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Paradox – Ein Plastikstuhl aus Holz

Der „Plastic Chair in Wood“ sieht aus wie sein Doppelgänger aus Plastik, ist aber aus lackiertem Ulmenholz. Für die Massenproduktion ungeeignet, betrug die Auflage nur 50 Stück.

erschienen in
Zuschnitt 32 Echt falsch, Dezember 2008
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Er sieht genau so aus wie der stapelbare, leicht flexible Plastikstuhl, der einfach überall steht: im Garten, beim Bistro nebenan und im Urlaub am Strand. Nur ist er nicht weiß und aus einem preisgünstigen Kunststoff gegossen wie das Original, sondern aus Holz geschnitzt und somit für die Massenproduktion nicht geeignet. Der »Plastic Chair in Wood« wurde in einer Auflage von 50 Stück hergestellt, 5.500 Euro muss zahlen, wer ihn besitzen will. Entstanden ist er für eine Ausstellung in Shanghai. Die dort ansässige Contrasts Gallery hat den holländischen Designer Maarten Baas für August/September 2008 zu einer Einzelausstellung eingeladen – mit der Bitte, Designobjekte zu entwickeln, die von chinesischen Handwerkern hergestellt werden können. Dem Künstler schwebte ein Crossover aus traditionellem chinesischem Handwerk und westlichem Design vor. Mit »Made in China« assoziiere er billige Massenprodukte aus Plastik, sagt Maarten Baas, aber gleichzeitig auch wunderschöne Keramiken, Kunsthandwerk und eine traditionsreiche Schnitzkunst. Mit seinem »Plastic Chair in Wood« wollte er diese beiden Sichtweisen miteinander kombinieren. Dabei sollte das Original möglichst genau nachgebildet werden und die Kopie, obwohl aus Holz, aussehen wie Plastik. Er ließ den Stuhl aus Ulmenholz schnitzen und zu guter Letzt lackieren. »Im ersten Moment wissen die Leute nicht, dass der Stuhl aus Holz geschnitzt ist«, sagt Adrienne Chanson von der Contrasts Gallery. »Wenn sie es herausfinden, sind sie beeindruckt vom Können der chinesischen Handwerker.«

Um das irritierende Moment des Baas’schen Möbels zu erfahren, muss man nicht unbedingt nach Shanghai fahren. Man schaue sich nur die Oberflächen unserer Türen, Tische oder Schränke etwas genauer an. Sind sie aus echtem Holz oder doch nur ein gut gemachtes Imitat? Selbst Fachleute geben zu, dass es immer schwieriger wird, das eine vom anderen zu unterscheiden. Die Initiative »Furnier – Echt Holz«, die vor ein paar Jahren in Deutschland ins Leben gerufen wurde, setzt deswegen nicht nur auf eine Kennzeichnung der Möbel mit echter Holzoberfläche mithilfe eines Zertifikatssiegels. Sie bietet auch Schulungen für Verkäufer und Mitarbeiterinnen der Möbelbranche an. In Italien gibt es eine ähnliche Kampagne. Sie nennt sich »Vero Legno« und versieht Echtholzmöbel mit einer Art Lageplan, auf dem jedes Teilelement des Möbels, vom Korpus bis zur Oberfläche, genau beschrieben ist.

Doch wer imitiert hier eigentlich wen? Nicht nur die Kopie kommt immer näher an das Original heran, auch das Echtholzfurnier scheint sich der Kunststofffolie anzunähern. »Die Folie soll aussehen wie Holz und das echte Furnier wie Plastik«, sagt Frank Schaal vom Holzhandelsunternehmen Liechtenstein. Bei der Folie besinne man sich auf die Charaktereigenschaften des Holzes: Es gibt Farbunterschiede, Astwirbel und Einwachsungen. Das Furnier dagegen dürfe entgegen den natürlichen Eigenschaften des Holzes keine Holzmerkmale widerspiegeln. Vor allem für den gehobenen Innenausbau werden diese glatt und gleichmäßig aussehenden Echtholzfurniere nachgefragt. Die Bäume, die in unseren Wäldern stehen, bieten laut Schaal maximal ein bis fünf Prozent an solchen Spitzenqualitäten. Um an diese heranzukommen, muss viel Holz geschlägert werden. Denn auch wer Erfahrung hat, welche Bäume hierzu geeignet sind, ist vor Überraschungen nicht gefeit.

Überraschungen kann auch erleben, wer sich in einem Möbelhaus anhand von kleinen Musterplättchen eine Holzoberfläche aussucht. Handelt es sich um Imitate, dann gibt es kaum Probleme, beim Echtholzfurnier aber kann es naturbedingt große Differenzen geben. Genau hier liege auch der Sinn der Initiative »Furnier – Echt Holz«, sagt Claudia Swoboda von Keplinger Furniere, dass nämlich ein Verkäufer seinen Kunden die Besonderheiten und Vorteile von Echtholz erklären könne. Und wo liegt der Vorteil des weißen Plastikstuhls gegenüber seinem Imitat? Womöglich gibt die Rückenlehne des »Plastic Chair in Wood« nicht ganz so schön nach wie die des Originals.

Paradox Ein Plastikstuhl aus Holz

www.verolegno.it
www.furnier.de
www.maartenbaas.com

 

Text:
Anne Isopp
geboren 1972 in Köln
Studium der Architektur in Graz und Delft
ab 1999 Arbeit als Architektin in Hamburg
seit 2003 freie Architekturjournalistin in Wien, u.a. tätig für Salzburger Nachrichten, profil, Architektur & Bauforum, Baumeister

Foto:
© Courtesy of Contrasts Gallery


verfasst von

Anne Isopp

ist freie Architekturjournalistin, -publizistin und Podcasterin in Wien. Sie war von 2009 bis 2020 Chefredakteurin der Zeitschrift Zuschnitt. In ihrem Architekturpodcast Morgenbau spricht sie mit Menschen aus der Baubranche über nachhaltiges Bauen.

Erschienen in

Zuschnitt 32
Echt falsch

Kaum ein Material wird so oft nachgeahmt wie Holz. Was aber bedeutet die Imitation? Ist sie »Lüge« oder nur Werkzeug im ewigen Spiel zwischen Schein und Sein?

8,00 €

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Zuschnitt 32 - Echt falsch