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Essay – Strukturstärkend beteiligen

erschienen in
Zuschnitt 95 Regionen und Gemeinden stärken, Jänner 2025

Welchen Strukturen fehlt es eigentlich an Stärke, wenn von strukturschwachen Regionen oder Gemeinden die Rede ist? Gemeint sind oft infrastrukturelle Mängel, zum Beispiel beim öffentlichen Verkehr oder Breitbandinternet. Häufig geht es um Einkaufsmöglichkeiten und die Versorgung mit Gesundheitsdienstleistungen oder kulturellen Angeboten. Manchmal wird die schwache wirtschaftliche Struktur einer Region als Ursache solcher Mängel identifiziert und die demografische Struktur (die Abwanderung der Jungen und der hohe Altersschnitt der Dableibenden) als ihre Folge. Strukturschwächen können, müssen einander aber nicht gegenseitig verstärken. So können soziale Strukturen in einer Gemeinde mit der Abwanderung geschwächt werden oder auch die Haltekräfte sein, die ihr entgegenwirken.

Nicht bei allen Strukturschwächen liegen die „Reparaturwerkzeuge“ im eigenen Wirkungsbereich von Gemeinden. Nur bei einigen kann Gebautes wesentlich zur Lösungsstrategie beitragen. Doch dort, wo das der Fall ist, sind aktuell neue Lösungswege gefragt. Denn um beispielsweise Veranstaltungsräume oder Häuser zum altersgerechten Wohnen komplett aus eigener Kraft zu errichten, fehlen kleinen Gemeinden, jedenfalls in Österreich, in ihrer aktuellen Budgetsituation meist die Mittel.
Sie müssen auf einer übergeordneten Ebene anklopfen und bei Land, Bund oder EU nach geeigneten Fördertöpfen suchen, um handlungsfähig zu werden. Das kann bedeuten, dass sie mit aufwändigen Förderabwicklungen, Abhängigkeiten und Vorgaben konfrontiert sind, die den eigenen Zielen widersprechen – wenn sie überhaupt an Mittel kommen.
Wie Gemeinden von oben (wieder) finanziell ausgestattet werden müssten, um Strukturschwächen selbst zu beseitigen, ist eine andere Diskussion. Hier soll es stattdessen um strukturstärkendes kommunales Bauen aus eigener Kraft gehen und um Projekte, bei denen die Trennlinie zwischen öffentlich und privat nicht mehr ganz scharf gezogen werden kann. Public-private-Partnerships (PPP) sind in diesem Sinn nicht die klassischen Konstruktionen, bei denen Unternehmen beispielsweise öffentliche Gebäude errichten und an Gemeinden vermieten – die sich damit aber erst wieder in Abhängigkeiten begeben. Konzepte, in denen ein öffentlich-privater Nutzungsmix von Raumangeboten ausgehandelt wird, sind da oft vielversprechender, wenn auch nicht immer konfliktfrei: Im neu geschaffenen Saal finden dann profitorientierte touristische Events genauso statt wie die Aktivitäten gemeinwohlorientierter Vereine. Ein Unternehmen ordnet seine neuen Wohngebäude vereinbarungsgemäß so an, dass der neue kleine Dorfplatz gleich mitgeliefert wird.

Die „privaten“ Partner in den wahrscheinlich nachhaltigsten PPP sind aber wohl Bürger:innen, die bereit sind, ihre Kompetenzen und Ressourcen in die Stärkung von Strukturen zu investieren, von denen sie und ihr Umfeld letztlich selbst profitieren werden. So sperrten im Ortskern von St. Stefan-Afiesl in Oberösterreich Nahversorger und Wirt ungefähr gleichzeitig zu. Ein neuer Wirtshausbetreiber war nicht in Sicht. Für eine Handelskette war die kleine Gemeinde uninteressant. Die Lösung lag in der Gründung einer Genossenschaft. Sie baute das bestehende Wirtshaus mit einem beachtlichen Einsatz eigener Arbeitsstunden um und betreibt es seither inklusive eines kleinen Nahversorgers und eines angedockten multifunktionalen Saals weiter. Initiator und größter Genossenschafter ist die Gemeinde selbst. Beinahe ein Viertel der Bevölkerung besitzt Genossenschaftsanteile und kauft daher seine Packung Milch oder sein Schnitzel im „eigenen Laden“.

Die oberösterreichischen Gemeinden Hinterstoder und Klaus wiederum haben den üblichen, wenig sichtbaren und nur wenige Stunden pro Woche geöffneten Gemeindebibliotheken einen „mobilen Treffpunkt“ entgegengesetzt: Die MoBib (Mobile Bibliothek) – ein begehbarer, mit aktuellen Büchern bestückter Holzcontainer auf Rädern – wird von einem Traktor in regelmäßigen Abständen zwischen drei gut frequentierten Standorten transportiert. Sie wurde von einem Studenten aus der Region als Diplomarbeit entwickelt, mit überschaubaren Mitteln von der öffentlichen Hand finanziert, im Selbstbau realisiert und wird seither ehrenamtlich betrieben. Bauprojekte wie diese beiden beheben nicht nur einzelne Strukturschwächen, sondern stärken vor allem auch jene sozialen Strukturen, die auch in Zukunft strukturellen Mängeln entgegenwirken können. Die Beziehung zu öffentlichen Bauten und ihren Inhalten ist eine andere, wenn man ihre Konzeption, Finanzierung und Errichtung nicht „irgendwem“ am Gemeindeamt überlässt, sondern sich selbst daran beteiligen kann. Wie Bürger:innen sich ein solches Bauwerk aneignen können, hängt auch mit seinen Eigenschaften und seinem Herstellungsprozess zusammen: So haben die Mobilität und die vielfältigen Nutzungsoptionen der oben beschriebenen Bibliothek viel mit ihrem materialbedingt geringen Gewicht zu tun. Die nicht fachkundigen Genossenschafter:innen aus St. Stefan-Afiesl konnten ihre Arbeitsstunden nur in Herstellungsprozesse einbringen, mit deren Werkzeugen und Materialien sie umgehen konnten.

Bauprojekte stärken regionale Strukturen aber selbstverständlich auch durch die Beauftragung lokaler Unternehmen und die Nutzung ortsspezifischer „Materialdepots“. Letzteres können ebenso die Wälder wie der Gebäudebestand einer Region sein. Die Entwicklung von Projekten aus dem heraus, was da ist, führt oft zu einer höheren Selbstverständlichkeit und besonderen Identifikation mit Ergebnissen. Es führt mitunter aber auch zu höheren Investitionen – in Form von Gemeinschaftsbildungs-, Aushandlungs- und Konzeptionsaufwand, aber auch von Zeit- und finanziellen Ressourcen. Mit diesen Mehrinvestitionen kann man rückblickend aber oft sehr gut leben, weil sie strukturstärkend in der Region geblieben sind.


verfasst von

Christof Isopp

befasst sich als Partner beim Büro nonconform mit partizipativen räumlichen Veränderungsprozessen, im Vorstand des Vereins LandLuft mit Baukultur in ländlichen Räumen, als einer der Gründer der Plattform Zukunftsorte mit der Vernetzung innovativer Gemeinden und bei Die Verknüpfer mit Verknüpfungen aller Art.

Erschienen in

Zuschnitt 95
Regionen und Gemeinden stärken

Vielfältige Lösungswege, kleine und große Eingriffe aus Holz gegen Strukturschwächen

8,00 €

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Zuschnitt 95 - Regionen und Gemeinden stärken