Öffentliche Plätze gehören niemandem und damit allen. Ihre bauliche Ausgestaltung ist Aufgabe der Stadt- und Ortsentwicklung und legt den Grundstein dafür, wie, wann und von wem diese Plätze tatsächlich genutzt werden können. Im ungünstigsten Fall entsteht ein statisches „Gebilde“, ein leerer, programmatisch unbenutzter Ort. Gelingt die Planung, stehen den Nutzer:innen unzählige Möglichkeiten offen: Gut gestaltete Plätze sind Orte sozialer Interaktion, Treffpunkte für unterschiedliche Aktivitäten, Begegnungszonen und Räume für Kommunikation, informellen Austausch und gezielte Zusammenkunft. Der öffentliche Raum erfüllt wichtige Aufgaben im gesellschaftlichen Leben, konstruiert mitunter die Rollen seiner Nutzer:innen und kann tonangebend für die Belebung gemeinschaftlichen Treibens und das gelungene Funktionieren von Gemeinschaften sein.
Ein tonangebender Entwurf
Architektur ist erstarrte Musik: Die berühmte Metapher von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, die für die Beziehung zwischen Bau- und Tonkunst steht, könnte im Entwurfsprozess des Stadtplatzes im spanischen Larrabetzu eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls war ein Song der US-amerikanischen Band Fugazi Inspiration für das Projekt im baskischen Städtchen an der küstennächsten Route des Jakobswegs. Entgegen dem Titel „Last Chance for a Slow Dance“ ist der öffentlich zugängliche Pavillon aber keineswegs die letzte Möglichkeit für einen langsamen Tanz. Ganz im Gegenteil: Der vom Architekturbüro Behark entworfene offene Rathausanbau im mittelalterlichen Stadtzentrum trat an die Stelle eines verwaisten Nebenraums im Hauptgebäude und bietet sich nun rund um die Uhr zur vielfältigen Nutzung an.
Im Zuge einer geplanten Gesamtsanierung wurde der Annex abgetragen und damit der Errichtung einer Aterpe, eines für das regenreiche Baskenland typischen Unterschlupfs, ermöglicht. Deren dreiseitige, raumbildende Struktur aus Holz ruht auf einem Sockel aus Sichtbeton, in den Überreste der ursprünglichen Steinmauer eingearbeitet wurden. Durch die Ausführung der gestalterischen Hauptelemente in Form einer Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Brettschichtholz und einer ebenfalls hölzernen Dachkonstruktion hebt sich der neue Baukörper eindeutig vom historischen, steinernen Bestand aus dem 15. Jahrhundert ab.
Da im Sinne des Ensembleschutzes die ursprüngliche Geometrie gewahrt wurde, wirkt der Neubau jedoch nicht wie ein Fremdkörper, sondern fügt sich als verjüngte Variante der bekannten städtebaulichen Raumkante ins Ortsbild ein. Als wetterfeste Erweiterung des Stadtraums erlauben der großzügige Raum, unterschiedliche Sitzmöglichkeiten und ein integrierter Kiosk eine Vielzahl an Bespielungen für ein diverses Publikum.
Programmatisch passt damit der Link zu Fugazi, denn die Band ist für ihr sozialpolitisches Engagement gegen Kommerzialisierung und für Inklusivität bekannt. Ihre Konzerte waren möglichst offen und frei zugänglich gestaltet und fanden oftmals zugunsten lokaler Agenden und Organisationen statt. Ebenso spannt die Aterpe in Larrabetzu einen authentischen Möglichkeitsraum für Ortsansässige, Besucher:innen und Pilgernde auf und fördert die Gemeinschaft vor Ort.
Taktvolle Platzgestaltung
Auch im französischen Scionzier wurde durch eine Neugestaltung der Stadtplatz als sozialer Mittelpunkt wiederbelebt. Fragt man die Einheimischen, wie die Intervention auf das gesellschaftliche Leben wirkt, loben sie diese in den höchsten Tönen: als Treffpunkt für Jung und Alt mit geschäftigem Treiben, ausgelassener Stimmung und unterschiedlichsten Nutzungen von Tratsch bis Tanz.
Zentrales Element ist eine dreieckige, 680 m2 überspannende Holzkonstruktion, gestaltet vom Büro Archiplein. Zwar wurde sie als Nebenprojekt im Zuge der Renovierung und Erweiterung einer ortsbildprägenden ehemaligen Maschinenfabrik umgesetzt – im städtischen Raum ist sie aber eindeutig der Blickfang und Magnet für Zusammenkünfte aller Art. Das geneigte Dach aus mehreren Schichten miteinander verwobener Massivholzbalken lagert auf möglichst wenigen tragenden Holzstützen mit Betonsockeln. Trotz seiner Dimensionen scheint der hölzerne Triangel – jede Seitenlänge umfasst 36 Meter – fast über dem Platz zu schweben. Der niedrigste Punkt ruht auf einer Betonstruktur mit Nebenräumen, die höchste Stelle ragt an die 7 Meter in den Himmel.
Während die ehemalige Fabrik jetzt ein Zentrum für Vorträge, Seminare und Konferenzen ist und eine Bibliothek beherbergt, fungiert der Stadtplatz mit seinem imposanten Dach als neuer Standort für den Wochenmarkt, ist Austragungsort für kulturelle Veranstaltungen wie Sportevents, Freiluftkonzerte und Open-Air-Kino oder alltäglicher Treffpunkt für die Stadtbewohner:innen. Seit seiner Eröffnung wird dort auch alljährlich das kostenlose, dreitätige Musikfestival Musiques en Stock abgehalten.
Als neuer Hotspot ist das Gesamtprojekt ein gelungenes Arrangement. Auch die Brücke zur eingangs erwähnten Verbindung zwischen Musik und Architektur lässt sich hier schlagen – beidem wohnt Bewegung als zentrales Element inne. Musik wird im Fluss, in ihrer Zeitlichkeit erfahrbar. Zwar ist ein Bauwerk, ein Platz, etwas Unbewegliches und Festes – Architektur und Stadtraum können aber am besten im Durchschreiten, also in der Bewegung durch den Raum begriffen werden. Insofern gelten beide beschriebenen Projekte als stimmungsvolle Kompositionen und sind beispielhaft für eine gelungene Gestaltung öffentlichen Raums.
Place et Grenette
Standort Scionzier/FR
Bauherr:in Commune de Scionzier, Scionzier/FR, www.scionzier.fr
Architektur Archiplein, Genf/CH, www.archiplein.com
Statik BET Arborescence, Lyon/FR, www.arborescence-concept.com
Holzbau LP Charpente, Annecy-le-Vieux/FR, www.lpcharpente.com
Fertigstellung 2022
Last Chance for a Slow Dance
Standort Larrabetzu/ES
Bauherr:in Larrabetzu Udala (Stadtrat), Larrabetzu/ES, www.larrabetzu.eus
Architektur Behark, Bilbao/ES, www.behark.com
Holzbau Madergia, Ansoáin/ES, www.madergia.com
Fertigstellung 2021