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Regionale Resonanzen
Bauten der lokalen Kultur und Identität

erschienen in
Zuschnitt 96 Inszeniert in Holz, März 2025

Drei aktuelle Neubauten in Österreich, Deutschland und der Schweiz geben der lokalen Kultur und Identität einen großzügigen Rahmen ohne jede volkstümliche Anbiederung.

Der Heimatverein Edelweiß in der Flachgauer Gemeinde Neumarkt am Wallersee wurde 1911 als „Volks- und Gebirgstrachtenerhaltungsverein“ gegründet und widmet sich seitdem der Brauchtumspflege. Er tat dies an unterschiedlichen Orten, zuletzt im Erweiterungsbau des örtlichen Kindergartens. Die Bürgergarde (Schützenverein) von Neumarkt hatte ihr Hauptquartier in einem Keller, die Trachtenmusikkapelle immerhin ihr eigenes Musikerheim. Im Jahr 2020 wurde in Neumarkt wie auf einem Spielbrett einiges verschoben und neu gemischt. Der alte Kindergarten aus den 1980er Jahren wurde teilweise abgerissen zugunsten des Neubaus der „Kinderstadt“, dabei wurde auch der Heimatverein kurzzeitig heimatlos. Der benachbarte städtische Bauhof wurde auf ein ehemaliges Firmengelände verlegt, das ebenfalls benachbarte Fernheizwerk an anderem Ort neu gebaut.

Durch diese Neuordnung wurden die technisch-infrastrukturellen und die Bildungseinrichtungen getrennt und letztere zu einem Schulquartier aufgewertet. Zu diesem gehörte auch der Neubau eines „Hauses der Vereine“, das den drei oben genannten Vereinen und den zahlreichen anderen Vertretern des mit rund 500 aktiven Mitgliedern sehr lebendigen Neumarkter Vereinslebens ein dauerhaftes neues Zuhause bieten sollte – von den Krampussen bis zur Landjugend. Das Budget dafür betrug rund 5 Mio. Euro, davon steuerte das Land Salzburg 850.000 Euro aus dem Gemeindeausgleichsfonds (GAF) bei. Den geladenen Architekturwettbewerb konnte das Büro dunkelschwarz aus Salzburg für sich entscheiden.

Der Entwurf ist so einfach wie komplex: Aus der unregelmäßig geschnittenen Baufläche folgt die polygonale Form, aus den Anforderungen des Raumprogramms von insgesamt rund 1.000 m2 ergeben sich die unterschiedlichen Raumhöhen. Gruppiert wurden die Räume um ein polygonales zweigeschossiges Foyer, das als zwangloser Treffpunkt fungiert. Das Foyer öffnet sich mit Vordach in ganzer Breite zum benachbarten Schulquartier und zu einem Vorplatz, der für Feste genutzt werden kann. All das vereinigten die Architekten selbstverständlich zu einer klaren, großen Form mit einer schnittigen Betonung der Horizontalen, die der Erdgeschosszone zum Platz hin eine Öffentlichkeit verleiht.

Errichtet wurde das Vereinshaus in Hybridbauweise; bis auf Keller, Stiegenhaus und Sanitärkern kam nur Holz zum Einsatz. Wände und Decken wurden zum großen Teil unbehandelt belassen; die Decken übernehmen die Schallschutzfunktionen. Die Räume für die Musik wurden unter den geneigten Dachflächen untergebracht, da hier die besten raumakustischen Voraussetzungen bestehen. Der Edelweiß-Saal kann bei Bedarf von allen Neumarkter Vereinen als Multifunktionsraum genutzt werden – ein deutliches Zeichen, dass gelebtes Brauchtum sich nicht in volkstümelnder Architektur widerspiegeln muss, wenn ein räumlich großzügiger und fein detaillierter Rahmen diese Lebendigkeit befördert und nach außen vermittelt.

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Eine ähnliche Aufgabe, einen baulichen Rahmen für die ländliche Kultur eines Ortes herzustellen, hatten AV1 Architekten aus Kaiserslautern in der Gemeinde Schaidt zu lösen. Diese liegt im südöstlichen Zipfel des Bundeslandes Rheinland-Pfalz, wo die deutsch-französische Grenze auf den Rhein trifft. Die 2020 eröffnete Kulturhalle ersetzt einen Vorgängerbau im Ortskern und dient als Veranstaltungshalle für alle größeren sozialen Aktivitäten der Dorfgemeinschaft. Ähnlich wie in Neumarkt wurde (nach langen Diskussionen) bei der Neuplanung auch auf eine quartiersartige Bündelung öffentlicher und publikumsintensiver Nutzungen geachtet und die Nachbarschaft zur bestehenden Sporthalle, zum Fußballplatz und zum Tennisclub gesucht. Und wie im Flachgau spielt der öffentliche Raum eine wesentliche Rolle als Bühne für die Aktivitäten. Auch in Schaidt öffnet sich die Halle mit einem breiten Foyer und einem überdachten Vorbereich generös zum Vorplatz. Zehn schlanke Stützen rahmen als Kolonnaden diesen von den Architekten als „Dorfloggia“ bezeichneten, einladenden Übergangsbereich. Durchblicke von innen nach außen spielen eine wichtige Rolle bei der Verortung, der angrenzende Wald lugt durch die breite Verglasung als „Naturfassade“ in die Halle hinein.

Der Neubau selbst ist geometrisch und konstruktiv einfach gehalten: mit einem höheren Kubus für die Halle selbst und niedrigeren Volumen für die Nebenräume wie Küche, Sanitäreinrichtungen und Lager. die Tragstruktur besteht aus Fichtenleimholz mit Stützen und Trägern aus Holz, die dezent rhythmisierte Fassadenhülle aus lasiertem Lärchenholz. Das ergibt laut den Architekten einen „alltäglichen Regionalismus“, der sich jedoch nicht an einen rustikalen Scheunenlook anbiedert.

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Einen völlig anderen Regionalismus verfolgt ein Gebäude jenseits aller Typologien, das im Mai 2025 eröffnet wird: der Klangraum Toggenburg im Schweizer Kanton St. Gallen. Hier etablierte Peter Roth 2003 die Klangwelt Toggenburg, die sich der regionalen alpinen Musikkultur widmet. Der Klangraum soll die Grundelemente dieser Idee bündeln: Landschaft, Musik, Architektur.

Der Weg zur Realisierung war ein sehr schweizerischer: Volksabstimmung, Geld und Genauigkeit spielten wesentliche Rollen.

In einer von Architekt Marcel Meili gewonnenen „Thesenkonkurrenz“ wurde 2010 die wesentliche Idee entwickelt: der Musik Raum zu geben in einer offenen, gestischen Architektur mit drei Sicht- und Klangachsen, die Ausblicke in die Landschaft bieten, und drei konkaven Tonräumen zwischen diesen ausgreifenden Flügeln. Intimität und „innere Echtheit“ waren die von Meili formulierten Werte, die das Klanghaus beseelen sollten. Ab 2012 wurde das Konzept gemeinsam mit Staufer & Hasler Architekten weiterentwickelt, 2019 gab eine Volksabstimmung grünes Licht, die Baukosten von stolzen 23,3 Mio. Franken werden weitgehend vom Kanton finanziert.

Hier lag das Material Holz besonders nahe, denn es ist sowohl ortstypisch als auch als Resonanzkörper für die gewünschte Einheit von Architektur und Akustik geeignet. Dabei wird sich das Haus auch akustisch zur Landschaft öffnen: Kuhglocken und Traktoren werden nicht durch Schalldämmung wegisoliert, sondern sollen Teil der ganzheitlichen Hörerfahrung sein. Zum Einsatz kam regionales Holz aus den St. Galler Voralpen (Eichenholzparkett, Buchenleisten, Fichtenschindeln), die drei konkaven „Resonator-Wände“ wurden wie Streichinstrumente ornamental perforiert, damit die gedämmten Resonanzkammern dahinter klingen können. Farbe und Form der Ornamente erinnern an lokale Bauernstuben und Beizen, in denen die alltägliche Musikkultur gepflegt wird. Die Lage nahe am See auf 1.200 Meter Seehöhe stellte eine zusätzliche Herausforderung für den Holzbau dar.

So wird das Klanghaus zur dauerhaften Begegnungsstätte von Bewohner:innen und Besucher:innen, zu einer gemeinsamen Raum- und Resonanzerfahrung und natürlich – als Teil des Klangcampus – auch zu einem Attraktor des regionalen Tourismus. So unterschiedlich die drei Beispiele aus Österreich, Deutschland und der Schweiz in ihrer Programmatik sein mögen, sie zeigen, welcher Reichtum in einer regionalen Identität steckt, wenn man sie wirklich ernst nimmt.

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Das Klanghaus Toggenburg wird am 24. und 25. Mai 2025 mit einem vielfältigen Programm feierlich eröffnet. Begleitend dazu erscheint das Buch „Resonanzen: Klanghaus Toggenburg“ im Lars Müller Verlag, in dem das Projekt in all seinen Facetten erläutert wird.

 


verfasst von

Maik Novotny

ist Architekturjournalist und schreibt regelmäßig für die Tageszeitung Der Standard, die Wochenzeitung Falter sowie für Fachmedien über Architektur, Stadtentwicklung und Design.
www.maiknovotny.com

Erschienen in

Zuschnitt 96
Inszeniert in Holz

Bauten für kulturelle und künstlerische Nutzungen

8,00 €

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Zuschnitt 96 - Inszeniert in Holz