Chorprobe, Feuerwehr, Wirtshaus: Räume für das Gemeindeleben in Dorfzentren sind elementar für den sozialen Zusammenhalt. Dazu braucht es architektonisch gar nicht viel, sondern eher ein bespielbares strukturelles Angebot direkt vor Ort. Die Stärkung der Ortskerne ist seit Jahren ein wesentliches Ziel aller Initiativen für eine bessere Baukultur und Bodenpolitik. In allen der inzwischen vier Baukulturreports des Bundes findet es sich ebenso wie in den Baukulturellen Leitlinien auf föderaler Ebene. Initiativen wie LandLuft fördern und vernetzen lokale Akteur:innen, die sich mit Zersiedelung und „Donut-Effekt“ nicht abfinden wollen, und an Best-Practice-Beispielen gibt es immer mehr.
Neben privaten Bauherr:innen, die sich beispielsweise alter verlassener Dorfwirtshäuser annehmen, oder Kommunen, die den Wohnbau in den Dorfzentren vorantreiben – oft mit speziellen Angeboten für Ältere, die ansonsten in Einfamilienhäusern vereinsamen –, spielen hier auch öffentliche Einrichtungen eine wichtige Rolle. Dabei ist der Flächenbedarf meist bescheiden, der Effekt jedoch umso größer. Gemeindeamt, Veranstaltungssaal, Küche, vielleicht noch soziale Einrichtungen wie Kindergruppe oder Kindergarten – in der Verdichtung dieser Nutzungen im historisch gewachsenen Ortskern kann das Gemeinschaftsleben auf Dauer gestärkt werden. In den letzten Jahren entstanden einige neue Gemeindezentren in Österreich, die ihre architektonische Qualität der Wiederentdeckung von Wettbewerben verdanken. Vor allem Kärnten, das als erstes Bundesland eigene baukulturelle Leitlinien beschloss, hat hier große Schritte nach vorne gemacht. Gut jurierte Wettbewerbe sorgen auch dafür, dass die Entwürfe nicht zu urban für ein dörfliches Umfeld geraten. Denn städtische Architekt:innen verschätzen sich hier gerne einmal im Maßstab.
Neue Ortsmitte Ludmannsdorf
Eine solch umsichtige Jurydiskussion beim einstufigen Realisierungswettbewerb führte 2022 mit der Neuen Ortsmitte Ludmannsdorf zu einer so ländlichen wie prägnanten Form und einer der Kärntner Gemeinde rundum angemessenen Lösung. Der preisgekrönte Entwurf von Scheiberlammer Architekten wurde 2023 fertiggestellt.
Die Vorgeschichte: Der Ortskern war in den vergangenen siebzig Jahren durch die Ansiedlung einer Bank und der Zadruga-Genossenschaft entstanden. Beide Institutionen wurden mittlerweile geschlossen und die bestehenden Gebäude von der Gemeinde aufgekauft. Dies ermöglichte ein umfassendes Neudenken des Zentrums. 2018 fand eine Ideenwerkstatt mit dem Architekturbüro nonconform statt, deren Ergebnisse als Grundlage des Wettbewerbs dienten: Kindergarten, Volksschule und schulische Tagesbetreuung waren unter einem Dach unterzubringen. Das Projekt war Teil des Programms des Klima- und Energiefonds in Kooperation mit dem Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT) – ein Klimavorzeigeprojekt war also gewünscht.
Das Planungsteam wählte einen nahezu quadratischen zweigeschossigen Holzbau mit zurückgesetzten und geschützten Erdgeschossbereichen. Das Gebäude platzierten sie direkt an der Straße, wodurch es gemeinsam mit Rathaus, Pfarrhof, Kirche und Wirtshaus eine räumliche und soziale Ortsmitte mit öffentlichem Platz bildet. Die innenräumliche Anordnung ist einfach und wirkungsvoll. Koppelbare Mehrzweckräume liegen im Erdgeschoss und können sich bei Veranstaltungen zum Freiraum öffnen.
Im Obergeschoss sind die Gruppenräume der Kindertagesgruppe angeordnet. Identitätsprägendes Element ist ein mittiger Lichttrichter. Nach außen signalisiert das neue Gemeindezentrum mit seinen großen Fensterflächen eine freundliche Öffentlichkeit, das Material Holz macht es zum Blickfang, der sich gleichwohl ins Dorfgefüge einpasst.
Gemeinschaftshaus Tratten
Eine ähnliche Aufgabe hatten Hohengasser Wirnsberger Architekten im Kärntner Ort Tratten zu lösen. Hier bildete die Freiwillige Feuerwehr, in Österreich unverzichtbarer Baustein des dörflichen Lebens, die Keimzelle für die Planung und Errichtung eines neuen Gemeinschaftshauses. Zum 130-jährigen Jubiläum wollte sich die Feuerwehr, die bislang von einer kleinen Garage aus operierte, ein neues Domizil gönnen. Die Schließung des letzten Gasthauses im Dorf sorgte für zusätzliche Motivation, dem Ortskern neues Leben und neue Räume zu geben.
Beide Anreize wurden zu einer Win-win-Lösung kombiniert: Der in den Feuerwehr-Richtlinien geforderte Schulungsraum wurde als multifunktionaler Raum ausgebildet und dient als Ersatz für das Gasthaus. Er öffnet sich großzügig zu Vorplatz und Wiese und bildet nun den „öffentlichen“ Teil des Hauses, in dem das Gemeindeleben mit Festen und Chorproben stattfindet.
Fahrzeughalle und Lager der Feuerwehr schließen sich im hinteren Bereich an. Sie mussten aus brandschutztechnischen Gründen in Beton ausgeführt werden, ansonsten konnte das Gemeinschaftshaus als konstruktiver Holzbau realisiert werden, und die Mitglieder der Feuerwehr halfen beim Bau tatkräftig mit.
In seiner äußeren Gestalt wurde für das Gemeinschaftshaus keine Sondertypologie entwickelt, stattdessen ordnet es sich mit seinem einfachen langgezogenen Rechteckgrundriss und Satteldach ins Trattener Ortsbild ein. Im Westen und Osten kragt das Satteldach einladend und vor Witterung schützend über den Vorplatz aus. Auf einen Schlauchturm wurde aus Respekt gegenüber dem Kirchturm verzichtet – auch die Feuerwehr hat ein Bewusstsein für das Ortsbild.
Dorfhaus Forchach
Wie in vielen kleineren Orten hatte man auch im Tiroler Ort Forchach im Naturpark Lechtal mehrere Fehlstellen im Grundzubehör eines Dorfzentrums ausgemacht: Kirche, Volksschule und Gemeindeamt waren vorhanden, aber kein Gasthaus und kein Dorfplatz. Denn die 250-Einwohner:innen-Gemeinde verfügt über ein beachtliches Dorfleben: Bauernbund, Freiwillige Feuerwehr, Gemeindeeinsatzleitung, Jungschar, Landjugend, Musikkapelle, Pfarrgemeinderat, Pfarrkirchenrat, Schützen, Sportverein. In einem Bürgerbeteiligungsprozess wurden konkrete Anforderungen erarbeitet, die in einen Wettbewerb der Dorferneuerung Tirol mündeten, den Todorka Iliova und Raimund Wulz gewannen.
Sie setzten einen schlichten, scheunenartiger Holzbau mit Satteldach und einer Fassade aus vertikaler Lärchenholzschalung an den südöstlichen Grundstücksrand. In seinen Abmessungen orientiert sich das Dorfhaus an der ortstypischen Körnung kompakter Baukörper. Das Innere teilen sich fast ex aequo ein Veranstaltungssaal und Funktionsräume, die nebeneinander angeordnet sind. Der Saal ist über eine mobile Wand teilbar und kann so für größere und kleinere Veranstaltungen genutzt werden: Musikproben, Gemeinderatssitzungen, Theater, Konzerte. Dank großflächiger Fensterfronten zum Dorfplatz, die sich ebenso wie die davorliegenden hölzernen Schiebe-Elemente komplett öffnen lassen, können Saal und Platz für besondere Festivitäten als ein zusammenhängender Raum genutzt werden. Ergänzt wird der Saal durch eine „Stube“ mit Küche sowie ein gemeinsames Foyer. 2023 wurde das neue Dorfhaus eröffnet und dient heute als gute Stube und lebendiges Zentrum. Dazu braucht es nicht viel – einen Saal, ein Dach, einen Platz, eine Küche. Und ein richtiges Haus am richtigen Ort.