Thüringen ist ein ländlich geprägtes Bundesland. Hier gibt es „alle drei Kilometer ein Dorf, alle 30 Kilometer eine Stadt, keine große Großstadt, schon gar keine Metropole“, heißt es in der Einleitung des IBA-Buchs „StadtLand Perspektiven“. Von 2013 bis 2023 fand hier die Internationale Bauausstellung Thüringen, kurz IBA, statt.
Es war die erste, die sich keinem städtischen Thema, sondern den Problemen einer weitgehend ländlich geprägten Region widmete. In Thüringen gibt es mit Weimar, Gera, Jena und Erfurt gerade einmal vier Städte, die mehr als 50.000 Einwohner:innen haben. Erfurt ist mit 215.000 Einwohner:innen die größte von ihnen. Ähnlich wie in den anderen neuen Bundesländern ist auch Thüringen von Abwanderung und Überalterung betroffen: Vor allem am Land ziehen die jungen Leute weg und die alten Menschen bleiben übrig. Große Themen der IBA waren daher die Aktivierung von Leerstand und der Umbau bestehender Bauten.
Kleine Bausteine mit großer Wirkung
Mit dem Wegzug junger Leute entstand auch eine große Lücke in der Gesundheitsversorgung. Viele Hausarztstellen am Land können nicht mehr nachbesetzt werden, die Wege zum Arzt sind weit, Termine zu bekommen ist schwierig. Dabei brauchen gerade ältere Menschen ärztliche Betreuung. Aus dieser Not heraus wurden 2017 die gemeindeübergreifende Stiftung Landleben und der Verein Landengel e. V. gegründet, die sich darum bemühen, die Pflege- und Gesundheitsversorgung im Norden Thüringens aufrechtzuerhalten, und im Zuge der IBA an vier Orten kleine, hölzerne, multifunktionale Pavillons zur Gesundheitsversorgung errichten konnten.
Die Idee ist bestechend: Die sogenannten Gesundheitskioske stehen mitten im Dorf, sind maximal 25 m2 groß, dienen der Gesundheitsversorgung, aber auch als Bushaltestellen und Treffpunkte für alle. Vier solcher Kioske gibt es bereits in den Orten Urleben, Kirchheilingen, Blankenburg und Bruchstedt. Hier bieten Gemeindeschwestern regelmäßige Sprechstunden an. Sie sind per Telemedizin mit einer Uniklinik verbunden und helfen bei bürokratischen Hürden oder Fragen zur Krankenkasse. Ärzt:innen und Therapeut:innen mieten den Behandlungsraum ebenso stundenweise an. So wurden die Gesundheitskioske innerhalb von ein, zwei Jahren zu einem lebendigen Baustein, zu einem Ort für alle. Da es hier freies WLAN gibt, sitzen auch Jugendliche gerne hier.
Aber warum wurde für die neue Gesundheitsversorgung nicht der allseits vorhandene Leerstand genutzt?
Neubau als Signal
Die Idee, neu zu bauen, kam von den Architekten. „Es gibt einen großen Leerstand, und doch fanden wir diesen unpassend. Er ist zu groß und die Betriebskosten sind zu hoch“, sagt Ralf Pasel von Pasel-K architects. „Für uns ist mit dem Neubau ein wichtiges Signal verbunden. Man muss sich das so vorstellen: In den Dörfern ist in den letzten dreißig Jahren kein neues öffentliches Gebäude errichtet worden.“ Der Neubau für die Gesundheitsversorgung ist auch deshalb so wichtig, weil er eben auch für die Bevölkerung ein sichtbares Zeichen für Veränderung und einen Neuanfang ist.
Dass die Pavillons aus Holz gebaut wurden, war wiederum Vorgabe der IBA, die den Holzbau in der Region etablieren wollte. Thüringen ist zu einem Drittel mit Wald bedeckt und damit ein sehr waldreiches Land. Es gab hier einmal eine Holzbautradition, die aber spätestens zu DDR-Zeiten in Vergessenheit geriet und auch danach nicht mehr wieder auflebte. Anfangs sollten die Kioske wie Anschauungsobjekte zeigen, was im modernen Holzbau möglich ist. Man dachte an eine Genese aus industriellem und handwerklichem Holzbau.
Aus Kostengründen wurden es dann aber einfache Holzkonstruktionen, die ein lokaler Zimmermann errichtete. Pasel-K architects erarbeiteten hierfür konstruktive Rahmenbedingungen in Form eines Detailkatalogs. So sieht jeder Pavillon anders aus und basiert doch auf der gleichen Logik. Die Konstruktion ist leicht auf andere Orte übertragbar und kann mithilfe der lokalen Bevölkerung errichtet werden. Schon beim ersten Kiosk in Urleben halfen die Einwohner:innen mit, die Fassadenlatten zu montieren. „Wir haben daraus gelernt“, erzählt Architekt Pasel. „Heute steht im Vertrag mit dem Zimmermann, dass er die lokale Bevölkerung mitnehmen muss. So ist es so zu einem Projekt für alle geworden.“ Nur so waren auch die niedrigen Baukosten von etwa 115.000 Euro pro Bau möglich.
Wie wirkungsvoll dieses Konzept ist, hat inzwischen auch die Politik erkannt. Die bis Herbst 2024 in Thüringen regierende rot-rot-grüne Koalition hatte vor, mehr solcher Gesundheitskioske zu errichten, und dies bereits in ihrem Regierungsprogramm verankert. Nach der Wahl und dem Regierungswechsel zur Brombeerkoalition ist allerdings vieles ungewiss. Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach fand die Idee bestechend und wollte deutschlandweit tausend solcher Pavillons errichten – am Land und in städtischen, marginalisierten Bezirken. Das Vorhaben ist inzwischen dem Rotstift zum Opfer gefallen. Man sollte sich aber immer wieder vor Augen führen, wie sehr alleine so ein kleiner Beitrag das Wohlbefinden einer ganzen Region fördern kann.
Quelle: IBA Thüringen (Hg.): StadtLand Projekte. Für eine neue Raumpraxis, Weimar 2023; IBA Thüringen (Hg.): StadtLand Perspektiven. Für eine neue Raumkultur, Weimar 2023.