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Essay – Holz, ein freundlicher Player in Zeiten des Wandels

erschienen in
Zuschnitt 97 Spektrum Holz, Juni 2025

Aktuell ist in der Feldkircher Johanniterkirche ein Werk von Uwe Jäntsch zu bestaunen: „Das Jüngste Gericht“ ist ein Tafelbild, ­gemalt auf frischen Fichtenbrettern im Ausmaß von 8 × 8 Metern. Seine Tragstruktur ist ein räumliches Ornament aus 64 diagonal versteiften Rahmen, vor Ort händisch aus einfachen Holzprofilen gezimmert. Seine nahezu raumfüllende Größe und die rohe Machart der Kassetten verblüffen die Eintretenden, zugleich ­verwehrt es den direkten Blick ins Kirchenschiff. Schlüpft man seitlich daran vorbei, ist die raumzugewandte, bemalte Bretterseite schier umwerfend ... Worauf will ich hinaus? Die Malerei und die abstrahierte, grafisch-räumliche Anwendung von Holz in diesem Kontext vermögen es, die Essenz dieses einzigartigen ­Kirchenraums in Schwingung zu versetzen. Smart? Natürlich! So klug wie einfach und schön ist hier der Einsatz der lokalen Ressource. Dieser Holzweg führt auch künftig an der Sackgasse vorbei. Das Handanlegen entschleunigt und macht glücklich. Holz ist nicht nur aus ökologischen Gründen eine notwendige ­Alternative zu fossilen Rohstoffen. Holz kann mehr. Neben seinen atmosphärischen, haptischen, olfaktorischen Qualitäten birgt der natürliche Werkstoff Holz auch komplexe anisotrope und ­hygroskopische Eigenschaften. In der Kombination an sinnlichen und stofflichen Vorzügen liegt ein zu schöpfendes, ja teils ­bedrohtes Potenzial. Wie wir wissen, ist Holz vielgestaltig. Es lässt sich ohne großen Aufwand behauen, sägen, zermahlen und umformen. In Schichten zu Platten verleimt oder als Multibox vorfabriziert, wird es zur konstruktiven Scheibe, zum flächigen Gestaltungselement. Der industrielle Holzbau machte aus dem natürlichen Material ein technisch geformtes, ein durch Normen und Standardisierung plan- und berechenbares. Genau dieser Anspruch hebelt jedoch die besonderen stofflichen Qualitäten aus. An der Universität Stuttgart hingegen integriert ein Forschungsteam um Prof. Achim Menges das Feuchteverhalten des Holzes gezielt in den Planungsprozess und generiert so neue Gestaltungsmöglichkeiten. Das mittels materialspezifischer, ­computergestützter mechanischer Modelle angeordnete Plattenmaterial aktiviert, kraft seiner natürlich auftretenden Verformung im Trocknungsprozess, ein geplantes Selbstformungsverhalten. Der weltweit erste Prototyp dieser Art ist ein Landmark der Remstal Gartenschau, der Urbach Turm – eine Fusion aus Handwerk, digitaler Innovation, wissenschaftlicher Forschung und direkter Interaktion mit dem Material. Smart? Smart! Jedenfalls im wörtlichen Sinn von „smartem Holz“ – computerbasierte Planung und Fertigung, tektonisches Formen durch einberechnete Hygroskopie. Zweifelsohne nimmt diese Technologie die Fährte auf zum postindustriellen Holzzeitalter. Und, Holz ist freundlich, ist gerne in Gesellschaft anderer Materia­lien. Denn schon in wachsendem Zustand versteht es zu kommunizieren, über seine Wurzeln, sein Blattwerk. Als Baum lässt es sich in Kombination mit anderen Stoffen, wie beispielsweise Stahl, sogar zu Bauwerken großziehen. Eindrücklich nachzuvollziehen ist dies derzeit in der Ausstellung zur Baubotanik in der Münchner Pinakothek der Moderne „Trees Time Architecture!“. Ein Kurator:innenteam um Ferdinand Ludwig, einen Vorreiter des naturintegrierten Bauens in Deutschland, inszeniert darin mit viel Sinn für Raumgestalt und Inhalt, wie neue Allianzen zwischen den einander oft entfremdeten Parametern von Baum, Zeit und Architektur geschmiedet werden können. Smart? Natürlich! Weil zukunftsträchtige Architektur und Stadtplanung nicht umhinkom­men, sich als umweltbezogene Disziplinen zu üben. Mit Bäumen lebt es sich leichter, das zeigt uns aufs Eindrücklichste die Allee. Ein Blick zurück weist einen weiteren Weg in die Zukunft. Hier­zulande setzten Mitte der 1960er Jahre die Vorarlberger Baukünstler Hans Purin, C4 und Rudolf Wäger bei ihren kostengünstigen Baugruppenprojekten auf die Vorzüge verschränkter Materialwahl. Die hybride Bauweise war ein probates Mittel bei der Holzbauplanung mit Baugruppen – kostensparender Eigenbau der gemauerten Bauteile und Zimmermannsarbeiten inklusive. Dieser Ansatz fand jedoch keine breite Anwendung. Entscheidende Qualitätsschübe im Hochhausbau gelangen Anfang der 2010er Jahre durch hybride Koppelung von Holz- und Betontechnologie. Der LCT ONE, der LifeCycle Tower von Cree und Hermann Kaufmann spart nicht nur Bauzeit, sondern auch bis zu 90 Prozent der CO2-Emissionen gegenüber konventionellen Bauweisen. Noch weiter gehen die ökologischen Ansprüche beim soeben fertig­gestellten Bürogebäude Hortus von Herzog De Meuron, Blumer Lehmann und Lehm Ton Erde. Es verschreibt sich dem ­Cradle to Cradle, integriert ein wertvolles Biotop, nutzt das Aus­hubma­terial Lehm vor Ort und setzt auf BauBuche als Tragwerk und Holz-Lehm-Verbundelemente als Decken. Smart? Definitiv! Denn im Sinne einer künftig unabdingbaren Kreislaufwirtschaft, undogmatischer Kooperationen und Vielseitigkeit halte ich es mit Otto Kapfinger: „… diese vielversprechenden Schlagworte sind mit entschlossener Aktivität, mit Inhalt und konkreter ­Umsetzung noch auszufüllen, zu verifizieren“ … for the times they are a-changin’.

Holz. Von der Materie zum Gebauten
Marina Hämmerle, Florian Aicher
Edition DETAIL, in Zusammenarbeit mit der Holzbau-Offensive Baden-Württemberg, München 2025
In diesem vielschichtigen Werk wird die Holzbaukultur in unseren Breiten beleuchtet. Poetische Fotoessays illustrieren das Gesagte.


verfasst von

Marina Hämmerle

betreibt in Lustenau ihr Büro für baukulturelle Anliegen. Sie schreibt und ­publiziert Fachbücher, evaluiert und konzipiert Strategisches zu Architektur und Städtebau, juriert und berät auf Kommunalebene.
www.marinahaemmerle.at

Erschienen in

Zuschnitt 97
Spektrum Holz

Holz spielt neben seinem Einsatz in traditionellen Bereichen zunehmend auf gänzlich neuen Gebieten eine Rolle. Durch innovative Material­forschung und neue Technologien findet es erweiterte und smarte Verwendungsformen. In diesem Zuschnitt zeigen wir, wie und in welchen Bereichen Holz und Holzprodukte sich bewähren und entwickeln.

8,00 €

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Zuschnitt 97 - Spektrum Holz