebel für Klimaschutz, Lebensqualität, Gesundheit und Wohlbefinden der gesamten Bevölkerung. Den Hebel gezielt einzusetzen und hohe Qualität zu erreichen, kann nur durch interdisziplinäres, regionales und globales, sofortiges und langfristiges Handeln (Stichwort Lebenszyklus und regionale Wertschöpfung) gelingen.
Im Sinne hochqualitativer Baukultur müssen Fördermittel so vergeben werden, dass sie die problematischen Entwicklungen des Bauens nicht weiter verstärken (Verödung der Ortskerne, Wachsen der Orte an den Rändern, Bodenverbrauch, Zersiedelung und steigende Infrastrukturkosten sowie die damit verbundene Verkehrsinduktion, kurzlebige Bauweisen, monofunktionale Stadt- und Siedlungsteile, fehlende Betrachtung von Materialkreislauf und Lebenszyklus etc.), sondern dass sich das Bauwesen hin zu nachhaltigen, qualitätsvollen Vorgangsweisen weiterentwickelt.
Vermittlung
Entscheidend ist, möglichst früh bei der Auseinandersetzung mit Themen der Architektur, der Gestaltung unserer Umwelt anzusetzen. Das Erkennen der Zusammenhänge, das Wahrnehmen der Interdependenzen und das Gestalten der eigenen Wirkungsmöglichkeiten sowohl als Gesellschaft als auch als Individuum setzt Bewusstseinsbildung und Vermittlung dieser Komplexität voraus. Hier gibt es bereits eine Reihe von Initiativen, die Baukulturvermittlung betreiben und flächendeckend in Form von Architekturhäusern in ganz Österreich vorhanden sind.
Qualitätsvolle Prozesse
Neben vielen baubezogenen Thematiken, die durch verbesserte Regulative weiterentwickelt werden müssen (z. B. im Bereich des nachhaltigen Bauens), ist ein entscheidender Ansatzpunkt der Fokus auf prozesshafte Abläufe, die man so gestaltet, dass sie sozusagen von selbst zu höherer Qualität führen. Ein gut abgestimmtes Baukultur-Förderprogramm für Gemeinden und Städte könnte hier wertvolle Dienste leisten. Auf dem Wege der Investition öffentlicher Fördermittel in spezielle Prozesselemente könnte mit vergleichsweise geringen Mitteln die Qualität der Projekte enorm gesteigert werden, während zugleich die Folgekosten auf ein sinnvolles Maß reduziert würden.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf folgenden Projektphasen: Am Beginn steht die sogenannte Phase 0 der Projektentwicklung, in der die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden, die grundlegend dafür sind, wie nachhaltig und sozial ein Bauprojekt wirkt: An welchem Standort wird gebaut? Kann ein Bestandsgebäude oder eine Brache genutzt werden? Wie verhält sich das Projekt zum dörflichen oder städtischen Umfeld? Welche Synergien, Mehrfachnutzungen, Zusatzangebote sind integrierbar? Wie muss der Projektablauf definiert werden, damit bei vertretbaren Kosten und Zeiten hohe Qualität erreicht wird? Daran anschließend oder darin integriert folgt die Phase der Bürger:innenbeteiligung, insbesondere bei Projekten der öffentlichen Hand und im öffentlichen Raum. Diese Phase ist essenziell wichtig, wenn es beispielsweise um das Abholen der Bedürfnisse für die Planung geht, um die Aneignung und Identifikation und vieles mehr. Auf Basis der Phase 0 und der Beteiligung soll schließlich ein städtebaulicher und/oder (landschafts)architektonischer Wettbewerb durchgeführt werden, der dafür sorgt, dass die zuvor ausgearbeiteten Anforderungen in höchster Qualität umgesetzt werden. Und schließlich empfiehlt sich für jede Gemeinde und jede Stadt, die privaten und öffentlichen Bauprojekte im eigenen Wirkungsbereich von einem Gestaltungsbeirat begleiten und weiterentwickeln zu lassen. Auf dem Wege der Investition öffentlicher Fördermittel in diese Prozesselemente kann mit vergleichsweise geringen Mitteln die Qualität der Projekte enorm gesteigert werden.
Hier möchte ich auf ein sehr gelungenes Kärntner Praxisbeispiel, das Ortszentrum von Arriach von Hohengasser Wirnsberger Architekten, verweisen, in dem die hochgesteckten Qualitätskriterien mit Bravour umgesetzt sind. Besonders positiv hervorzuheben sind die Beseitigung eines Leerstandes, die Umnutzung des Bestandes, die Schaffung eines Nahversorgers in Holzbauweise sowie die hochwertige Platzgestaltung, die eine völlig neue Aufenthaltsqualität im kleinen Ort geschaffen hat.
So wurde nicht nur das Dorfleben nachhaltig verbessert, sondern auch die Daseinsvorsorge sichergestellt. Das Projekt erhielt für den sorgsamen und vorausschauenden Umgang mit dem Ortszentrum völlig zu Recht den Kärntner Landesbaupreis.
Um Klimaneutralität bis zum Jahr 2040 zu erreichen, sind eine neue Kultur des Pflegens und Umbauens, Grenzwerte für die Lebenszyklus-Treibhausgasemissionen von Bauwerken sowie größere Energie- und Materialeinsparungen notwendig. Das Architekturprojekt zeigt auf, wie das tatsächlich funktionieren kann und in welcher Art und Weise das Weiterbauen völlig logisch und harmonisch den Ort visionär ergänzen kann.