Die aus Holz gefertigten Kleinarchitekturen, die der musikalischen Darbietung und der Lustbarkeit dienen – all die Gartenhäuschen („Salettln“), Freiluftbühnen und Musikpavillons des Landes –, spielen für das Gesellschaftsleben einer Gemeinde bis heute eine bedeutende Rolle. Sie sind Orte des kulturellen und geselligen Austauschs, des Vereinslebens und der Brauchtumspflege und können in ihrer integrativen sozialen Wirkung kaum überschätzt werden. In traditionellen österreichischen Tourismusregionen wie dem Salzkammergut und dem Semmering sind Musikpavillons seit der Blüte der Sommerfrische auch Stätten der informellen Begegnung zwischen „Einheimischen“ und Gästen. Obwohl die Typologie des Musikpavillons eine große Gestaltungsvielfalt erlaubt, lassen sich über alle Epochen hinweg zwei Grundformen ausmachen: das rundum offene Raumgitter und die gerichtete Raummuschel mit Wetter- und Publikumsseite. Musikpavillons des ersten Typs sind häufig integraler Bestandteil der Landschaftsarchitektur und gleichen in ihrer verspielten Durchlässigkeit den „Follies“ englischer Parks. Als luftige Konstruktion an zentraler Stelle in Kurparks oder großen Gartenanlagen situiert, bietet das offene Raumgitter tagsüber so etwas wie einen wettergeschützten Wandelgang und abends eine Bühne für konzertante Aufführungen, bei denen das Publikum ganz oder teilweise unter freiem Himmel sitzt. Die leichte Zugänglichkeit und die hybride Nutzung – halb drinnen, halb draußen – lässt Musikpavillons dieses Typs als zwanglose Orte erscheinen, an denen sich der Kunstgenuss mit der Landschaftskontemplation verbindet. Der leichtfüßigen Nutzung in kunstvoll angelegten Gärten entsprach im Erscheinungsbild der Pavillons oft die Ständerbauweise in Holz, die es auch erlaubte, lokale Handwerkstechniken und Schmuckformen zu integrieren.
Sommerfrische und Musik
Ein signifikantes Beispiel dieses um 1900 beliebten Pavillontyps findet sich in Reichenau an der Rax in Niederösterreich. Die Laubsägearbeiten und Kerbschnitte des Zimmermeisters Carl Weinzettl glichen den Balkons, Veranden und Giebeln, mit denen die mondän-pittoresken Sommerfrische-Villen der Umgebung verziert waren. Der Pavillon Weinzettls erfreute sich bei der Reichenauer Sommergesellschaft so großer Beliebtheit, dass sich auch die Nachbargemeinde Payerbach einen ähnlichen Holzpavillon errichten ließ. Nachdem der Glanz der Sommerfrische verblasst war, verwaisten auch die mondänen Vergnügungsstätten des Semmerings.
Erst in den 1980er Jahren kehrte mit den Festspielen Reichenau das kulturelle Leben in den Musikpavillon zurück. Die Wiederbelebung glückte, doch rund 120 Jahre nach Errichtung machten sich am Holzständerbau Verschließerscheinungen durch Wind, Wetter und „Bespielung“ bemerkbar. Die Betonfundamente hatten sich gesenkt, die filigrane Stützenkonstruktion war verzogen und mehrere Malschichten hatten das ursprüngliche Erscheinungsbild des Gebäudes verfremdet. Nach der denkmalgerechten Restaurierung präsentiert sich der in Arkaden geöffnete Holzständerbau mit eingezogenem Zeltdach und kleinem Glockentürmchen heute wieder in seinem ursprünglichen Erscheinungsbild. Zudem ist der statisch ertüchtigte Bau nun auch nachhaltig gegen Bodenfeuchte geschützt. Während sich der Typus des offenen Raumgitters stark dem Landschafts- und Naturerlebnis widmet, verdankt der Muscheltyp seine Form primär den akustischen Eigenschaften der Bühne als Resonanzraum. Dass die ein Orchester schützende Holzschale ein breites Spektrum an skulpturalen Lösungen erlaubt, ist an Beispielen wie dem 1968 von Architekt Franz Ladner errichteten Musikpavillon Zams in Form eines hyperbolischen Paraboloids gut nachvollziehbar.
Musikalische Muschel
Das 2017 von parc architekten entworfene Faltwerk aus massiven Holzplatten, das im Musikpavillon der Tiroler Gemeinde Kirchdorf ein besonderes Klangerlebnis bietet, knüpft an Vorläufer wie diesen explizit an. Der Muscheltyp verfügt in der Regel über eine monodirektionale Öffnung und bewährt sich an Orten, an denen eine ausgeprägte Spiel- und Schauseite und eine abgeschirmte Rückseite (Wetterseite) sinnvoll scheinen. Beim Musikpavillon in Bramberg am Wildkogel in Salzburg modifizierten parc architekten (zusammen mit Markus Fuchs) diesen Typus geschickt; ihre Hybridlösung beschreiben sie mit einer entsprechend ambivalenten Metapher: Der Pavillon stehe „wie ein abgestürzter Stealth-Bomber in der Mitte des Dorfparks. Er trennt den offenen Wiesenbereich vom baumbestandenen ‚Wald‘, seine ausgebreiteten Flügel umfassen und behüten den Zuschauerbereich.“ Damit der Park durch das „abgestürzte“ Objekt nicht in zwei Hälften zerfällt, ist die Bühnenrückwand des Pavillons vollständig öffenbar, sodass in der veranstaltungsfreien Zeit eine Torsituation entsteht. Da die örtliche Musikkapelle fast wöchentlich zu Platzkonzerten lädt, es in diesem Landstrich aber häufig regnet, war nicht nur der Schutz des Bühnenraums, sondern auch die mobile Überdachung des Zuschauerbereichs mit großen Schirmen ein wichtiges Thema. Zudem erlaubten die „ausgebreiteten Flügel“ des Pavillons die Integration eines Sanitärbereichs und einer Bar. Während die Hinterseite des Pavillons durch weiße Fassadenplatten vor Wind und Wetter geschützt ist, kommen an der Publikumsseite die Lärchenholzkonstruktion und die akustisch wirksame Faltung der Bühnendecke sinnlich zur Geltung. Es sind vor allem die Pavillons des Muscheltyps, die oft mit Musikinstrumenten gleichgesetzt werden. Die Assoziation der kleinen Freiluftbühnen aus Holz mit Streich- oder Zupfinstrumenten ist nicht überraschend, sind doch Holz und Klang im Instrumentenbau ein seit Jahrhunderten eingespieltes Gespann.
Klangschatulle
Weniger geläufig ist der Vergleich eines Konzerthauses mit einem Instrumentenkasten, in dem der eigentliche Bühnen- und Zuschauerraum wie eine Geige oder Lyra eingebettet liegt. Auf zwei große Musikhäuser in Bayreuth und München mit einzigartigen Haus-im-Haus-Konstruktionen trifft dieses Bild trotz großer Epochen-Unterschiede vollkommen zu. Das von den damals europaweit führenden Theaterarchitekten Giuseppe und Carlo Galli Bibiena von 1746 bis 1750 umgesetzte Markgräfliche Opernhaus Bayreuth gilt als ein Meisterwerk barocker Opernhausarchitektur. Das Gebäude folgt dem Typus des italienischen Logentheaters und wurde als Veranstaltungsort für die Opera seria in Auftrag gegeben, die ernste italienische Oper, die sich als Gegenentwurf zur komischen Oper im 18. Jahrhundert etablierte. Die Gebäudehülle mit ihrer charakteristischen Sandsteinfassade wurde von Hofarchitekt Joseph Saint-Pierre entworfen, der glockenförmige Zuschauerraum mit den prunkvollen Logenrängen aus Holz ist Teil einer statisch autonomen inneren Fachwerkkonstruktion. Die Logenverkleidungen selbst, die den prächtigen Eindruck des Theaterraums mit seinen rund 500 Sitzplätzen prägen, bestehen aus vorgefertigten Holzelementen und genagelten Brettchen mit aufgemalter Dekoration und sind nicht Teil der tragenden Konstruktion des Logenbaus. Trotz seiner fragilen Materialität blieb der größte Teil der Ausstattung des auch für seine hervorragende Akustik geschätzten Logentheaters über Jahrhunderte hinweg unverändert erhalten. Da aber die elektrischen und haustechnischen Anlagen aus den 1970er Jahren als gefährlich eingestuft wurden und die giftigen Holzschutzmittel, die von den Oberflächen abpuderten, vor jeder Aufführung abgesaugt werden mussten, wurde das Theater 2011 geschlossen. Im Zuge der bis 2018 durchgeführten Restaurierung wurde neben der notwendigen veranstaltungstechnischen Ertüchtigung auch der ursprüngliche Farbeindruck des Logenhauses originalgetreu wiederhergestellt. Das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth, das heute zum UNESCO-Welterbe zählt, bewahrt nun die sorgfältig wiederhergestellte „vergängliche Illusionskunst“ barocker Theaterarchitektur wie ein kostbares Instrument in seiner steinernen Schatulle auf.
Raumakustische Wunderschachtel
Im Gegensatz dazu wirkt die bauliche Hülle für das temporäre Ausweichquartier der Isarphilharmonie in München, deren Stammhaus im Kulturzentrum Gasteig aktuell saniert wird, irritierend profan: Die grobschlächtige graue Box aus Stahl und Stahlblech-Sandwichplatten, die sonst im Industriehallenbau zum Einsatz kommen, lässt kaum vermuten, dass es sich bei diesem Gebäude um die akustisch hochsensible Spielstätte für die Münchner Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks handelt. Anders als im kulturell aufgeladenen Umfeld des Bayreuther Opernhauses mag auf dem Industriegelände der Stadtwerke im Münchner Süden zunächst kaum kulturelles Hochgefühl aufkommen. Nichts deutet darauf hin, dass sich in der von gmp architekten und ihrem Münchner Partnerbüro CL MAP entworfenen „Schachtel“ eine raumakustische Kostbarkeit befindet. Der pragmatisch-modulare Neubau grenzt direkt an eine denkmalgeschützte Transformatorenhalle aus dem Jahr 1929, diese Oberlichthalle dient nun als Eingangsfoyer für das Konzerthaus und als neue Zweigstelle der Münchner Stadtbibliothek.
Mit Veranstaltungsaal, Seminar- und Besprechungsräumen, Räumen der Kulturvermittlung sowie einem Gastronomiebereich entstand hier im zurückhaltend sanierten Bestand ein ganztägig belebter, öffentlicher Ort mit gemischter Nutzung. Der eigentliche Konzertsaal der Isarphilharmonie ist in die neue Halle als Massivholzkonstruktion eingehängt und fasst rund 1.900 Plätze, keiner davon mehr als 33 Meter von der Bühne entfernt. Der Saal ist als klassische „Schuhschachtel“ konzipiert, in der das Orchester seinen Platz an der Frontbühne hat. Dunkel lasierte, massive Brettsperrholztafeln mit aufgesetzten Fichtenholzlatten umschließen den Saal. Für die Saalwände wählte der Akustiker Yasuhisa Toyota (der mit seinem Konzept u. a. an der Hamburger Elbphilharmonie reüssierte) 30 cm dicke Brettsperrholzelemente und ließ sie leicht geschuppt anbringen, damit sich die Schallreflexionen optimal im Raum verteilen. Die sägezahnartige Anordnung der vorgefertigten Elemente in Kombination mit der Proportion des Bühnenraums, dem ansteigenden Parkett und der Bestuhlung ermöglicht ein wohldosiertes Zusammenspiel der schallreflektierenden Oberflächen. Nur punktuell ist die Massivholzkonstruktion des Saals in der umgebenden Tragkonstruktion rückverankert. Das Erdgeschoss des Gebäudes und die Stirnwände hinter den Saalenden bestehen aus Stahlbeton; darüber trägt ein Stahlskelett die Holzwände und -decken des Konzertsaals. Der umlaufende Bereich zwischen Saal und Gebäudehülle dient als Puffer zwischen dem Außenraum und den hohen klimatischen und akustischen Anforderungen im Inneren. Vom „Schatz in der Truhe“ war in der Presse die Rede, und selbstverständlich auch von der Violine, die hier bestens geschützt im Geigenkasten ruht. Auch die Architekten verglichen den Interimsbau des „Gasteigs HP8“ (Heinz-Preißinger-Straße 8) mit einem kostbaren Instrument in robuster Hülle. Diese Hülle erfüllt in ihrer äußerlichen Unscheinbarkeit einen vornehmen Zweck: Sie stellt sicher, dass das darin befindliche Instrument bei jedem einzelnen Auftritt ein unvergessliches Hörerlebnis bietet. Dass bei der Isarphilharmonie als „Interimsbau“ auch die vollständige Rückbaubarkeit der Halle mitbedacht wurde, zeigt den heute gebotenen bewussten Umgang mit den eingesetzten Ressourcen.
Obwohl das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth aus dem 18. Jahrhundert und die im Oktober 2021 eröffnete Isarphilharmonie in München zeitlich und formal weit auseinander liegen, teilen sie im Haus-im-Haus-Konzept eine tiefe strukturelle Gemeinsamkeit. In beiden Fällen ist die Diskrepanz zwischen äußerer Hülle und eingeschriebenem Saal elementarer Bestandteil des Konzepts im Sinne der optimalen Klangentfaltung im Raum. Dass der Werkstoff Holz bei dieser Bauaufgabe in unterschiedlichen Konstruktionsweisen eine überzeugende Rolle spielt, lässt sich an den großen Konzerthäusern im urbanen Raum ebenso ablesen wie an den kleinen Musikpavillons in ländlicher Region. Die Einsatzmöglichkeiten des Holzes können – unabhängig von Ort und Maßstab – im „musischen“ Kontext so individuell und präzise sein wie die eines eingespielten Orchesters in großer und kleiner Besetzung.
Die metaphorische Nähe der aus Holz gefertigten Musikpavillons und Konzertsäle zum Instrumentenbau zieht sich in unterschiedlichen Spielarten durch die gesamte Geschichte dieser Bautypologie. Sie verleiht der akustisch wirksamen Architektur ihre besondere Glaubwürdigkeit und Intimität. Musikpavillons und Konzertsäle sind besondere Räume, die einen Moment und einen Ort feiern und der kulturellen Interaktion und Erfahrung dienen. Immer sind es Räume, die speziell für die Ohren gemacht sind. Die meisten dieser Räume haben stets mehr als ein Schallereignis zu bieten.