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Kreislauffähige Hybridbauweisen
Neuinterpretation historischer Baustoffe durch digitale Bautechnologien

erschienen in
Zuschnitt 97 Spektrum Holz, Juni 2025

Die digitale Transformation des Bauwesens eröffnet die Möglichkeit, den Wandel zum kreislaufgerechten und emissionsarmen Bauen nicht nur bautechnologisch umzusetzen, sondern aus den Herausforderungen einer nachhaltigen Bauwende zugleich neuartige Gestaltungs- und Konstruktionsmöglichkeiten abzuleiten. Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) werden die Potenziale kreislauffähiger Material- und Konstruktionssysteme in interdisziplinären Teams an der Schnittstelle von Forschung und Lehre erforscht und in anwendungsorientierten Demonstrationsprojekten prototypisch im Maßstab 1 : 1 erprobt. Ein Fokus liegt hierbei auf Entwurfs-, Bemessungs- und Fertigungsmethoden für den Einsatz wiederverwendeter oder inhomogen gewachsener Baumaterialien und der Entwicklung von Lehm-Hybridbauweisen, um eine Diversifizierung der im Bau einsetzbaren biogenen und recyclingfähigen Baumaterialien zu ermöglichen. Die folgenden Beispiele zeigen, wie inhomogen gewachsene Flachsfasern oder Weidenruten in der digitalen Vorfertigung von Hybridbauteilen zum Einsatz kommen können und das digitale Upcycling von kleinen Holzreststücken zu großen tragenden Bauteilen durch den Einsatz von KI und Robotik gelingen kann.

ReSidence – Holz-Weide-Lehm-Verbund

Der Forschungsdemonstrator ReSidence stellt ein hybrides Bausystem vor, das eine lokale, zirkuläre Bioökonomie fördert. Durch die Schaffung geschlossener Materialkreisläufe adressiert das Projekt zentrale Herausforderungen im Bauwesen, reduziert Abfälle und verlängert die Nutzung erneuerbarer Materialien. Mithilfe digitaler Entwurfs- und Fertigungstechnologien kombiniert das Gebäudesystem natürliche Baustoffe wie Flachsfasern, Weiden, Lehm und Holz zu hybriden Bauelementen und zeigt damit einen zukunftsweisenden Ansatz für nachhaltige Baupraktiken auf. Inspiriert von der traditionellen Fachwerkbauweise, zeigen die modularen Deckenelemente von ReSidence ein hybrides Materialsystem, das die synergetische Kombination von Weide, Lehm und Holz nutzt. Im Gegensatz zur historischen Referenz, bei der Weide und Lehm als nicht tragende Füllmaterialien dienten, ermöglichen die im ReSidence entwickelten digitalen Bauverfahren eine strukturelle Synergie: Die Druckfestigkeit des Lehms wird durch die Zugfestigkeit der Weide ergänzt, wodurch ein stabiles, tragfähiges Deckenelement entsteht.

Die vorgefertigten Deckenbauteile, bestehend aus Furnierschichtholz-Träger und weidenbewehrtem Lehm, werden getrocknet zur Baustelle transportiert und innerhalb der Holzrahmenstruktur montiert. Ihr modulares Design vereinfacht die Installation und ermöglicht die Wiederverwendung, wodurch ein geschlossener Materialkreislauf erhalten bleibt und Abfall minimiert wird. Die Tragfähigkeit, das Brandverhalten und die Schallschutzeigenschaften des Deckenbausystems konnten in Eins-zu-eins-Versuchen erfolgreich nachgewiesen werden, sodass in kürzester Zeit eine transfer- und anwendungsrelevante Bauweise erforscht werden konnte. Ziel ist es, eine erste dauerhafte Anwendung in zwei mehrgeschossigen Wohnbauten bis 2027 zu realisieren.

TerraTimber – Restholz-Lehm-Verbund

Während die Erforschung weidenbewehrter Lehmbauteile maßgeblich auf den Einsatz schnell nachwachsender biogener Ressourcen setzte, sind andere am KIT entstandene Projekte darauf ausgerichtet, wie Sekundärstoffkreisläufe im Bauwesen erschlossen werden können. Im Fokus steht hier die Wiederverwendung von Rest- und Althölzern. TerraTimber stellt eine innovative Methode für das digitale Upcycling von Altholz vor, um kreislauffähige Bausysteme zu schaffen, die eine nachhaltige Umwandlung von wiedergewonnenen Materialien in Strukturelemente ermöglichen. Dieser Ansatz nutzt computergestützte Werkzeuge und Augmented-Reality-(AR-) Fertigungsprozesse, um die Komplexität verschiedener, nicht standardisierter Altholzmaterialien zu bewältigen. Ausgehend von der Erstellung digitaler Bestandsaufnahmen durch Bildverarbeitung werden die Holzstücke dann computerbasiert zu großen Strukturelementen zusammengesetzt, die schließlich mit Nägeln aus Hartholz und mithilfe von AR zusammengefügt werden. Der Testbau zeigt einen Ausschnitt eines mehrstöckigen Bausystems, das nach Design-for-Disassembly-Prinzipien entworfen wurde und eine ineinandergreifende, metallfreie zimmermannsmäßige Verbindung, die sogenannte doppelte Einhälsung, für den primären Holzrahmen verwendet.Das Herzstück des Demonstrators ist ein Deckenplattensystem, das aus einem Holz-Lehm-Hybrid besteht. Dieses Konzept nutzt die individuelle Anordnung von unregelmäßigen Holzresten, um eine geometrische Verzahnung zu schaffen, die, wenn sie mit Lehm verfüllt wird, eine metallfreie strukturelle Schubverbindung zwischen den beiden Materialien bildet. Der Lehm kann als ökologischer und wiederverwertbarer Betonersatz betrachtet werden, der sowohl die Tragfähigkeit des hybriden Baumaterials erhöht als auch thermische Masse in das Bauteil einbringt und einen guten Schall- und Brandschutz gewährleistet.

Komorebi – mechanisch laminierte Holzbauteile

Natürlich gewachsene Materialien sind in Größe, Form und mechanischen Eigenschaften meist so inhomogen, dass ihre Anwendung im zeitgenössischen, standardisierten Bauwesen ohne weitere Verarbeitung schwierig ist. Im Holzbau besteht die etablierte Lösung in der Verwendung von industriell hergestellten Holzwerkstoffen (Engineered Wood Products, EWPs), die eine effiziente Möglichkeit darstellen, natürliches Holz in ein zuverlässiges und vorhersagbares Produkt zu verwandeln. Allerdings werden in der Regel bei EWPs synthetische Klebstoffe zur Verbindung der Holzschichten verwendet – diese sind zwar strukturell effizient, beeinträchtigen jedoch die Nachhaltigkeit und Wiederverwertbarkeit des Holzes erheblich. Als aufkommende Alternative, inspiriert von traditionellen Verbindungsmethoden, werden in klebstofffreien Holzbauteilen die herkömmlichen Klebefugen durch mechanische Verbindungsmittel (z. B. Holzdübel, Nägel oder Schrauben) ersetzt, was einen höheren Nachhaltigkeitsstandard ermöglicht und eine sortenreine Trennung der Bauteile begünstigt.

Komorebi – japanisch für das durch die Bäume fallende Sonnenlicht – besteht aus mechanisch laminierten Holzlamellen und einem Flachsfaser-Biokomposit. Seine Realisierung wird durch die Integration von digitalen Planungs- und Fertigungsmethoden ermöglicht. Das Projekt zeigt, wie nachwachsende natürliche Rohstoffe selbst bei geometrisch anspruchsvollen Systemen eingesetzt werden können, und bietet zugleich ein integriertes Verschattungselement für den urbanen Raum.

Komorebi zeichnet sich durch markante Segel aus, die aus robotisch gewickelten Flachsfasern bestehen. Diese bieten Schatten und Schutz vor der Sonne und erhöhen den Komfort der Besucher:innen, insbesondere in den heißen Sommermonaten. Die Beschattungssegel sind nahtlos mit der Stütze verbunden, die durch die elastische Biegung gerader, dünner Holzlamellen in die gewünschte Form gebracht werden. Dadurch wird die volle Tragfähigkeit allein durch die Verwendung einfacher, handelsüblicher Materialien erreicht. Statt die Lamellen zu verkleben, werden sie abschließend mit Schrauben mechanisch laminiert. Das ermöglicht späer eine vollständige Trennung der Lamellen, ohne ihre Recyclingfähigkeit zu beeinträchtigen.

Die vorgestellten Forschungsarbeiten zeigen, wie der klassische Holzbau durch digitale und kreislauffähige Hybridbauweisen im jeweiligen lokalen Kontext sinnvoll ergänzt werden kann und wie vielfältige Ansätze und eine diversifizierte Ressourcennutzung einen gesellschaftlich relevanten und skalierbaren Beitrag zur Reduktion der Emissionen im Bauwesen leisten können. Die Wiederentdeckung historischer Baumaterialien und Bauweisen durch die Erforschung hierauf abgestimmter digitaler Bautechnologien erschließt hierbei sowohl ökologische und ökonomische als auch architektonisch-gestalterische Potenziale und zeigt, wie aus der Notwendigkeit der Ressourcenfrage heraus neue Ansätze für gestalterisch und architektonisch qualitätsvolles Bauen entstehen können.


verfasst von

Moritz Dörstelmann

ist Professor für Digital Design and Fabrication (DDF) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Gründungsgesellschafter der FibR GmbH. An der Schnittstelle von akademischer Forschung und industrieller Praxis zeigt er, wie digitale Entwurfs- und Fertigungsstrategien genutzt werden können, um den Wandel zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen zu ermöglichen und gleichzeitig ein neuartiges architektonisches Gestaltungs- und Konstruktionsrepertoire zu erschließen.

Riccardo La Magna

ist als Bauingenieur sowohl in der Forschung als auch in der Praxis tätig. Er ist Professor für Tragwerksplanung und Konstruktives Entwerfen am KIT.

Erschienen in

Zuschnitt 97
Spektrum Holz

Holz spielt neben seinem Einsatz in traditionellen Bereichen zunehmend auf gänzlich neuen Gebieten eine Rolle. Durch innovative Material­forschung und neue Technologien findet es erweiterte und smarte Verwendungsformen. In diesem Zuschnitt zeigen wir, wie und in welchen Bereichen Holz und Holzprodukte sich bewähren und entwickeln.

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Zuschnitt 97 - Spektrum Holz