Skip to main content

Essay – In Zukunft Stadt
Das Holz muss in die Stadt

erschienen in
Zuschnitt 59 In Zukunft Stadt, September 2015

Die Diskussion ist im Gange. »Holz kehrt zurück in die Stadt«, »Holz – der ­urbane Werkstoff«, »Urbanes Bauen mit Holz« sind nur einige der Headlines, die in den einschlägigen Publikationen und Foren zu finden sind. Kündigen sich da wirklich eine Renaissance des ältesten Baustoffs und ­seine Rückkehr in die Stadt an oder ist der Wunsch wie so oft Vater des ­Gedankens? Ganz nüchtern betrachtet ist die Holzbauquote in der Stadt nach wie vor marginal und die – verdiente – Publizität der wenigen Projekte, die realisiert wurden, verzerrt etwas das Bild. Dabei sind die Headlines und die dahinter stehende Befassung mit dem Thema Ausdruck eines ­gesellschaftlichen Meinungsumschwungs. Die Notwendigkeit ­einer Ressourcenwende steht vor der Tür. ­Genauso, wie in der Energiefrage eine Dekarbonisierung stattfindet, wird der nächste Schritt die Forderung der Substitution endlicher Rohstoffe durch nachwachsende sein. Ressourcenschonung, Verwendung natürlicher Materialien, gesundes Wohnen und Arbeiten sind – auch im ­urbanen ­Umfeld – moderne Anforderungen ans Bauen geworden.

In Zukunft wird sich das Wachstum und damit auch die Bautätigkeit weltweit in den Städten abspielen, wird es darauf ankommen, dort den ­Bestand zu ertüchtigen, zu verdichten, aber auch den wachsenden Wohnungsmarkt effizient zu bedienen. Es wird darum gehen, schnell und möglichst störungsarm nachzuverdichten und zu sanieren, und das mit möglichst hohem Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen. Auf alle diese Anforderungen hat der moderne Holzbau die Antworten parat:

  • Wir haben in Europa einen Holzreichtum, der es theoretisch erlaubt, sämtliche Bauten in Holz zu bauen, ohne dass damit Raubbau an unseren Wäldern betrieben werden muss, das Primat der stofflichen Verwertung vorausgesetzt. Das Substitutionspotenzial ist also beträchtlich.
  • Durch den Einsatz von Holz insbesondere für die konstruktiven Bauteile werden der Verbrauch endlicher Rohstoffe und das Treibhaus­potenzial – je nach Gebäudetyp bis zum Faktor 4 – reduziert, was in verschiedenen Forschungsprojekten nachgewiesen wurde.
  • Das hohe Vorfertigungspotenzial des modernen Holzbaus erlaubt schnelles, störungsarmes und qualitativ hochwertiges Bauen, was gerade im urbanen Bereich gefordert wird.
  • Der leichte, aber sehr leistungsfähige Baustoff erlaubt gerade in der Nachverdichtung von bestehenden Bauten wirtschaftliche und effiziente Lösungen.
  • Für den modernen Holzbau gibt es technisch gesicherte Lösungen für großvolumiges und mehrgeschossiges städtisches Bauen, die ständig weiterentwickelt werden.
  • Holz steht für viele Menschen für Natürlichkeit und Wohlbefinden und bedient die Sehnsucht des urbanen Menschen nach gesundem Wohnen in hohem Maß.

Aus dem rationalen Blickwinkel stehen also die Chancen für die verstärkte Anwendung von Holz in der Stadt sehr gut, und es ist durchaus vernünftig, weiter neue Lösungen und Konzepte zu erforschen. Ist es aber aus architektoni­scher Sicht vertretbar? Kann sich Holz als Baustoff in die moderne Stadt überhaupt ­einfügen? Auch hier ist die Antwort nicht sehr kompliziert. Ein Holzbau muss ja nicht zwangsläufig als solcher erkennbar sein, in gleicher Weise zeigt auch ein Beton- oder Stahlbau nicht unbedingt seine konstruktive Materialisierung. Die Kombination verschiedener Materialien, also das hybride Bauen, war auch historisch gesehen immer ein wichtiges Thema beim urbanen Bauen. So erscheinen viele Gebäude der historischen Stadt als massiv gebaut, obwohl der Holzanteil in Form der Decken- und Dachkonstruktionen sehr hoch ist, oft im ­Bereich von 50 Prozent. Daraus kann klar begründet werden, dass der urbane Charakter eines Bauwerks nicht eine Frage des konstruktiven Baustoffs ist, sondern von vielen anderen ­Bedingungen abhängt. Somit ist auch aus architektonischer Sicht der Weg frei für die Rückkehr von Holz in die Stadt.


verfasst von

Hermann Kaufmann

Architekt in Schwarzach, von 2002 bis zu seiner Emeritierung 2021 Professor am Institut für Entwerfen und Bautechnik, Fachgebiet Holzbau, an der TU München

Erschienen in

Zuschnitt 59
In Zukunft Stadt

Der Holzbau kehrt in die Stadt zurück und es gibt viele gute Gründe dafür. Ressourcenschonung, Dekarbonisierung, wirtschaftliches und effizientes Bauen sind einige davon.

8,00 €

Zum Produkt   Download

Zuschnitt 59 - In Zukunft Stadt

Weitere Beiträge zum Thema Holz und Stadt

Essay – Dichter in Holz
Über die Dichte der Stadt

Essay – Stadt Holz Klima
Das Klima der Stadt: eine sozial-ökologische Frage

Stadt aus Holz
Was heißt es, eine Stadt zu planen?

Nachgefragt
Wie gestalten Wien, München und Berlin ihre Wege in die Zukunft?

Wohnbau, Nachhaltigkeit und Ökologie
Im Gespräch mit Gregor Puscher, Geschäftsführer des wohnfonds_wien

Kreislaufgerechtes Bauen mit Holz
Klimagerecht. Ressourcenschonend. Kreislauffähig?

Bei den Städten nachgefragt
Nachhaltige Stadtplanungs­strategien

Holzbau in Wien
Mehr als Leuchttürme

Wohnhausanlage Seefeldergasse Wien, Holz in der Stadt, Wohnbau

Wien
Weil Holz ein nach­wachsender Baustoff ist

Stadthäuser Riem, Heinrich-Böll-Straße, München Holzbau in der Stadt

München
Die Stadt fördert den Einsatz von CO₂­-speichernden Baustoffen

Immer wieder Holzbau
Münchener Wohnungsbau-Sofortprogramm

Holzarchitektur in Berlin
Noch klein und jung, aber sehr dynamisch

London
Holz – wegen seiner Fähigkeit, CO₂ zu speichern

Zürich
Holzbauten gehören zum guten Ton

»Holz kann sehr viel«
Gespräch mit Brandschutzexperte Reinhard Wiederkehr

Weiterbauen mit Holz
Möglichkeiten und Vorteile der Nachverdichtung

»Nachverdichtung ist keine technische, sondern eine soziale Herausforderung«
Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien, im Gespräch

Baustellenlogistik
Darauf ist beim Bauen in der Stadt zu achten