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Bausteine der Belebung
Neues im Dorfzentrum, Teufenbach

erschienen in
Zuschnitt 95 Regionen und Gemeinden stärken, Jänner 2025

Der Bezirk Murau liegt im Westen der Steiermark mit Grenzen zu Kärnten und Salzburg. Er gehört flächenmäßig zu den größeren der 13 Bezirke, ist aber der am dünnsten besiedelte. Die aktuelle Landesstatistik sagt: 27.062 Einwohner:innen, das sind 20 Personen pro Quadratkilometer, Tendenz fallend; 17,7 Prozent unter 20-, 25,4 Prozent über 65-Jährige; Geburtenbilanz –129 (2023); Wanderungsbilanz –125 (2023) – Zahlen, die zeigen, dass Abwanderung und Überalterung zu den größten strukturellen Problemen der Region zählen.

Als Wirtschaftszweige sind vor allem die Forstwirtschaft und der Tourismus relevant. In Teufenbach-Katsch ist jedoch die Industrie der bestimmende Wirtschaftsfaktor, Leitbetrieb ist die IBS Austria GmbH, ein Technologieunternehmen im Bereich Papiermaschinen. Deren Inhaber Klaus Bartelmuss ist Initiator und Bauherr des Projekts „Neues im Dorfzentrum“, wobei ein Dorfzentrum im stadtplanerischen Sinn bis vor Kurzem nicht existierte. Vielmehr bildeten der ADEG-Markt, das Seniorenwohn- und Pflegeheim Schloss Neuteufenbach, Kirche und Pfarrhof, der Sportplatz sowie – etwas abgesetzt – das Gemeindeamt eine funktionale Einheit, die die wesentlichen gemeinschaftlichen Einrichtungen in räumlicher Nähe versammelt.

Mit der Absicht einer Verdichtung mit Wohnnutzung kaufte Klaus Bartelmuss der Gemeinde ein weitgehend ungenutztes Grundstück südlich der Kirche ab. Der Planungsauftrag wurde direkt an das Büro Lendarchitektur vergeben, das Scheiberlammer Architekten dazuholte. Ein Bürgerbeteiligungsprozess fand nicht statt. Dieser wäre zwar im Sinne der Miteinbeziehung der Bevölkerung sicher von Vorteil gewesen, doch sei dahingestellt, ob das Ergebnis dieselbe städtebauliche und gestalterische Stringenz erreicht hätte.

Ein einladendes Gefüge aus Alt und Neu

Das Planungsteam restaurierte den unter Denkmalschutz stehenden, straßenseitigen Pfarrhof, der jetzt flexibel nutzbare Räume im Erdgeschoss und zwei Wohnungen im Obergeschoss enthält. Davon ausgehend positionierten sie zwei lang gestreckte, im rechten Winkel zueinander stehende, zweigeschossige Baukörper mit flachen Satteldächern so, dass ein neuer Platz gebildet wurde, der alle Charakteristika eines Dorfplatzes aufweist: Eine gut proportionierte, barrierefrei begehbare Fläche mit einer Zonierung durch unterschiedliche Beläge, da und dort Sitzstufen, ein Lindenbaum, ein Brunnen und ein angrenzendes, mit schattenspendenden Bäumen bepflanztes Wiesenstück bilden ein einladendes Gefüge, das als Treffpunkt, Aufenthalts- und Veranstaltungsort gleichermaßen geeignet ist.

Im unmittelbaren Kontext der gemauerten Bestandsbauten ungewöhnlich, aber im übergeordneten, landwirtschaftlich geprägten Zusammenhang schlüssig, wurden die neuen Häuser in traditioneller Riegelbauweise geplant – auch bezugnehmend auf die Region als waldreichste Österreichs und um mit Handwerker:innen aus der Region zu arbeiten. In den nicht unterkellerten Gebäuden sind im östlichen Riegel eine Gemeinschaftspraxis und Wohnungen untergebracht, im südlichen ausschließlich Wohnungen. Während die Praxisräumlichkeiten zum Platz hin orientiert sind, werden alle Wohnungen zwar von hier aus über Laubengänge erschlossen, öffnen sich jedoch auf der platzabgewandten Seite Richtung Osten bzw. Süden mit dem Blick ins Grüne. Vor die Laubengänge gestellte Holzschirme bilden eine Pufferzone als Sicht- und Sonnenschutz und verleihen der Fassade Tiefe und einen lebhaften Rhythmus. In gleicher Weise sind die Brüstungen der Laubengänge sowie die Stirnseiten der Baukörper ausgeführt, hinter denen sich jeweils an der rechten Seite eine einläufige Stiege sowie ein Lift verbergen. Nicht nur in holzschutztechnischer Hinsicht, sondern auch als wichtiges Gestaltungselement sind die Schirme sowie die Giebelfronten der Dächer – also jeweils die äußerste Haut der Gebäude – dunkelbraun lasiert, alle dahinterliegenden Oberflächen in naturbelassenen Fichtenbrettern ausgeführt. Dieser Kontrast wird sich mit der Zeit durch Vergrauung der Letzteren abschwächen, die Differenzierung von „vorderen“ und „hinteren“ Flächen aber sichtbar bleiben.

Bei den barrierefreien Wohnungen handelt es sich um Ein- und Zweizimmereinheiten mit ca. 45 bzw. 60 m2. Dieses Konzept ist im ländlichen Umfeld kaum üblich, die Wohnungen sind jedoch als Startwohnungen, für Ältere bzw. Alleinstehende und für betreutes Wohnen bestens geeignet und waren in kurzer Zeit belegt.
Die neue Dorfmitte verbindet nun die ursprünglich in keinem spürbaren Zusammenhang stehenden Funktionen, ein Netz an Vielfalt und generationenübergreifenden Kommunikationsmöglichkeiten wurde gespannt – als „strukturstarkes“ Element, überzeugend in Konzeption, Ausführung und Wirkung.


verfasst von

Eva Guttmann

ist Autorin, Lektorin und Herausgeberin im Fachbereich Architektur

Erschienen in

Zuschnitt 95
Regionen und Gemeinden stärken

Vielfältige Lösungswege, kleine und große Eingriffe aus Holz gegen Strukturschwächen

8,00 €

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Zuschnitt 95 - Regionen und Gemeinden stärken